Auf Kaperfahrt im Fahrstuhl: Mike Nolte und Sebastian Wieloch, Foto: Manfred Wegener

Ohne Kompass auf dem Ausflugsdampfer

Die Piraten versetzen derzeit die etablierten Parteien in Unruhe. Nach neuesten Umfragen kämen sie gar in den Bundestag. Und wie sieht’s in Köln aus? Martin Klein hat mit zwei Piraten Kaffee getrunken

Mit einem Vertreter der Partei zu sprechen, die sich als die Partei der Informationsgesellschaft versteht, ist erstaunlich schwierig. Zunächst bleiben die Anrufe beim Generalsekretär der Kölner Piratenpartei unerwidert. Als es dann klappt, platzt der erste Termin. So dauert es eine ganze Weile, bis wir schließlich doch noch über Politik, Perspektiven und Piratenprogramme sprechen.

 

Vielleicht war das Kommunikationsmedium schlicht zu old school: Telefon! Sicher wären wir twitternd schneller zusammengekommen, oder über Xing, Facebook und was Deutschlands führende Netzpartei sonst noch bespielt. Doch Generalsekretär Mike Nolte betont, er sei zwar Informatiker von Beruf, aber nicht die Netz-Affinität der Piratenpartei sei der Grund gewesen, ihnen beizutreten, sondern deren Idee, Transparenz und  kompromisslose Bürgerbeteiligung in politischen Prozessen einzufordern. »Ich war als 16-jähriger kurz bei den Ehrenfelder Jusos, doch die waren bereits völlig verkrustet, da war nichts zu bewegen«, so Nolte. »Bei mir entwickelte sich wie bei so vielen politisch Interessierten eine  Parteienverdrossenheit, die immer stärker zunahm.« Politikverdrossen aber sei er nie gewesen. Alle etablierten Parteien mit ihren Strukturen und ihrer Verlogenheit hätten ihn jedoch abgestoßen: Die SPD sei spätestens seit Hartz IV keine Arbeiterpartei mehr, die Grünen nicht konsequent ökologisch, die FDP, wenn überhaupt, wirtschaftsliberal, und eine CDU, die Atomausstieg und Mindestlöhne beschließe, opportunistisch. Schlimmer noch sei, so Nolte, dass die Basis in den Parteien nur noch dazu diene, die Beschlüsse der Führung abzunicken.

 

Der 45-Jährige mit dem Bürstenhaarschnitt hat seine Berufstätigkeit inzwischen auf die Hälfte reduziert, um mehr Zeit für die Parteiarbeit zu haben. Groß, kräftig und raumgreifend verdeutlicht er in idealtypischer Weise, warum Parteigeneralsekretäre gerne auch kurz als »General« bezeichnet werden.  Dabei sind für ihn Transparenz und Mitwirkung der Basis höchste Güter. Nicht einmal Mitglied muss sein, wer Eingaben machen möchte. Das kann auch online geschehen; die Piraten haben mit Liquid-Feedback eine Software programmiert, mit der das Programm der Partei entwickelt wird: Jeder kann sich im Internet dazu anmelden, jeder kann Anträge stellen und diskutieren. Beispielsweise über das bedingungslose Grundeinkommen, das wohl eine zentrale Forderung der Piraten im Bundestagswahlkampf 2013 werden wird. Das anfangs schmale Programm der Piraten wird breiter, umfasst mittlerweile sämtliche Politikfelder. Das Minderheitenthema Urheberrecht, mit dem die Piraten einst angetreten sind, rückt immer weiter in den Hintergrund. »Piraten sind sehr dissensfähig«, sagt Mike Nolte zur produktiven Debattierkultur seiner Partei.

 

Dass die Piraten 2013 in den Bundestag einziehen, gilt als ausgemacht. Mediales Zugpferd ist die 24-jährige Marina Weisband. Die Psychologiestudentin aus Münster repräsentiert als Politische Geschäftsführerin idealtypisch all das, was mit ihrer Partei assoziiert wird. Sie war bekennende Nicht-Wählerin und lebt die viel zitierte Transparenz aus und vor. So berichtet sie in Tweets und Facebook-Einträgen von ihrem Frühstück oder ihren Menstruationsbeschwerden. In Interviews ist sie ähnlich offenherzig und bekennt sich gegebenfalls zur Unkenntnis mancher politischen Materie. Das macht sie wett durch Spontaneität und Klugheit, ausgesprochen fotogen ist sie auch noch. Der »Spiegel« weiß seit ein paar Monaten gar nicht mehr, was er ohne die gebürtige Ukrainerin machen soll.

