Kino der Attraktionen

Liebeserklärung an das frühe Kino – in 3D:

Hugo Cabret von Martin Scorsese

Nostalgie ist immer dann am stärksten, wenn ihr Gegenstand im Verschwinden begriffen ist. In den nächsten Jahren dürfte dem analogen Kino und seinen mechanischen Apparaten deshalb noch so manche Träne nachgeweint und mancher Kranz geflochten werden. Martin Scorsese setzt in dieser Hinsicht Maßstäbe, auch wenn man es zunächst gar nicht merkt.

 

Sein Film spielt Anfang der 30er Jahre in Paris und handelt von einem zwölfjährigen Waisenjungen, der in den Dachgewölben eines großen Bahnhofs lebt. Hugo bedient sich heimlich in den unter ihm liegenden Geschäften und kümmert sich anstelle seines spurlos verschwundenen Vormunds um die riesigen Werke der Bahnhofsuhren. Seine besondere Hingabe aber gilt einem menschenähnlichen Automaten, dem zum Funktionieren nur ein Herz in Form eines Schlüssels fehlt. Eben diesen trägt die Adoptivtochter eines Spielzeugmeisters um den Hals. Als die Kinder den Automaten zum Leben erwecken, malt er in ruckelnden Bewegungen das Titelbild eines der berühmtesten Filme des frühen Kinos aufs Papier: »Die Reise zum Mond« (1902) von Georges Méliès.

 

Nach dieser Entdeckung wandelt sich »Hugo Cabret« von einer süßlichen »David Copperfield«-Variante in eine Spurensuche nach den Pioniertagen des Kinos. Sie führt in das gläserne Filmstudio des berühmten Trickfilmers Méliès und immer wieder in so unwirklich schöne Kulissen wie sie nur das moderne Kino entwerfen kann. Paris, die Geburtsstadt des Films, ist für Scorsese auch die Stadt der Träume und der Cinephilie, in deren Kinos schon wenige Jahre nach Einführung des Tonfilms die ersten Stummfilm-Retrospektiven zu sehen sind.

 

Allerdings erscheint »Hugo Ca­bret« für eine Liebeserklärung ans frühe Kino schon wieder zu perfekt. Alles ist bis ins letzte Detail geplant, selbst die für die 3D-Technik geschaffenen Räume entfalten eine bisher nicht gesehene Tiefenwirkung. Die Handlung läuft so reibungslos wie die immer wieder ins Bild gerückten Uhrwerke, die für das Innenleben von Kameras und Projektoren stehen.

 

Dabei neigten die Filmpioniere im Gegensatz zu Scorsese gerade nicht dazu, alles zu kontrollieren, sondern sie probierten nach den Prinzip von Versuch und Irrtum aus, was im neuen Medium steckt. Auch hätten sie wohl wenig Sinn für die etwas dick aufgetragene Sentimentalität gehabt. Bei Scorsese wird das Kino aus dem Geist von Mechanik und Fantasie geboren. »Hugo Cabret« zeigt bei aller technischen Meisterschaft von letzterer zu wenig.