Abbrechen, durchhalten, jubeln

Die Choreografin und Tänzerin Barbara Fuchs ragt in Köln heraus

Es knackt und knarzt. Die Tänzerin Odile Foehl biegt und zerrt an einem mattfarbenen Brocken. Langsam. Sie hat Zeit. Das Ding wird als Jacke erkennbar. Eingefroren. Ein Fundstück. Man denkt an Reinhold Messner und seinen Bruder, Unfall, Unheil, Berge. An Ötzi, den Ahnen, an Tod, Geheimnis, Schnee und Eis. Vor der Jacke sitzt Barbara Fuchs am Boden neben zwei Notizbüchern, schaut, horcht, macht Vorschläge, »erst die großen Kracher«, fragt, lobt, »gut, so sachlich«. Die Klamotten werden dann im Eisschrank in der Ecke für den nächsten Tag frisch gemacht: Je weniger angetaut und je luftiger geknüllt, desto besser ist ihre klangliche Entfaltung, hat Barbara Fuchs festgestellt.

 

Sie probt in der Wachsfabrik an »Unter Null«. Die Tänzerin Kazue Ikeda fehlt wegen Hexenschuss. Zwei weitere geplante Darsteller fehlen komplett, weil die Projektfinanzierung nicht reich-te. »Sehr schade«, sagt die Choreografin. Bei Recherchen zum Thema Schnee und Eis begeisterte sie sich für Ernest Shackleton, der 1914 mit dem Dreimaster »Endurance« zum Südpol reiste, nicht weit kam, aber unbedingt seine 27 Mann lebend nachhause bringen wollte. Das Stück, sagt Fuchs, werde aber streng nicht-narrativ. Aus den Knubbeln dokumentierter Geschichten faltet es Momente, Themen heraus. Enge und Weite: Die Gruppen campierten in Zelten, Häuschen, unter Booten  und zogen durch unendlich weite Landschaften. Das Material: Seile, Spitzhacke, Rucksack. Das Rutschen und Gleiten. Zäh fließender Gletscher. Stürme. Erfrieren. Das extrem Körperliche. »Das Fiese und die unglaubliche Schönheit«. Das Pathos.

 

Ist das denn nicht allzu weit weg von unserer moderat temperierten, sicherheitsfixierten, unheroischen Zeit? »Solche Expeditionen ähneln den künstlerischen Prozessen, wie wir sie kennen«, sagt die Choreografin, »die Neugier, etwas zu entdecken, sich aufzumachen mit einem Team, in der Hoffnung, dass das gesehen wird und man Applaus bekommt«. Die erste Idee kam von dem Kölner Musiker Jörg Ritzenhoff, mit dem Barbara Fuchs seit Jahren arbeitet. Er hatte eisige Sounds gesammelt, nahm das Knarzen und Knirschen bei den Proben auf und komponiert nun damit. 

 

Odile Foehl sitzt jetzt auf gewinkelten Beinen und Armen wie ein schockgefrorener Hund. Ihr Ellbogen schiebt sich heraus, so dass die Haut übern Boden schrabbelt, der Rücken wird schief, die Unterschenkel kreuzen sich, unterm Knie wächst eine Hand heraus, Zehen schrabsen. Der Körper  wandert, er dehnt sich aus. Allmählich, so dass die Details ganz groß wirken. »Mit tierisch viel Kraft, immer dagegen! Das kämpft sich da durch«, stellt Barbara Fuchs fest.

 

Sie gibt so einer Szene bewusst viel Zeit. »Nicht so: Qualität wechseln, zack, Rhythmus anders, raus in den Raum.« In allen ihren Stücken finden sich solche Fokussierungen. Sie wolle nicht hängen bleiben in der  zeitgenössischen Bewegungssprache mit ihrem Flüssigkeitsdiktat. Das ästhetische Tanzen und contact improvisation seien allerdings ihr Handwerkszeug, das sie jahrelang benutzt habe und deshalb nicht völlig aufgeben wolle.

 

Sie wuchs in Düsseldorf und Monheim auf, ging zum Kinderballett, mit 16 Jahren zum Jungstudium an die Folkwang-Hochschule. Nach einem Jahr warf man sie raus, mit Tanz war Schluss, sieben Jahre lang. Sie machte Abitur, studierte allerlei Geisteswissenschaften, begann dann aber in Köln bei James Saunders in den »Tanzprojekten« eine Ausbildung. Brach ab, ging nach New York, trainierte, produzierte. Kam zurück nach Köln als freie Tänzerin, ging zwei Jahre per Engagement nach Portugal, dann nach Gelsenkirchen ans Consol-Theater. Machte Licht und Bühne. »Und habe dann doch wieder angefangen. Immer habe ich versucht, es sein zu lassen, aber – vielleicht ist es mein Schicksal?« Das Wort ist ihr fast peinlich. Dafür ist sie zu erwachsen. 

 

Ihr Solo »Durchleuchtet« über den Tanzbetrieb war 2003 gleich ein Erfolg. »Naja, typisch, dass man sich beim ersten Stück mit sich selbst beschäftigt«. Dass Barbara Fuchs Humor kann in ihrer Kunst, zeichnet sie in der Tanzszene aus. Ihr außergewöhnliches Solo »das« (2008) auf einem mit Post-its gefliesten Feld war allerdings ernst: Ein Wesen räumt sich in einem geschlossenen System einen kleinen Platz frei und verwandelt sich, als sei es sich selbst ein Fremdkörper – Mann, Frau, Tier.

 

Barbara Fuchs jubelt über die dreijährige Projektförderung, die ihr die Stadt soeben zugesagt hat. Mit ihrem zweiten Stück für Kinder kurz über Null, »Kopffüßler« (2010), tourt sie durch Europa, fünfzig Aufführungen dieses Jahr. Das kam unerwartet. Für die Kölner Kollegin Silke Z. tanzt sie projektweise, in der Comedia macht sie 2012 eine Gastregie. Von Anfang an war sie tanzpolitisch engagiert, bei der Tänzerinitiative, bei der gerade etablierten Tanzkonferenz, beim Netzwerk Barnes Crossing, dessen Mietvertrag fürs Produktionszentrum in der Sürther Wachsfabrik endlich verlängert wurde (aber nur bis Sommer 2013). Als alleinerziehende Mutter ist das alles nicht leicht. Den Wunsch nach Sicherheit kennt sie schon auch, »ich bin 46!« Aber sie genießt, was sie tut, »den kreativen Prozess. Ich arbeite nur mit Freunden, gern mit Tänzern Ü30«. Vertrauen ist auch eine Art von Sicherheit. Eine Methode gegen Eis.