Markus Buchal, Almut Skriver und Hawe Möllmann von der »Bürgerinitiative Helios«, Foto: Manfred Wegener

Auf dem Weg, nicht am Ziel

Ist Köln auf dem Weg zu mehr Bürgerbeteiligung? Mag sein, findet Bernd Wilberg. Aber am Ziel ist man noch lange nicht angelangt, und mitunter hat man sich auch gehörig verirrt

Es heißt, die Politiker seien nervös. Überall in der Republik begehrten die Bürger auf, wollten selbst entscheiden: über Bahnhöfe und Flugplätze, über das Schulsystem in Hamburg, über das Rauchverbot in Bayern. Die Proteste gegen das Infrastrukturprojekt  »Stuttgart 21« hiev­ten den ersten grünen Ministerpräsidenten ins Amt, setzten andere politische Karrieren aufs Abstellgleis. Die Ausläufer dieses Bebens reichen bis nach Berlin und dauern noch an: Eine mit ihrer mangelnden Professionalität kokettierende Piratenpartei liegt nach neuesten Umfragen bundesweit bei acht Prozent.

 

»Der kommende Aufstand«, von dem noch im Frühjahr linke Gruppen raunten – in Deutschland ist er, trotz Occupy-Bewegung, eine Revolte der Mittelschicht. Die darbt zwar auch, aber sie verfügt über die nötige Zeit, das rhetorisches Geschick und das kommunikative Know-how, um ihre Interessen so zu formulieren, dass sie wahrgenommen werden. Auch in Köln, wo man zwar nicht die Absicht hatte, einen Bahnhof tiefer zu legen, aber aus Versehen beim U-Bahn-Bau ein Historisches Stadtarchiv einstürzen ließ: Seit der Katastrophe vom 3. März 2009, bei der zwei Menschen starben, ist auch das Vertrauen in die Kölner Politik und Verwaltung weggebrochen.

 

Die Stadt, so beteuert Oberbürgermeis­ter Jürgen Roters (SPD), wolle dieses Vertrauen zurückgewinnen. Allenthalben scheint nun die Meinung der Bürger gefragt zu sein. Wegen eines Bürgerbegehrens der Initiative »Mut zu Kultur« nahm der Rat der Stadt sogar den bereits beschlossenen Abriss und Neubau des Schauspielhauses zurück. Mehr als 50.000 Menschen hatten mit ihrer Unterschrift Anfang 2010 dazu aufgefordert.

 

Am 1. Dezember startet nun die Bürger­beteiligung zur Zukunft des Helios-Geländes in Ehrenfeld; nach Protesten ist es wahrschein­lich, dass die Pläne für ein riesiges Einkaufszentrum bald vom Tisch sind. Bauunternehmer Paul Bauwens-Adenauer, zugleich Präsident der IHK Köln, und sein Geschäftspartner Heinz Hermann Göttsch wollten dort ein Ein­kaufszentrum in der Größe der »Köln Arcaden« in Kalk errichten. Erneut sollte der Essener Projektentwickler mfi zum Zuge kom­men. Für viele Ehrenfelder ein stadtplaneri­scher Albtraum. Selbst Bernd Streitberger (CDU), Dezernent für Planen und Bauen, ist nicht gut auf mfi zu sprechen: Das Unternehmen hatte in Kalk 3.000 Quadratmeter Verkaufsfläche mehr gebaut als verabredet. Nun ist auf Initia­tive der Schuldezernentin Agnes Klein (SPD) eine Modellschule für Ehrenfeld im Gespräch (siehe StadtRevue 11/2011).

 

Und im Georgsviertel, wo an der Severinstraße einst das Historische Archiv stand, aber heute ein Loch klafft, haben Bürger selbst Vorschläge zur künftigen Nutzung machen können: Errichtung einer Gedenkstätte, Erwei­terung der angrenzenden Schulen, aber auch Wohnbebauung, wie sie vor allem Baude­zernent Streitberger befürwortet. Zurzeit wird die Dokumentation des zweitägigen Bürger-Workshops von der Verwaltung erarbeitet. Am 2. Dezember soll sie der Öffentlichkeit präsentiert werden.

