Das Herz des Boxers

Annäherung an einen Mythos: »muhammad-ali.net«, die neue

Produktion des licht!theater im Keller des Filmhauses.

Es gilt ja seit einiger Zeit als chic, Titel zu wählen, die irgendwie Nähe zum World Wide Web suggerieren. Sex-Appeal im High-Tech-Zeitalter. Wenn Barbara Reineke und Jürgen Runkel vom licht!theater ihre Neuproduktion »muhammad-ali.net« nennen, soll wahrscheinlich das Experimentelle betont werden. Schließlich ist das Licht!theater bekannt für multimediale Theaterperformances, und das Stück eine »theater-, film-, box-, tanz-, klang-, raumperformancegroteske«.
Der Keller des Filmhauses wurde dafür zu einer Boxkampf-Arena umfunktioniert. Punchingballs und Boxsäcke hängen von der Decke. Eine Bar, in der Mitte der Ring. Im Publikum stehen einige schmierige Typen, Pomade im Haar, Zigarre, Gold-Lamée und Rüschenhemd. Die Zuschauer sind Statisten, die Darsteller mischen sich darunter. Vor und während der Aufführung laufen Filmausschnitte mit Muhammad Ali – Großmaul, Boxweltmeister, tragische Gestalt. Und mediales Phänomen, das mit dem legendären »Thrilla from Manila« gegen Joe Frazier sogar brave Schulkinder mitten in der Nacht vor das TV lockte.
Mit einem Vorkampf der Amateurliga beginnt »muhammad-ali.net«. In harten Schnitten folgen die Szenen: Eine Talkshow mit Dumpfbacken; die Auftritte der beiden Box-Stars, ihr Imponiergehabe, die Drohgebärden; dazwischen tief- und flachsinnige Reflektionen über den Boxkampf als Grauzone, wo der Moralkodex aufgehoben ist – Töten inbegriffen. Boxen als Ritual mit pseudo-religöser Aura. Das Ganze verbindet sich zu einer dichten Schilderung, unterlegt mit einem gelungenen Garage-Soundtrack von pathologie 3 und gebündelt in einer Dramaturgie, die auf den Entscheidungskampf zielt.
Herausragend ist Rolf Vogler als Joe »The Lip« Madison und Widergänger Alis, dem er auch in der Silhouette ziemlich nahe kommt. Vogler beherrscht nicht nur die richtige Technik im Ring, sondern überzeugt auch in der Darstellung. Differenziert zeichnet er das Spannungsfeld zwischen Großkotz (»Ich mach\\\' Dich fertig, Du Laus«) und einem Menschen, der sich als bekennender Moslem für die Rechte der Schwarzen einsetzte und den Vietnamkrieg verurteilte. Ernst genommen wurde Ali damit letztlich nicht. Wenn der Boxer nach 14 Runden siegreich zusammenbricht und die Worte »I want to retire« haucht, ahnt man, dass dies am wenigsten mit dem Schwinden körperlicher Kraft zu tun hat.
Wirklich grotesk, wie der Untertitel verspricht, fällt die neueste Show des licht!theaters nicht aus. Aber das ist nicht so schlimm. Mehr Tempo könnte das Stück stellenweise allerdings vertragen. Und Klischees wie Stierkampf (Urtrieb!) und Tango (Eros!) hätte man sich schenken können. Viel zu kurz kam hingegen das Schmutzige, das Brutale und Kriminelle, das nicht zu leugnender Teil des Box-Business ist. Die Fallhöhe zwischen diesem Milieu und dem Einzelnen wurde verspielt, um den Mythos Muhammad Ali wirklich strahlen zu lassen.

»muhammad-ali.net«. R: Barbara Reineke / Jürgen Runkel. Filmhaus, 6., 7., 8. September, 21 Uhr.