»Den Kult der heiligen Kameradschaft will ich unterwandern«

»Kriegerin« zeigt realitätsnah das Milieu ostdeutscher Nazis:

Regisseur und Drehbuchautor David Wnendt über feminis­tische Skingirls, mobbende Kameradschaften und den schwierigen

Ausstieg aus der Szene

StadtRevue: Bis zur Berichterstattung über die Zwickauer Terrorzelle wurden weibliche Neonazis meist nur als Anhängsel ihrer männlichen Schlägerfreunde wahrgenommen. Mit Marisa stellt Ihr Film einen weiblichen Skinhead ins Zentrum. Wie entstand die Idee?

 

David Wnendt: Als ich für ein Fotoprojekt 98/99 durch die Lausitz, Sachsen und Sachsen-Anhalt gefahren bin, hat mich die enorme Zahl rechter Jugendlicher irritiert. Das war dort einfach Normalität. Auch für die Erwachsenen. Als es zum Ende meines Filmstudiums um ein Thema für den Abschlussfilm ging, habe ich wieder angefangen zu recherchieren. Bei der Sichtung aktueller Forschung bin ich darauf gestoßen, dass die Zahl politisch aktiver und gewaltbereiter Frauen in der rechten Szene stark zugenommen hat. Trotzdem tauchen sie in der öffentlichen Wahrnehmung nicht auf. Auch in Filmen wie »Oi! Warning« spielen Frauenfiguren nur Nebenrollen. Selbst bei Straftaten ist es häufig so, dass die Polizei die Männer verhaftet und die Frauen nur als Zeugen vernimmt. Weil sie deren Beteiligung nicht wirklich ernst nimmt. Besonders interessant fand ich den Widerspruch, in dem rechtsextreme Frauen leben: In ihrer Ideologie haben sie nur einen Platz als Mutter am Herd, damit lässt sich ihre Aktivität als Skingirl aber eigentlich nicht vereinbaren.

 

Sie haben vor dem Dreh viele weibliche Neonazis interviewt. Wie sieht das Selbstverständnis dieser Frauen aus, wie gehen sie mit dem von Ihnen beschriebenen Widerspruch um?

 

Manche blenden ihn einfach aus. Leben und Ideologie laufen parallel nebeneinander. Sie sprechen sich zwar gegen Emanzipation aus, verschieben aber ein ideologiegemäßes Leben auf später. Andere rechte Frauen versuchen, als intellektuelle Lösung eine Art braunen Feminismus zu begründen. Konkret müssen Frauen wegen der Widersprüche im Rollenbild stärker um ihren Platz kämpfen. Andererseits genießen viele ihren Sonderstatus in diesen Männergruppen. Prozentual gesehen sind sie in der Szene ja immer noch eine Minderheit. Deshalb sind sie manchmal besonders aggressiv, auch anderen Frauen gegenüber. 

 

Worin bestand für Sie bei der Drehbuchentwicklung die größte Herausforderung?

 

Überhaupt ein Drehbuch zu schreiben. Schließlich habe ich Regie studiert. Es ging darum, das Recherchematerial in eine dramaturgisch geformte Geschichte zu bringen. Eine Figur zu schaffen, die die Vielschichtigkeit der interviewten Frauen wiedergibt. Ich wollte einen Film machen, der realistisch und glaubwürdig ist und auch ein jüngeres Publikum erreichen kann, ohne langweilig und allzu pädagogisch zu sein.

 

Die psychologischen Gründe für den Einstieg in die Szene – der liebevolle Nazi-Opa, der tyrannische Stiefvater – wirken etwas plakativ. Zugleich erscheint Marisas Distanzierung von der Szene erstaunlich geradlinig.

 

Es gibt nicht einzelne Gründe für den Einstieg. Manche fallen im Film sofort ins Auge, andere sind subtiler. Besonders wichtig ist das ideologische Vakuum in der Elterngeneration. Das alternativlose Bekenntnis zur Demokratie fehlt von deren Seite. Der Großvater oder der strenge Stiefvater sind da nur wichtige Faktoren neben anderen. Der Ausstieg ist ein ebenso komplizierter Ablösungsprozess. Ich habe versucht, Marisas Ausstieg als Entwicklung zu zeigen, bei der auf einen Schritt nach vorne, ein Schritt zurück folgt – indem sie etwa der Gewalt nicht abschwört. Es gibt keinen Einschnitt, der sie mit einem Mal vollständig verändert.

 

Dennoch hatte ich den Eindruck, dass ihr innerer Widerstand nicht allzu stark ausfällt. Läuft man nicht Gefahr, die Bindungskraft der Szene als Identitätsstifter und Ersatzfamilie zu unterschätzen?

 

Der Ausstieg ist ein mühevoller Prozess. Man muss sich ablösen von Leuten, mit denen man jahrelang viel Zeit verbracht hat, man hat vielleicht das Gefühl sein Leben verpfuscht zu haben. Aber Aussteiger sehen die Szene hinter-her mit anderen Augen. Ich denke, wenn man erst einmal eine so fundamentale Ernüchterung erfahren hat, kann man vielleicht noch weiter an Teile der Ideologie glauben, aber kaum mehr an die Gruppe. Ich habe diese rechten Gruppen oft als traurige Haufen erlebt. Den Kult der heiligen Kameradschaft will ich ja unterwandern. Real gibt es da eine Menge Mobbing. Ich versuche, dieses Ideal der rechten Szene als Illusion zu entlarven.

 

Wenn ein Film die Faszination des Rechtsextremismus ausspielt, wie etwa »American History X«, wird ihm Verherrlichung vorgeworfen. Wie viel Faszination muss man zeigen, um die Anziehungskraft zu verstehen?

 

Jeder Regisseur muss das selber ausloten. Ich habe versucht, einen Wechsel zwischen Distanz und Nähe umzusetzen, eine Balance zu finden zwischen Momenten, in denen man der Figur nahekommen kann, und Momenten, in denen man abgeschreckt ist, sich distanziert und von außen beobachtet. Natürlich kann jeder Film Applaus von der falschen Seite bekommen – ein bekanntes Phänomen bei Kriegsfilmen. Wichtig ist mir, dass das Publikum, das ich erreichen will, den Film richtig versteht. Die Schulvorstellungen, die wir bislang hatten, bestärken mich darin, dass es funktioniert. Aber auch Aussteiger fanden, dass der Film eine authentische Darstellung der gegenwärtigen rechten Szene vermittelt.