 

Monika Rainer hat an diesem Beteiligungsverfahren teilgenommen. Sie ist Sprecherin der Initiative »Statt Archiv« im Georgsviertel. In den 80er Jahren mischte die Südstädterin bei den neuen sozialen Bewegungen mit. An der Eifelstraße hatte sie ein Frauenzentrum aufgebaut. »Damals ist es immer gleich ums große Ganze gegangen, das man ändern wollte«, sagt sie. »Heute ist es nicht mehr so ideologisch. Und das macht wesentlich mehr Spaß. Ich ­befasse mich jetzt mit konkreten Dingen«, erklärt sie den Unterschied zu damals.

 

Konkret, das heißt in diesem Fall: mit der Zukunft des Georgsviertels, dem Quartier rund um das Loch, das der Einsturz an der Severinstraße hinterlassen hat. Die Stadt hat Quartiers-Rundgänge organisiert, anschließend wurden die Belange von Anwohnern mit den Interessen der angrenzenden Schulen, etwa dem Friedrich-Wilhlem-Gymnasium (FWG) und der Königin-Augusta-Schule (KAS), abgeglichen. Auch Künstler meldeten sich zu Wort. Ihr Anliegen war vor allem, einen angemesse­nen Ort des Gedenkens zu gewährleisten. Eine übliche Gedenkplatte sei zu wenig angesichts  der Katastrophe vom 3. März 2009, sagt Monika Rainer, die sich auch bei »Köln kann auch anders« engagiert, jener Initiative, die sich seit dem Archiveinsturz für einen grundlegenden Wandel der politischen Kultur einsetzt. Obwohl es sich also im Georgsviertel um einen symbolisch enorm aufgeladenen Ort handelt – die Verantwortungslosigkeit der Organisation des U-Bahn-Baus wurde hier mani­fest – ist die Bürgerbeteiligung gut verlaufen.

 

Und das auch trotz der Tatsache, dass der Rahmen eng gesteckt war. Denn die An­sprü­che der Schulen, die mehr Raum für die Um­stellung von Zwei- auf Dreizügigkeit und die doppelten Abiturjahrgänge benötigen, waren deut­lich zu spüren. Die Schlagworte »Kin­der« und »Bildung« hätten Einwände schnell zum Tabu gemacht, erzählen Teilnehmer. Den­noch ist Monika Rainer »positiv überrascht«. Auch Bernd Streitberger ist mit dem Workshop zufrieden: »Meine Befürchtung, dass am Ende alles Schule ist und somit ein lebendiges Viertel verhindert wird, ist nicht eingetreten.«

 

Bei der Ehrenfelder Initiative, die ein Einkaufszentrum auf dem Helios-Gelände verhindern will, ist die Stimmung im Vorfeld der Bürgerbeteiligung, die am 1. Dezember startet, ebenfalls zuversichtlich, trotz aller Skep­sis. Die Architektin Almut Skriver ist Sprecherin der Gruppe Stadtentwicklung innerhalb der Bürgerinitiative Helios. Als sie von den Plänen für eine Shopping Mall hörte, sei sie gleich in die nächste Sitzung der Bezirksvertretung gegangen. Dort habe sie dann zwar nichts Neues erfahren, aber ein Flugblatt der Wählergruppe Deine Freunde gefunden, die den Anstoß gaben, einen Initiative gegen die Pläne des Investors zu gründen. »Eigentlich bin ich gar kein Vereinsmensch«, sagt Skriver. »Aber ich musste an die Köln-Arcaden in Kalk denken. Da war klar, dass ich mich engagieren muss!«

 

So wie Skriver, die bislang allenfalls in Elterninitiativen oder im Förderverein der Schule ihrer beiden Kinder aktiv war, finden viele über die neuen Kölner Protestbewegun­gen zur Politik. Durch konkre­te Projekte im Viertel – nicht über eine Parteiprogrammatik. »Das wäre mir zu abstrakt«, sagt Skriver. Dass die Bürger endlich von den Politikern ernst genommen werden, weil sie fachliche, aber auch »Veedelskompetenz« vor­weisen können, findet Skriver gut. »Aber es ist wie beim Kinderkriegen: Wenn man wüsste, wie viel Arbeit das wird, würden’s viele nicht machen«, sagt sie  scherzhaft. Dass immer nur die gebildete Mittelschicht ihre Interessen vorbringe, lässt Skriver nicht gelten: »Jeder kann sich schließlich engagieren und einbringen. Und ich ­glaube daran, dass der Bürger immer auch das Gemeinwohl im Sinn hat und von eigenen ­Interessen abstrahieren kann.«

 

»Bei der Informationsveranstaltung zum Helios-Gelände im September letzten Jah­res saßen 700 Menschen im Saal. Normalerwei­se haben wir bloß 250 Interessierte, oft weniger«, sagt Planungsdezernent Streitberger. Allerdings auch, so der Dezernent, weil in Ehren­feld die dortige Club-Szene sich sehr stark engagiert habe. Denn auch das Underground sollte den Plänen des Investors zum Opfer fallen. »Da ist vieles über die neuen sozialen Netzwerke gelaufen, mit einem Schwerpunkt auf dieser Club-Szene, über die anderen Belange wurde verhältnismäßig wenig gesprochen«, meint Streitberger.

