Stranger Than Fiction

»Gescheiterte Utopien« wäre ein passender Untertitel der 14. Ausgabe des Kölner Dokumentarfilmfestivals Stranger Than Fiction. Gleich vier Filme beschäftigen sich im diesjährigen Programm mehr oder minder direkt mit den meist deprimierenden Ergebnissen großer gesellschaftlicher, politischer oder pädagogischer Entwürfe.

 

In »Geschlossene Gesellschaft« etwa zeichnen Luzia Schmid und Regina Schilling nach, wie der reformpädogogische Ansatz der Odenwaldschule letztlich den massenhaften Missbrauch von Schülern durch Lehrer begünstigt hat – die Auflösung strenger Hierarchien zwischen Pädagogen und Schülern machte Grenzüberschreitungen leichter. Während »Geschlossene Gesellschaft« angenehm nüchtern auf das emotional hoch explosive Thema Kindesmissbrauch schaut, ist Renato Martins Kuba-Porträt »A Letter to the Future« leider von einem allzu romantisierenden Blick geprägt. Sein Langzeitporträt der patriotischen Familie Torres spart die Alltagsprobleme im karibischen Sozialismus nicht aus – die die Protagonisten allerdings alle auf das US-Embargo schieben. Größeres Gewicht bekommen die altbekannten Inselklischees vom Charme des verfallenden Havannas bis hin zur lebendigen Musikszene. Ganz anders ist da Annkathrin Hendels großartiger »Vaterlandsverräter«. Auch sie erzählt vom Scheitern des real existierenden Sozialismus’ anhand eines Porträts – allerdings ohne jeglichen nostalgischen Zuckerguss. Im Mittelpunkt steht der ehemalige DDR-Schriftsteller Paul Gratzik, der heute verbittert in der Uckermark lebt. Die Filmemacherin konfrontiert ihn mit seiner Stasitätigkeit. Zunächst wehrt der alte Mann alle Fragen mit Gegenattacken wirsch ab, mit der Zeit aber öffnet er sich. Und es wird deutlich: So leicht lässt sich die Grenze zwischen Täter und Opfer nicht ziehen.

 

Wer einen hoffnungsvolleren Blick auf diverse Alt- und Neu-Utopien werfen will, sollte sich »Empire Me« anschauen. Der österreichische Filmemacher Paul Poet besucht sechs Mikronationen, von den »Schwimmenden Städten von Serenissima« bis zum Königreich Hutt River. Auf seiner Reise zeigt sich: Je weniger ernst eine Utopie genommen wird, des-to besser lässt es sich in ihr leben.