 

Junge gebildete Nicht-Wähler mit pragmatischen Positionen will auch der im August  2010 gegründete Kreisverband Köln ansprechen. 226 Mitglieder sind in Köln registriert, Tendenz steigend. Der Einzug der Piraten in den Berliner Senat mit sensationellen 8,9 Prozent der Stimmen hat Ende letzten Jahres bundesweit für noch mehr Zulauf gesorgt. In den Umfragen liegen die Piraten derzeit bei sieben Prozent und haben die FDP weit hinter sich gelassen. »Wir haben enttäuschte Wähler von anderen Parteien geholt, vor allem aber haben wir die Nicht-Wähler mobilisiert«, erklärt Nolte die Erfolgsgeschichte. Verdrossene, Mitglieder von Nicht-Regierungsorganisationen, Einzelkämpfer – heterogener als bei den Piraten könne es überhaupt nicht zugehen, sagt er.

 

Im Gegensatz zu Nolte entspricht der 37-jährige Sebastian Wieloch, Beisitzer des Kölner Vorstands, mit langer Hacker-Mähne und großen weißen Turnschuhen schon eher dem Bild des klassischen Nerds, das viele mit der Piratenpartei verbinden. Passend dazu kam er über die Computerspiele-Messe Gamescom zur Partei. Dort, auf der heiligen Messe der Steve-Jobs-Gläubigen und Bill-Gates-Apologeten, hatten die Piraten einen Info-Tisch aufgebaut. Wieloch hat die Mitgliedsnummer 9612. Auf dem »Politischen Kompass« auf der Homepage der Piratenpartei ordnet er sich als tendenziell links und libertär ein.

 

Zur Auswahl standen auf dem Raster auch »autoritär« und »rechts«. Und weil sich tatsächlich jeder einbringen kann, gab es bereits bizarre Versuche, die Piratenpartei zu entern. So versuchte die heimatlos gewordene Atomlobby im Parteiprogramm Anträge auf einen Ausstieg aus dem Ausstieg zu platzieren. »Da haben sich aber ganz schnell und deutlich ganz viele Gegenstimmen formiert«, erklärt Nolte. Das zeige, wie gut die Partei funktioniere. Eine Instrumentalisierung sei nahezu ausgeschlossen, denn die Mehrheit der Mitglieder vertrete vernünftige Positionen, ohne Dogma und ohne Bastas im Stil von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Für Köln bedeutete das in der jüngeren Vergangenheit, dass die Piraten für den Erhalt der Bäder in Nippes und Weiden sowie gegen den Abriss des Schauspielhauses eintraten. Auch beim Anti-Rechts-Bündnis »Köln stellt sich quer« und auf Fahrrad-Sternfahrten für eine andere Verkehrspolitik engagieren sie sich.  

 

2014 soll mit der Kommunalwahl die große Stunde der Kölner Piraten kommen, die laut Nolte durchaus Berührungspunkte zu Parteien im Kölner Stadtrat haben: vor allem zum Wählerbündnis Deine Freunde. Mit dem Zweiten Vorsitzenden des Kreisverbands Thomas Hegenbarth sei auch schon ein Spitzenkandidat gefunden, wenn es nach Generalsekretär Nolte geht. Personal ist also da – fehlt nur noch ein Programm für Köln. Das zu schreiben wird so einfach nicht, wie sich im vergangenen Jahr zeigte. Bei der Diskussion über den Ausbau des Godorfer Hafens schlugen die Piraten zwar ein geringeres Quorum vor als das von der Verwaltung geplante. In der inhaltlichen Frage über den Ausbau jedoch konnte sich die Piratenpartei zu keiner eindeutigen Haltung durchringen. Und hier zeigt sich auch ihr Handicap: Die Partei hat noch kein definiertes Programm, das zur Wahl steht. Stattdessen unterwirft sie sich einem ständigen Prozess der Meinungsbildung. Es müssen fortlaufend Mehrheiten organisiert werden – für Initiativen, die laufend modifiziert werden können. Es gebe zwar bereits erste Teile eines Kölner Programms, diese müssten aber bis zur Wahl nicht zwingend Bestand haben, räumt Mike Nolte freimütig ein.

 

Der Generalsekretär der Piraten hat eine kräftige und laute Stimme. So laut, dass sich am Ende des Gesprächs der Besitzer des Cafés am Eigelsteintor einschaltet. Um welche Partei es eigentlich gehe, möchte er wissen, und um welches Programm. Nolte und Wieloch können die zweite Frage nicht beantworten, laden ihn aber herzlich ein, in den öffentlich tagenden Arbeitskreisen an eben diesem Programm mitzuwirken.