 

Helios-Gelände und Georgsviertel mö­gen für einen politischen Wandel stehen, doch nutzt die Stadtspitze das Trend-Label »Bürgerbeteiligung« auch für Etikettenschwindel. So die SPD, als sie im Juli eine »Einwohnerbefragung« zur Erweiterung des Godorfer Hafens ansetzt, tatsächlich derart aber nur den Koalitionsstreit mit den Grünen von den Bürgern schlichten lassen will. Schlimmer noch: Die Abstimmung gewannen zwar die Ausbaugegner, doch erreichten sie nicht das vorher festgelegte Quorum, eine Mindestzahl von Stimmen, die die Wahl erst gültig machen.

 

Thorsten Sterk, NRW-Sprecher von »Mehr Demokratie«, einem bundesweiten Ver­ein, der sich für mehr Bürgerbeteiligung und di­rekte Demokratie einsetzt, hält solch ein Quo­rum wie bei der Einwohnerbefragung zum Go­dorfer Hafen für undemokratisch. »Mehrheit entscheidet – das ist das demokratische Prinzip«, sagt Sterck. »Erst wenn es kein Quo­rum gibt, müssen auch die Gegner eines Bürger­be­gehrens um jede Stimme kämpfen. Ansons­ten können sie hoffen, dass das Quorum nicht erreicht wird.« So aber sei die Hürde für Bürger­begehren unzulässig höher: Deren Be­für­wor­ter müssen nicht nur die Mehrheit erzielen, sondern auch noch eine Mindeststimmenzahl.

 

Im Falle der Godorf-Abstimmung fühlen sich nun Gegner wie Befürworter als Sieger. Die Be­fürworter, weil sie die Merheit haben, die Geg­ner, weil das Quorum nicht erereicht wurde. Helmut Feld und Dieter Neef, Sprecher der »Aktionsgemeinschaft Contra Erweiterung Go­dorfer Hafen« schütteln über die »Einwoh­nerbefragung« nur noch den Kopf: Nein, mit Bürgerbeteiligung habe diese SPD-Idee nichts zu tun. Allerdings habe sie ihnen die Gelegenheit gegeben, die Argumente gegen den Ha­fen­ausbau stadtweit vorzubringen – gegen die Über­macht von Oberbürgermeister Roters und seiner SPD und vor allem gegen die Häfen und Güterverkehr Köln AG, die Industrie- und Handelskammer, die Gewerkschaften.

 

Dass die Initiativen vor allem Partikularinteressen verträten würden, dass lassen die beiden Rentner nicht gelten. Helmut Feld, CDU-Mitglied und seit Mitte der 80er Jahre engagiert, sagt: »Früher ging es hier um Natur­schutz, aber wir können auch nachweisen, dass der Ausbau wirtschaftlich falsch ist. Dennoch werden wir immer als ewig Gestrige hingestellt, die Partikularinteressen hätten«. Die Interessen der Wirtschaft werden hingegen immer als gut für das Allgemeinwohl dargestellt.« Man sei politisch breit gefächert, bis hin zu Attac und linken Gruppen, sagt Felds Mitstreiter Dieter Neef. Gerade eben hat man sich mit »Köln kann auch anders« koordiniert. Die Initiative hat »Prüfsteine zur Einleitung eines glaubhaften Wandels der politischen Kul­tur« vorgelegt, dem sich eine Vielzahl der Köl­ner Bürgerinitiativen angeschlossen haben: Sie fordern, dass Bürger Zugang zu allen nötigen Informationen bekommen, zudem sollen die Parteien angehalten werden, auf Gesetzesänderungen zu drängen: etwa um eine Offenlegung von Verträgen zu gewährleisten, die die Kommunen abschließen. Frank Deja, Sprecher von »Köln kann auch anders«, sagt zum Zustand der Bürgerbeteiligung in Köln: »Solange OB Roters mit schlechtem Beispiel vorangeht und Kölner Bürgern vorwirft, sie seien zu kritisch oder hätten ihn – wie beim Bürgerbegehren für die Schauspielsanierung – getäuscht, sind das Signale, die zeigen, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt.«  

