Lebendiger Geschichtsunterricht

Rüdiger Pape inszeniert Marius von Mayenburgs Stück Der Stein im EL-DE Haus

StadtRevue: Rüdiger Pape, worum geht es in »Der Stein«?

 


Rüdiger Pape: Zunächst um die Geschichte einer Familie, die in den Westen flüchtet und dann wieder mit einer gewissen Überheblichkeit zurückkommt und ihr Eigentum zurückfordert, als ob in der Zwischenzeit nichts geschehen wäre. Es gibt eine grundlegende Lüge in der Familie: Dass man 1935 eine jüdischen Familie gerettet habe. Daran schließen sich viele kleinere an. Die Zeitzeugen sterben langsam aus, deshalb finde ich es wichtig, dass ein Stück so eine Zeitspanne festhält. Eine Art lebendiger Geschichtsunterricht über Nazis, Flucht und Wiedervereinigung.

 


Sie haben in Köln an der Comedia und am Theater im Bauturm inszeniert. Wie kam es, dass Sie mit einem neugegründeten Ensemble »Der Stein« erarbeiten?

 


Vor ungefähr einem Jahr sind die Schauspielerinnen Maren Pfeiffer und Bettina Muckenhaupt auf mich zugekommen und haben gesagt: »Wir haben ein Stück, das wollen wir spielen!« Das lag dann bei mir eine Weile auf dem Schreibtisch: »Der Stein«. Als ich es gelesen habe, hat es mich sofort gepackt. Wir haben uns zusammengesetzt, eins kam zum anderen...

 


Und wie kam es zur Besetzung von Christiane Bruhn, der diesjährigen Trägerin des Kölner Ehrentheaterpreises?

 


Sie hatte mich nach einer Premiere angesprochen, dass sie gerne mit mir arbeiten will. Das hat mir sehr geschmeichelt. Aber da war noch lange kein Projekt in Sicht. Als wir überlegt haben, wer die Witha spielen soll, passte das wunderbar. Vor allem, weil Maren Pfeiffer und Bettina Muckenhaupt ehemalige Schülerinnen von Christiane Bruhn sind, die ja einige Jahre das Kellertheater und die Schauspielschule geleitet hat. Christiane Bruhn hat uns dann Susanne Krebs für die vierte Rolle vorgeschlagen, eine Absolventin ihrer Theaterschule.

 


Was hat es mit dem Namen »Ensemble 7« auf sich und wird die Gruppe über diese Premiere hinaus zusammenarbeiten?

 


Als wir bei der Stadt einen Antrag auf Förderung gestellt haben, mussten wir uns relativ schnell einen Namen ausdenken. Ensemble ist nahe liegend. Und im Stück gibt es sieben entscheidende Begegnungen. Der Ursprung der Geschichte ist die Aneignung jüdischen Eigentums, im Judentum spielt die Zahl sieben eine gewisse Rolle. Wir gucken jetzt allerdings nur auf diese Produktion, wir haben keine Zeit, über die Zukunft zu spekulieren.

 


»Der Stein« erzählt anhand eines Hauses in Dresden deutsche Geschichte über einen Zeitraum von sechzig Jahren. Haben Sie einen besonderen Bezug zum Thema Wiedervereinigung, zu den neuen Ländern?

 


Ich habe nach der Wende sechs Jahren in den neuen Ländern gelebt und gearbeitet und empfinde es immer noch als eine große Bereicherung, zu dieser Zeit dort gewesen zu sein. Ich kenne Dresden also auch aus der Zeit vor seinem so genannten »Wiederaufbau«. Als ich vor drei Jahren dort am Theater Junge Generation inszeniert habe, habe ich, glaube ich, auch den Stadtteil gesehen, wo Mayenburg das Haus wohl angesiedelt hat: Hellerau, in dem so viele schöne Bauhaus-Villen stehen.
»Der Stein« ist ein ebenso perfekt wie raffiniert gebautes Stück Gegenwartsdramatik...
Die Herausforderung besteht darin, die dramatische Struktur des Stücks mit seinen Zeitsprüngen zu inszenieren. Es gibt viele gespiegelte Situationen, solche, die Entsprechungen in einer anderen Zeit zwischen anderen Personen haben, das macht es so interessant.

 


Und wie lösen Sie das?

 


Ganz funktional, mit Ansagen: »Zeit: 1935, Witha, 24«. Das wird dann ganz leicht. Wir spielen auf Podesten mit unterschiedlichen Höhen, die sich über sieben, acht Meter erstrecken. Die Ausstattung überlassen wir ansonsten der Phantasie der Zuschauer. Ich habe das Gefühl, dass der Text viel besser über die Schauspieler funktioniert als über die Ausstattung.

 


Und die Kostüme? Wir bewegen uns zwischen 1935 und 1993...

 


Es ist schwierig, für vier Schauspielerinnen Kostüme zu machen, die deren jeweilige Generation und ihr Altern beglaubigen. Aber auch das ist letzten Endes eine Frage des Spielens. Wie spreche ich, wenn ich 24, wie spreche ich, wenn ich 81 bin. Es gibt kein Zeitkolorit, sondern eine Setzung. Die Schauspielerinnen machen immer sichtbar, dass sie spielen: Durch das Heraustreten aus der Rolle und durch die Ansagen.

 


Warum wird Wolfgang, die einzige männliche Figur, bei Ihnen von Frauen gespielt?

 



Der Grundgedanke ist, dass Wolfgang von einem Chor der Frauen aus seiner Familie gesprochen wird. Das kriegt eine eigenartige Kraft. Wolfgang als Stimme, die sie selber fortwährend gehört haben, weil ihnen die Geschichte immer wieder erzählt worden ist.

 


Die Aufführung ist im EL-DE-Haus, dem ehemaligen Kölner Gestapo-Gefängnus, zu sehen. Warum?

 


Wir wussten, dass im EL-DE-Haus Aufführungen stattgefunden haben, die Leitung war für unsere Pläne sehr offen. Wir haben die Logistik, die Pressearbeit, den Kartenverkauf an die Gedenkstätte übergeben und dafür einen Spielort bekommen, der zu unserem Stück passt. Ein Spielort, wo Geschichte an den Wänden hängt und spürbar ist. Jeder, der in das Stück geht, weiß, auf welchem historischen Boden er sich befindet. Wir müssen nichts dazu tun, es ist schon alles da.