Verformungsspezialist: Herbert Fritsch, © Sabrina Zwach

»Das sind alles besoffene Leute«

Herbert Fritsch, der Irrwitzige des deutschen Theaters, über seine Inszenierung von Brechts »Herr Puntila« im Schauspielhaus

Er ist das Enfant terrible der deutschen Theaterszene - dabei ist er schon über sechzig und seit gefühlten Ewigkeiten dabei: Herbert Fritsch, lange Zeit Mitglied in Frank Castorfs legendärem Berliner Volksbühnen-Ensemble. Abgründiges, böses und verrück-tes Körpertheater sind auch als Regisseur seine Markenzeichen geworden. Bisheriger Höhepunkt: zwei Einladungen zum Berliner Theatertreffen vergangenen Mai. Im Schauspielhaus inszeniert er im Januar »Herr Puntila und sein Knecht Matti« von Bertolt Brecht.

 

StadtRevue: Früher als Schauspieler war Brecht für Sie ein Säulenheiliger. Wie hat sich Ihr Blick auf ihn geändert?

 

Herbert Fritsch: Die Veränderungen kamen durch meine Erfahrungen beim Theaterspielen und dadurch, dass die Welt sich verändert hat. Ich war als junger Schauspieler stark beeinflusst von den Theorien Brechts. Aber irgendwann war er nur noch einer von vielen Autoren, die mich interessierten. Inzwischen nehme ich überhaupt alles Geschriebene nicht mehr so ernst. Mir ist mein Leben, das was um mich herum passiert, wichtiger. Ich starte in eine Inszenierung auch nicht mit einem fertigen Konzept oder einer Aussage, die die Inszenierung dann erfüllen muss. Ich lasse mich gerne von den Aussagen, die ich meinen Inszenierungen einschreibe, überraschen. Für mich ist die pure Lust das Entscheidende. 

 

Wie geht das mit Brecht zusammen? 

 

Er versucht das Lustvolle auch, spricht es immer wieder mal an. Aber natürlich ging es ihm viel mehr um deutliche Aussagen. 

 

»Ich nehme mir das heraus, was mich anspricht und in mir Bilder provoziert«

 

Die interessieren Sie aber nicht. Was bleibt da übrig?

 

Ich sehe »Puntila« als ein großes, interessantes Panorama, das bestimmte Gedanken aus dieser Zeit beschreibt. Auf die blicke ich von heute aus. Das stimuliert Anderes in mir, als es von Brecht vielleicht beabsichtigt war. Es gibt allerdings Leute, die sagen mir, dass das, was ich machte, eigentlich Brecht-Theater sei. Ich kann mir das nicht so recht vorstellen. Ich lehne nicht ab, was bei »Puntila« steht. Aber ich nehme mir das heraus, was mich anspricht und in mir Bilder provoziert.

 

Welche Bilder sind das? 

 

Ein großes Thema im Stück ist der Rausch. Auch die Liebe und die Hingabe. Dann reizt mich das Thema Knechtschaft, allerdings als ein Spiel, das die Leute im Stück miteinander treiben. Das hat auch etwas merkwürdig Homoerotisches. Latent kommt Homoerotik bei Brecht übrigens immer wieder vor. Frauen hingegen werden sehr steif beschrieben. Das sind schon alles eher geschnitzte Figuren. Da würde ich gerne ein bisschen Farbe rein bringen. Das bereitet bestimmt Freude.

 

»Wenn sich Regisseure zur tagespolitischen Lage als Experten gerieren, bin ich nicht mit dabei«

 

Könnte es passieren, dass man Puntila, den Gutsbesitzer, bei Ihnen als Banker sieht?

 

Nie. Auf keinen Fall! Über das, was zurzeit in der Finanzwelt passiert, lassen viele sehr schlaue Sprüche los. Ich kann dazu keine beisteuern. Vielleicht gibt es Experten, die das alles verstehen. Wenn sich aber Theaterregisseure zur tagespolitischen Lage als Experten gerieren, bin ich nicht mit von der Partie. Die Figuren im Stück sind für mich besoffene Leute, die etwas zusammenfaseln, das ich mehr oder weniger lustig finde. Das möchte ich in einen unterhaltsamen Zusammenhang bringen. Das muss nicht unbedingt sinnbeladen sein. Man kann dieses ganze thesenhafte Gebrabbel der Figuren als eine noch viel größere Sinnlosigkeit offenbaren, als es die schrecklichste Farce tun könnte. Vor dem Hintergrund der Ratlosigkeit, der bröckelnden Philosophien, dem Umstand, dass keiner weiß, wo es lang geht, ist es sehr interessant, die Thesen von Brecht zu lesen und zu merken, wie sie alleine schon beim Angucken zerbröseln. 

 

Was heißt das genau?

 

Man weiß nicht mehr, warum jemand so etwas sagt, wie die Leute im Stück. Woher das überhaupt kommt. Aber diese Fragwürdigkeit beschäftigt mich nur in Form der Aufgabe, wie ich das alles zu einem Bild gerinnen lassen kann, das das in mir eine Lust und ein Prickeln hervorruft. Das soll mich über die nächsten zwei Stunden hinwegbringen, die ich mich sonst vielleicht langweilen würde. Fundamentale Explosionen, die bewirken, dass man anschließend wahnsinnig Bescheid weiß, traue ich mir nicht zu. 

 

»Ich setze mich mit körperlichen und geistigen Verformungen auseinander«

 

Sie machen irres Körpertheater. Wie funktioniert ihr Begriff des Komischen? 

 

Ich weiß gar nicht, warum meine Inszenierungen immer so sehr als komische genommen werden. Ich lache gerne, ich gucke gerne zu, ich habe auch manchmal Tränen in den Augen. Aber ich würde das nicht als witzig oder komisch festlegen wollen. Mir macht es Spaß, mit Schauspielern zu gestalten und die Schauspielkunst zu betonen. Ich möchte in der Art und Weise, wie man den Körper bewegt, über das Übliche hinaus gehen, mich mit körperlichen und geistigen Verformungen auseinander setzen. Über solche Verformungen lacht man oft. Aber letztlich müssen meine Arbeiten Musik haben, sie müssen Bild, Rhythmus und Geometrie haben. Dass ich der Komödienspezialist sein soll, ist ein großer Irrtum. 

 

Könnte es denn passieren, dass Sie den »Puntila« als Tragödie zeigen?

 

Wenn ich etwas Todtrauriges machen würde, wären vielleicht ein paar Leute enttäuscht. Das kann passieren. Wenn ich das Stück lese, muss ich jedenfalls überhaupt nicht lachen. Trotzdem kann es sein, dass es komisch wird. Den Puntila sehe ich vielleicht als aggressiven Masochisten. Vielleicht braucht der seinen Knecht Matti, um jemanden demütigen zu können. Solche Verdrehungen interessieren mich, bei denen die Oberfläche ganz anders aussieht, als das, was drunter schlummert. Also, mit der Komödie ist es nicht so einfach. Eine Komödie kann sehr bitter sein.