 

Wie sehr vermeintliche Mitmach-­Politik die Bürger geradezu vergrault, zeigt der Kölner Bürgerhaushalt. Zwar bietet sich hier allen die Möglichkeit, Vorschläge einzureichen – zuletzt zu den Etats Jugend, Kultur und Wirtschaftsförderung. Doch nie waren die Teilnehmerzahlen schlechter. Weil das Ver­fahren mit tatsächlicher Beteiligung an haushaltspolitischen Entscheidungen gar nichts nichts zu tun habe, sagt Deja. »Das Motto ›Deine Stadt, Dein Geld‹ ist reine Augen­wischerei«, findet er. Und Helmut Feld von den Hafenausbaugegnern sagt: »Der Bürger kann sich darin nicht wiedererkennen, weil selbst die am höchsten bewerteten Ideen unter Finanzierungsvorbehalt stehen«. Er habe schon gar keine Lust mehr, mitzumachen.  

 

Andere Initiativen nutzen den Bürgerhaushalt für ihre Anliegen: die Bürgerinitiative Helios etwa, um das Einkaufszentrum zu verhindern. Dennoch ist auch Thor Zimmermann von der Wählegruppe Deine Freunde, selbst aktiv gegen die Pläne des Investors, kritisch. Die Stadt Köln betreibe mit dem Bürgerhaushalt »eher etwas Feldforschung, als dass sie die BürgerInnen an politischen Entscheidungen partizipieren lassen würde.«

 

Manfred Kreische, Allround-Aktivist aus Kalk und immer dabei, wenn es um die Stärkung von Bürgerbeteiligung geht, sieht die Verantwortung bei Verwaltung und Politik. Der ehemalige Grünen-Politiker kämpft von Beginn an mit Akteuren der »Lokalen Agenda 21« für einen »ehrlichen Bürgerhaushalt« in Köln. Kreische schlägt beispielsweise vor, die die Stadtbezirke oder auch Veedel mit einem Budget auszustatten. Dabei sollten Vorschläge zu allen Haushaltsbereichen, nicht nur wie dieses Jahr zu Jugend, Kultur und Wirtschaftsförderung, gemacht werden. »Bei einer Budgetierung müssen die Akteuere der Stadtbezirken untereinander verhandeln: Der eine Bezirk bekommt etwa aus dem Kulturetat des anderen, der andere gibt dafür seinen Sportetat«, erklärt Kreische die Idee.

 

Das mag utopisch sein, fest steht aber, dass das jetzige Verfahren die Bürger nicht ­be­geistert. Bei der Auftaktveranstaltung ver­irr­ten sich gerade mal vierzig Interessierte ins VHS-Forum am Neumarkt, außer dem umtriebigen Linke-Fraktionschef Jörg Detjen war kein Ratspolitiker anwesend. Selbst die Stadtkämmerin Gabriele Klug (Grüne), zuständig für städtische Finanzen, hatte wichtigere Termine.

 

Für Kreische muss Bürgerbeteiligung überhaupt mehr sein. Damit geht er Politik und Verwaltung regelmäßig auf die Nerven. Ihm schwebt eine »möglichst transparente, barrierefreie und ergebnisoffene Beteiligung vor«. So wie es etwa Peter C. Dienel in den 70er Jahren als »Planungszelle« entwickelt hat: Über ein bestimmtes Losverfahren wird ein repräsen­tativer Querschnitt der Bürgerschaft zusam­men­gestellt. Am Ende erstellen die Bürger in Planungszellen dann mit beauftragten Experten ein »Bürgergutachten«. 1979 wurde dieses Verfahren beim städtebaulichen Wettbewerb rund um Rathaus und Gürzenich erstmals in einer Großstadt durchgeführt. Kreische meint: »Die Arbeit der Bürger war so überzeugend, dass dieses Verfahren in Köln seitdem nicht mehr angewendet wurde«. Planungsdezernent Streitberger hingegen hält die Planungszelle bloß für ein »Experiment«, das für umkämpfte Orte wie etwa das Helios-Quartier in Ehrenfeld nicht geeignet sei. »Dort kann man nicht mit zu­fällig ausgewählten Bürgern als sogenannte Pla­nungsadvokaten arbeiten. Dort muss man die Leute, die es angeht, an einen Tisch bringen.«

