Jeder gegen jeden

Kurz, kurzweilig, zynisch: Roman Polanskis »Der Gott des Gemetzels«

Der Sohn der Cowans hat den Sohn der Longstreets mit einem Stock verletzt. Elf Jahre alt sind die Kinder, der angegriffene Junge hat zwei Zähne verloren. Um die Angelegenheit in gegenseitigem Einverständnis beizulegen, treffen sich die Eltern an einem Vormittag in der Wohnung der Longstreets. Sie sind sichtlich bemüht, höflich, zivilisiert und vernünftig miteinander umzugehen. Doch Frustration und Wut brechen sich schneller Bahn, als der in friedlicher Absicht gereichte Espresso ausgetrunken ist.

 

Das ist die Grundkonstellation von Roman Polanskis neuem Film »Der Gott des Gemetzels«, einer Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Yasmina Reza (2006). Der Film ist so kurz wie kurzweilig, 79 Minuten dauert er, den Schauplatz, die Wohnung in Brooklyn, verlässt er nur in der allerersten und in der allerletzten Szene, und in dieser Zeit, die sich mit der Zeit der Filmhandlung mehr oder weniger deckt, folgt eine böse Pointe auf die nächste. Von Timing und Handwerk versteht Polanski eine Menge, von Zuspitzung auch, er nutzt den Raum der Wohnung so, dass die Beschränkung auf Wohnzimmer, Küche, Bad und Flur nicht in Monotonie umschlägt. Er sorgt überdies dafür, dass die vier Darsteller Jodie Fos-ter, Kate Winslet, Christoph Waltz und John C. Reilly ihrer Spielfreude freien Lauf lassen können – was die vier denn auch mit Genuss tun.

 

Jodie Fosters Figur Penelope Longstreet, die Mutter des angegriffenen Jungen, kneift die Lippen so fest zusammen, dass man ihren Mund gar nicht mehr sieht, ihr von John C. Reilly gespielter Mann Michael ist um Ausgleich und Beschwichtigung bemüht, bis er sich nicht mehr zurückhalten kann. Dann platzt es aus ihm heraus: »Ich bin ein cholerischer Hurensohn«. Christoph Waltz gibt den Vater des Angreifers, Alan Cowan. Das sardonische Grinsen hat er aus Tarantinos »Inglourious Basterds« mitgebracht, seine Figur hat sich einiges von Oberst Landas Hochmut bewahrt. Kate Winslet als Alans Frau Nancy ist in Höchstform, wenn sie die Longstreets lallend anfährt (»Ich bin froh, dass mein Sohn Ihrem Sohn die Fresse poliert hat!«), auf Penelopes Kunstbücher kotzt oder Alans Smartphone, mit dem er enger verbunden zu sein scheint als mit ihr, auf dem Boden einer Tulpenvase versenkt. Ihr sonst so unerschütterlicher Gatte geht in diesem Augenblick buchstäblich zu Boden. Wer immer einen Groll gegen moderne Kommunikationsgeräte und die damit einhergehenden Ökonomien der Unaufmerksamkeit hegt, kommt auf seine Kos-ten.

 

Der Wechsel der Allianzen zwischen den vier Figuren gerät allerdings etwas mechanisch – die Männer verbünden sich gegen die Frauen, das eine Paar gegen das andere, der Mann des einen Paars mit der Frau des anderen, bis schließlich jeder gegen jeden kämpft. Genregemäß verwehrt Polanski den Figuren Mehrdimensionalität und Tiefe. Besonders Jodie Fosters sich selbst als liberal imaginierende, in Wirklichkeit aber zutiefst kontrollfixierte Penelope kommt schlecht weg. Ihr Glaube ans Gute im Menschen, ihr Engagement für leidende Menschen in Afrika werden dem Gelächter preisgegeben, genauso wie ihr Beharren darauf, dass es in Konflikten Opfer und Täter gibt, moralische und unmoralische Positionen. Am Ende lässt »Der Gott des Gemetzels« nicht viel übrig außer vier nach Strich und Faden vorgeführten Figuren, einen etwas wohlfeilen Zynismus und einen fröhlichen Hamster. Das ist, wie gesagt, ausgesprochen unterhaltsam anzuschauen, aber auch ein bisschen billig – es war schon vor 15 Jahren nicht besonders produktiv, so genannte Gutmenschen wie Penelope zu denunzieren und sich über politische Korrektheit zu echauffieren. Heute wirkt es, als schlage man auf die Pappkameraden aus einer anderen Zeit ein.

 

So pointenreich und treffsicher »Der Gott des Gemetzels« also inszeniert ist, bleibt doch ein Unbehagen. Das liegt unter anderem daran, dass man, selbst wenn man es wollte, kaum übersehen kann, wie sehr die Gleichgültigkeit, die der Film gegenüber der Frage nach richtigem und fal-schem Verhalten an den Tag legt, in Polanskis persönlicher Geschichte widerhallt. Der heute 78 Jahre alte Regisseur stand 1978 in Kalifornien vor Gericht, weil er unter bis heute ungeklärten Umständen Sex mit einem 13 Jahre alten Mädchen hatte. Dem endgültigen Urteilsspruch entzog er sich, indem er sich nach Frankreich absetzte. Die Geschichte war im internationalen Filmbetrieb längst vergessen, als sie den Regisseur im September 2009 einholte. Er reis-te damals nach Zürich, um beim dortigen Filmfes-tival eine Auszeichnung für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. Am Züricher Flughafen jedoch wurde er festgenommen. Er saß im Gefängnis und später im Hausarrest in seinem Chalet in Gstaad. Seit Juli 2010 ist er wieder auf freiem Fuß, denn die Schweizer Behörden weigerten sich letztlich doch, dem Auslieferungsbegehren der US-amerikanischen Justiz nachzukommen. Wenn sich »Der Gott des Gemetzels« nun schwer tut, so etwas wie Verantwortung anzuerkennen, hat es etwas von Nachtreten in eigener Sache.

 

Auch wenn man diesen Bezug zwischen Film und Vita nicht herstellt, bleibt die Frage, ob der Zynismus, den »Der Gott des Gemetzels« als einzig valide Position übrig lässt, tatsächlich das einzige ist, worauf man bauen will. Und ob es tatsächlich nicht mehr als einer Nichtigkeit bedarf, damit wir die Grundregeln zivilen Miteinanders vergessen und uns in egoistische, brutale Kleinkinder zurückverwandeln, lässt sich ebenso bezweifeln. Folgt man der Logik des Films, rückte man mit diesen Überlegungen in gefährliche Nähe zur Spaßbremse Penelope. Aber das spricht weniger gegen solche Überlegungen als gegen die zu enge Logik des Films.