Prärie und Wahnsinn

Desillusionierter Western: »Meek’s Cutoff« von Kelly Reichardt

Eine leere, öde Landschaft ist wie ein vollkommes Labyrinth. Nichts bietet Orientierung, alles schaut gleich aus, und wenn das Auge gar nichts findet, woran es sich festhalten kann, ist der Wahnsinn nicht weit. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass Kelly Reichardt ihren neuen Spielfilm, den Western »Meek’s Cutoff« (Meeks Abkürzung), in einer solchen öden Prärielandschaft ansiedelt. Denn die US-amerikanische Regisseurin hat eine Vorliebe für Geschichten, in denen die Akteure die Orientierung verlieren.

 

In »Old Joy« (2006) sind es zwei Freunde Mitte 30, die auf der Suche nach einer heißen Quelle durch einen Wald irren; in »Wendy and Lucy« (2008) ist eine Hündin verschwunden, und die Besitzerin, eine junge Frau auf der Durchreise, sucht in einer Kleinstadt, die sie nicht kennt, verzweifelt nach dem Tier. Wenn sich die Figuren auf Waldwegen oder Kleinstadtstraßen nicht zurechtfinden, dann spiegelt sich darin stets auch eine allgemeine, tief reichende Desorientierung: Die beiden Männer in »Old Joy« haben Schwierigkeiten, einen Platz für sich und ihre Freundschaft zu etablieren, die junge Frau in »Wendy and Lucy« hat weder Wohnung noch Freunde, und sie schafft es auch nicht, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten.

 

»Meek’s Cutoff« spielt in Oregon im Jahr 1845. Die Landschaft ist öde und leer, manchmal hügelig, manchmal eben, niedriges Strauchwerk bedeckt den Boden. Einen Baum sieht man so gut wie nie. Drei Siedlerfamilien befinden sich auf dem Weg nach Westen. Ihr Scout Meek (Bruce Greenwood) ist vom Weg abgekommen. Eine Wasserstelle ist seit Tagen nicht in Sicht, und der Film nimmt sich viel Zeit, den Figuren und den Zugochsen beim Gehen zuzuschauen. Je länger der Treck unterwegs ist, desto mehr nehmen das Misstrauen und die stille Verzweiflung der Siedler zu. Als sie schließlich einem Indianer begegnen, wissen sie nicht, ob sie in ihm einen Helfer oder einen Feind finden. Manche – etwa die von Michelle Williams gespielte Emily – reagieren vergleichsweise aufgeschlossen, andere – wie die von Zoe Kazan gespielte Millie – voller Furcht und Überheblichkeit.

 

Der Film gibt keiner der beiden Figuren recht, vielmehr lässt er offen, wie die indianische Figur einzuschätzen ist. Was er hingegen recht deutlich herausarbeitet, ist ein frappierender Gegensatz: Die festen Vorstellungen der Siedler, ihre Arroganz und Religiosität, stehen in scharfem Kontrast zu ihrer Unfähigkeit, sich in der neuen Umgebung zu behaupten. Wer mag, kann daraus Rückschlüsse auf die Gegenwart, auf das Engagement der USA in Afghanistan oder im Irak, ziehen, »Meek’s Cutoff« hat es aber nicht nötig, als Metapher verstanden zu werden. Reichardts desillusionierter Western ist sich selbst genug.