 

In Ehrenfeld soll’s stattdessen eine »Lenkungsgruppe« richten, besetzt mit Interessenvertretern aus dem Veedel, darunter Einzelhändler, Kreativwirtschaft, die Bürger­initiative – und mit Vertretern von Politik und Verwaltung. »Das hat sich bewährt«, sagt Streitberger. In drei Bürgerversammlungen werde die Lenkungsgruppe Vorschläge sammeln und konkretisieren und am Ende eine Empfehlung aussprechen. Moderiert wird das Verfahren vom Köln-Luxemburger Büro Dewey Muller. Ausgewiesene Architekten und Stadtplaner, allerdings keine profilierten Moderatoren. Doch die Bezirksvertretung Ehrenfeld ließ sich von dem Büro überzeugen, aufgrund eines erfolgreichen Moderationsverfahrens in Luxemburg.

 

Auch der Ehrenfelder Bezirksbürgermeister Josef Wirges (SPD) begrüßt das Verfahren. Doch seine Partei tut sich insgesamt noch schwer mit dem neuen Bürgerengagement. Jochen Ott, Kölner Parteichef und Vize der Landes-SPD, wünscht sich stattdessen, dass mehr Bürger »sich in Parteien engagieren«. Das parlamentarische System sei die wichtigste Säule für Bürgerengagement, betont Ott. »Di­rek­te Demokratie sehe ich kritisch. Wir haben das Problem, das sich die große Mehrheit nicht beteiligt, sondern meist nur die Leute, die direkt betroffen sind.« Ott verweist darauf, wie schwierig dann etwa der Bau einer Forensischen Klinik in Porz oder einer Moschee in Ehrenfeld gewesen wäre; tatsächlich waren hier viele Stimmen der Anwohner geprägt von Ressentiments und Vorurteilen.

 

Ein weiterer Kritikpunkt: Migranten werden in Köln mit den neuen Beteiligungsverfahren bislang nicht erreicht. Martin Rüttgers, Kölner Politologe und als Moderator bei Bürgerbeteiligungen aktiv, unter anderem auch im Georgsviertel, sagt hingegen: »Wenn die SPD befürchtet, dass bei Bürgerbeteiligungen Migranten und Artikulationsschwache außen vor blieben, muss sie mit Sozialarbeit und Quar­tiersmanagement ernstmachen.« Rüttgers be­richtet, wie er in Vingst mit Verfahren wie Planning-for-real gearbeitet hat: »Da stellt man Papp-Nachbauten des Quartiers auf einen Platz, und die Bürger können einfach zeigen, wo ihrer Meinung nach Bäume oder ein Bolzplatz hingehören«. In anderen Städten sei man in der Methodik weiter als in Köln, so Rüttgers.

 

So lange aber in Köln nach den gängigen Verfahren gearbeitet wird, bleiben diese Gruppen tatsächlich außen vor. Das betrifft zum Beispiel auch Senioren, denen die Nutzung des Internets nicht vertraut ist. Manfred Kreische beklagt unter anderem, dass die Stadt beim letzten Bürgerhaushalt die Anlaufstellen in den Bezirksrathäusern abgeschafft habe, wo Vorschläge per Brief, mündlich oder selbst am PC eingegeben werden konnten.

 

Auch deshalb ist es kaum verwunderlich, dass beim Bürgerhaushalt am Ende in allen drei Etat-Bereichen jene Interessengruppen vorne liegen, die über das nötige technische Know-how und ein gut funktio­nierendes, engmaschi­ges Netzwerk verfügen. Die Verhinderung des Einkaufszentrums auf dem Helios-Areal steht auf eins in der Sparte »Wirtschaftsförderung«! Besonders pikant ist die Abstimmung im Bereich Kultur: Aktivis­ten aus dem Autonomen Zentrum (AZ) in Kalk haben so viele Unterstützer mobilisiert, dass der Erhalt des Zentrums jetzt formal wichtigste Kulturangelegenheit aus Sicht der Kölner Bürger ist. Zumindest hier, in der virtuellen Welt, sind die Forderungen der AZ-Aktivisten nach »Selbstbestim­mung« und einem »hierarchiefreien Raum« also schon Mainstream. Und so halten dann doch noch das »große Ganze« und der Protest-Sound der 80er Jahre Einzug in die neuen Formen der Bürgerbeteiligung.