Leer ist mehr

Rem Koolhaas baut, denkt, plant, veröffentlicht und zeigt Architektur im Jetset-Tempo. Sein Rotterdamer Büro OMA zeichnet für Projekte in Chicago, Den Haag, Euralille, Fukoaka, Lagos und Paris verantwortlich. In Köln leistet er derzeit Entrümpelungsarbeit im Foyer des Museum Ludwig. Ein Gespräch über seine »Architektur des Wegnehmens«.

Eigentlich sollte man sich ja von Menschen, die schnelle Autos lieben und Extrem-Sport treiben, fern halten. Bei Rem Koolhaas darf man sich ausnahmsweise über dieses eherne Gesetz hinwegsetzen. Wenn man ihn zu einem Interview treffen kann, dann meinen es Zufall und Glück gut mit einem: Der »interessanteste Architekturdenker der Gegenwart« (Der Spiegel) und Pritzker-Preisträger ist dafür bekannt, rund um den Globus zu jetten und gleichzeitig in Lagos, New York oder Berlin neue Gebäude zu planen oder urbane Konzepte zu verfassen. Angeblich übernachtet er 300 Nächte im Jahr in Hotelbetten. Das heimische steht in London. Von dort und von Rotterdam aus, wo er seit 1980 sein berühmtes Office for Metropolitan Architecture, kurz OMA, unterhält, koordiniert er seine Vorträge, Ausstellungen, Publikationen und Bau-Projekte. Dazu gehören u.a. das Netherlands Dance Theater in Den Haag, das Nexus Haus in Fukoaka in Japan, die Kunsthal in Rotterdam, die Kongress- und Ausstellungshalle Euralille, die rollstuhlgerechte Villa Lemoine bei Bordeaux, sowie die jüngst gewonnenen Wettbewerbe für den Bau des Illinois Institute of Technology in Chicago und der Niederländischen Botschaft in Berlin. Für 2001 wurde die Fertigstellung des von ihm entworfenen Guggenheim-Museum in Las Vegas erwartet, und die Neugestaltung des Entrée des Museum Ludwig, besser gesagt: dessen Entrümpelung.
Rem Koolhaas hat einen Hang zur Leere. »Architektur des Wegnehmens« lautet deshalb auch sein Credo für Köln. Hätte der Gestaltungsbeirat, dem die Maßnahmen des Teams um Rem Koolhaas »in ihrer fremden Sprache nicht überzeugend« schienen, ihn nicht erstmal ausgebremst, würden die BesucherInnen der ersten von Kasper König kuratierten Ausstellung »Museum unserer Wünsche« im November bereits durch das Koolhaassche Foyer flanieren – wie über eine Straße. Eine Metapher für die neue Öffnung des Museums. Das Publikum soll Kunst quasi en passant erleben. Schon bevor es die Eintrittskarte kauft, kann es über Andy Warhol, James Rosenquist und Co. stolpern und sich vom Foyer aus weiter in die Tiefen des White Cube locken lassen. »Unser Ziel ist es, die traurigen Auswüchse der Architektur, die heute viel zu sehr die Erfahrung des Museums negativ beeinflussen, einfach zu eliminieren«, so Koolhaas. Das heißt: weg von einer »erfahrungsfeindlichen Infrastruktur«, das Publikum soll gleich von außen zur »Essenz« geführt werden.
Die Kasse und die Infotheke kommen deshalb ins Treppenhaus, die Buchhandlung wird vergrößert, vorkragende Lichtdächer verbinden Innen- und Außenraum, so Koolhaas’ Vision. Vor den Eingang auf der Domseite soll ein Schaukasten gesetzt werden, mit einer größeren Drehtür zur Philharmonie hofft man die Seite zur Altstadt hin repräsentativer zu gestalten. Der Umbau soll Schwung ins »magische Quadrat« bringen. »Den Dom, den Hauptbahnhof, den Rhein, die Museen, all diese selten in einem Zusammenhang stehenden Elemente wollen wir durch minimale Eingriffe zum Leben bringen.«
Nicht minimal genug, fanden die Kölner PolitikerInnen und zückten die Stopp-Schilder. Drei Punkte gab es ihrer Meinung nach zu bemängeln: Der neue Westeingang zum Roncalliplatz liege zu weit zurück und sei zu schmal. Die Erweiterung der Buchhandlung wurde als ästhetisch problematisch eingestuft, außerdem hatte man – späte Erkenntnis – 45 cm in fremden Grund und Boden hineingeplant. An dem von Koolhaas vorgeschlagenen hellen Industrieanstrich des Fußbodens konnten die Kölner Politiker auch keinen Geschmack finden. Offiziell hieß es, der niederländische Bauprofi habe gelassen auf die Bitte um Alternativen reagiert. Das Ergebnis der urbanistisch-architektonischen Strafarbeit des OMA-Teams liegt nun am 4. September erneut dem Kulturausschuss zur Entscheidung vor. Entwurf eins zeigt dann die Überarbeitung beschriebener Kritikpunkt; ein zweiter, alternativer Neuentwurf soll sich grundlegend vom ersten unterscheiden. Über Details liegt allerdings noch der Mantel des Schweigens.
