Kaputt denn alles, alles kaputt

Werner Rügemer hat seine Kölner Klüngelrecherchen zu einem Buch zusammengefasst

»Aktenvernichtungsaktion«, Was sind das wohl für Texte, die »eine Kümmerexistenz am Rande der Öffentlichkeit fristeten“, aber »in den Chefetagen aufmerksam gelesen« wurden? Selbstverständlich: Texte aus der StadtRevue. Solche und diverse andere seiner Investigationen der vergangenen zehn Jahre hat der Klüngelologe Werner Rügemer jetzt in einem Büchlein namens »Colonia Corrupta« zusammengestellt. Corruptus (lat.: kaputt, entstellt, bestochen) sei allerdings nicht unsere zerbeutelte Rheinkolonie allein, sondern – vorworttheoretisch – jede beliebige Stadt, »die von global operierenden Grossinvestoren (selbst die Rechtschreibung hat’s hier korrumpiert) belagert und mit Hilfe von Politikern und öffentlichen Bediensteten kolonisiert wird«. Das System hat offenbar Methode. Trotzdem stehen im Untertitel »Globalisierung, Privatisierung und Korruption«, diese drei, blumig »im Schatten des Kölner Klüngels«. Wie auch immer, es geht um Köln in diesem Buch. Hier blüht ja auch so allerhand und schon wahlkampfmäßig wird zur Zeit kräftig in der Pampe gerührt. Da kommt die Rügesammlung gerade recht.
Der erste Komplex in Rügemers Buch ist folgerichtig den Machenschaften rund um die Kölner Müllverbrennungsanlage gewidmet. Doch wer glauben sollte, der Kölner Klüngel sei von Kopf bis Fuß auf Abfall eingestellt, der irrt kapital. Auch sonst scheint hier der kurze Entscheidungsweg zwischen Wirtschaft und Politik ein reichlich frequentierter Trampelpfad zu sein, jedenfalls wenn es um Projekte von einiger Dimension geht, wie etwa den Bau der Kölnarena. Dass diese die Stadt viel teurer zu stehen kommt, als vorher zugegeben, rechnet Rügemer sorgfältig vor. Er rechnet überhaupt viel nach, keine der zahlreichen Klagen (aus den Chefetagen) kann ihn davon abhalten. Bei der Lektüre wächst mit jedem der sehr aufwendig recherchierten Artikel das Misstrauen gegen Stadt und Politik: »Cross Border Leasing« etwa, eine gigantische kommunale Steuerhinterziehung durch Vermietung und Rückmietung von städtischen Anlagen, die Rolle der IHK, die gewaltigen Zuschüsse an KHD, Auswirkungen der Kölner Pressemonokultur – all das findet sich dokumentiert.

Angestaubt detailreich

Ein Schatten aber fällt über den Schatten: alles wirkt ein wenig staubig. Das mag am Stil liegen, dessen verbissener Ernst gerade da zum Vorschein kommt, wo lakonische Ironie versucht wird, die prompt auf der gerümpften Nase landet. Das mag aber auch dadurch bedingt sein, dass kaum eine der vorkommenden Figuren noch in Amt und Würden ist: Rügemers Intimfeinde Lothar Ruschmeier und Franz-Josef Antwerpes genauso wenig wie Norbert Burger, Klaus Heugel oder Walter Leisler Kiep. Doch die Sammlung zielt auch gar nicht auf Tagesaktualität, ein Kompendium will sie sein zur Kölner Korrumpierbarkeit. Dazu passen die historischen Untersuchungen: über Konrad Adenauers schwarze Kassen oder über den aufhaltsamen Aufstieg des Unternehmers Otto Wolff von Amerongen zum »Hehler für Hitler«, danach zum Präsidenten des deutschen Industrie- und Handelstages und Bundesverdienstkreuzträger. Munition für die Kanonade auf Chefetagen.
Trotz des großen Materialreichtums fragt sich, wer dieses Buch lesen wollen soll. »Intellektuelle« gibt der Verlag als Zielgruppe an (Vielleicht weil Rügemer einen akademischen Hintergrund hat: Er hat studiert, heißt Doktor gar, promovierte mit einer Arbeit zur Anthropologie Arnold Gehlens). Intellektuelle lesen schließlich alles. Aber als wissenschaftlich kann man den Duktus nicht eben bezeichnen: von Kohlhaas’schem Rechtsbewusstsein getragen und geblendet rennt hier ein Drachentöter gegen das Böse an, die große Verschwörung. Und dieses Böse ist auffällig unauffällig, steckt wie der Teufel in Details, Notizen und schäbigen Abmachungen. Aber will man deshalb alle Details, Notizen und Abmachungen kennen? Besaßen die Texte durchaus einmal Sprengkraft, im Rückblick ödet doch so einiges an. Und immer nagt der Zweifel: macht es sich hier nicht jemand zu leicht? Wenn an Globalisierung und Privatisierung allein die Korruption zu tadeln ist, dann gehört nur einmal ordentlich Staub gewischt und alles blinkt wieder blank. Genau das will Rügemers Rügefibel bewirken, das große Reinemachen. Ob systemintern etwas knirscht, interessiert ihn wenig. Auch nicht, ob Gehlens Mängelwesen Mensch nicht auch mit gerechteren Institutionen leben könnte. Und so endet das Büchlein mit dem irrsinnigen Satz: »Wer die Korruption nicht bekämpft, soll von menschlicher Würde, Rechtsstaat und Demokratie schweigen«. Ach, Kohlhaas.

Colonia Corrupta. Globalisierung, Privatisierung und Korruption im Schatten des Kölner Klüngels
Werner Rügemer, Westfälisches Dampfboot 2002. 157 S. 15 Euro.