Koolhaas geht nicht gerade sentimental mit bestehender Bausubstanz um. Er glaubt nicht an den Genius Loci: »Schönes Wort, aber es gibt heute nur selten in der zeitgenössischen Architektur wirklichen Genius, es gibt Loci, aber keinen Genius. Das hat uns dazu verpflichtet, den Ort, d.h. das Bestehende als etwas immer Positives zu betrachten, aber nicht mit den Wünschen nach Perfektion im klassischen Sinne zu arbeiten.« Heilige Dogmen der Architektur unerschrocken mit Füßen zu treten, dafür ist Koolhaas berüchtigt. Seine Kunsthal in Rotterdam hat er beispielsweise mit gewelltem Plastik verkleidet oder Gitterroste als Fußboden eingesetzt.
Als Theoretiker und Urbanist begeistert er sich für alle extremen, radikalen und hässlichen Aspekte von Metropolen: Drive-in-Restaurants, Parkplätze, Shopping-Malls. Offene Strukturen oder Städte mit Tabula-Rasa-Vergangenheit bieten seiner Ansicht nach größere kreative Freiräume. Ein Grund für sein Interesse an Köln, das nach dem zweiten Weltkrieg stark zerstört war und heute langsam Teil einer bis zum Ruhrgebiet zusammenwachsenden Megaregion NRW wird. »In Rotterdam herrscht eine ganz ähnliche Situation. Meiner Meinung nach gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Geschichte und Konservatismus einer Stadt. Die Geschichte behindert oft die kulturellen Aktivitäten – und in diesem Sinne finde ich diese zerstörten Städte ganz frei zum Spekulieren.«
Was Koolhaas anzieht, ist die »Culture of congestion«, über die er in seinem Manifest »Delirious New York« schreibt und was soviel meint wie Überlagerung und Koexistenz disparater Lebensformen. In seiner Architektur zeigen sie sich durch die vertikale Zerlegung des Gebäudes in unabhängige Schichten, den Wechsel von Kontinuierlichem und Diskontinuierlichem oder die Selbständigkeit von Fassade und Gebäude. Seine Bauweise ist cineastisch, führt die Montagetechnik der Moderne à la Mies van der Rohe, Corbusier, Theo van Doesburg fort und mischt sie mit radikalen Schnitten auf.
Was Kulturpessimisten als Horrorszenarien beschwören, die Zentrums- oder Proportionslosigkeit oder das planlose Wuchern der Städte, deutet Koolhaas in Heilsbotschaften um. Er schwärmt von »hybriden Gebäuden«, von der »Alchimie« der Mischnutzungen. »Die eigenschaftslose Stadt«, schreibt er in dem gleichnamigen Text aus dem Jahr 1995, »markiert den endgültigen Tod jeder Planung«. Sie befände sich auf dem Weg »von der Horizontalität in die Vertikalität«.
Was Koolhaas immer wieder propagiert, ist eine nicht-intentionale Schönheit der Stadt. Prototypisch dafür steht die Mega-City Lagos, Hauptstadt von Nigeria. Im Helikopter kreiste Koolhaas vor zwei Jahren mehrere Male über die Agglomeration, um sich ein besseres Bild zu verschaffen. »Ich habe ein Interesse zu verstehen, wie gewisse Dinge wirken, und dazu passt, dass Lagos im Jahre 2020 die drittgrößte Stadt der Welt sein wird und sich damit ankündigt, dass in Zukunft die größten Städte auch die ärmsten Städte sein werden. Mich interessiert, wie man sich als Architekt auf diese Entwicklung vorbereiten kann und was sie für die Kultur bedeutet« Die Frage, ob die Mega-Agglomeration für ihn so etwas wie ein Zukunftsmodell von Stadt darstellt, lässt Koolhaas allerdings offen. Auch Architekten haben auf diese Dynamiken eben keinen Einfluss. Oder wie Koolhaas in seiner Werkmonografie »s,m,l,xl« aus dem Jahr 1994 schreibt: »Bigness = Urbanismus versus Architektur.«
Selbst die Stadt ohne Eigenschaften und OMA-Stützpunkt Rotterdam, die in den 50er Jahren dank ihrer Leergefegtheit als Mekka der Stadtplaner galt, kann sich dem Wandel nicht entziehen und wird gerade als die hippe Stadt der Niederlande neu erfunden. »Es ist sicher deutlich, dass von Rotterdam eine Gefahr der Hippness ausgeht, aber ich hoffe, dass sich Rotterdam in diesem Sinne eine Bescheidenheit bewahrt. Ich finde es schrecklich, nur noch in einer coolen Lage zu leben. Wenn das eintritt, bin ich gezwungen, wieder einen etwas uncooleren Ort zu finden.«
Schon mit »s,m,l,xl« stellte Koolhaas klar, dass er für alle Bereiche des Bauens offen ist. Dass er sich genauso für urbanistische Fragen im großen Stil interessiert wie für kleine Projekte, etwa den schlichten Umbau des Museum Ludwig. Neben seiner Begeisterung für das Kleine zieht ihn aber noch anderes nach Köln: »die Möglichkeit, mit Herrn König zusammenzuarbeiten und Teil zu sein von dem Experiment, das er hier introduziert.«

Koolhaas’ Umbaupläne werden im Rahmen von »plan 01« (21.-28.9.) im Museum präsentiert.