Der Scheinsinn der Verbote

Was für ein Raumkarma muss das sein! Auf der Bühne wird ein Tageslichtprojektor stehen, dieses Ding, dessen Anblick wohl jeden Zuschauer über dreißig direkt zurück ins Klassenzimmer beamt, in die Zeit, als er noch Schüler war. Und tatsächlich, Schulstunde ist angesagt in Annamateurs neuem Programm »Screamshots – ein musikalisches Overheadprojekt«. »Ich zeichne live auf dem Overheadprojektor«, erklärt die Chansonniere aus Dresden die Bühnensituation der Show. Rechts und links sitzen die virtuosen Außensaiter, so heißt ihre Combo, am Cello und an der akustischen Gitarre.

 

Natürlich ist das Szenario nicht zufällig gewählt für das, was die Ankündigung eine »visuell-akustische Skizzenschlacht um Malen nach Zahlen« nennt »und den Schrei nach Nachvollziehbarkeit« und »einen Abend über Lückentexte, Liebeslieder, Bausparverträge, Blind-Maps und Phantomscherze«. Uff! Es geht eben da los, wo der Mensch fit gemacht werden soll für sein (Berufs-)Leben – und da revoltiert Anna-Maria Scholz alias Annamateur.

 

Mit ihrer großartigen Stimme wird sie sich an dem Abend in der Grauzone zwischen Chaos und Ordnung bewegen: Sollte man Kontrolle kontrollieren? Lässt sich Sehnsucht samplen? »Ich hab mich gefragt, was passiert eigentlich mit Menschen, die für ihre Work-Life-Balance Lachseminare besuchen, die NPD wählen oder einfach nur total rational sind«, sagt sie über das neue Programm. »Natürlich habe ich die Wahrheit nicht gepachtet, nur: Viele krepieren daran, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie aus sich selbst schöpfen können, was sie in sich an kreativem Potential haben.«

 

Deswegen pellt Annamateur in ihren Songs nach und nach die vordergründige Sinnhaftigkeit von Vorschriften und Verboten ab und stellt letztere auf den Prüfstand. »Es wird trotzdem sehr lustig«, lacht die Chansonniere. »Das ist schon ganz gesund, wenn man über etwas lacht gleichzeitig die Dinge aber nicht verdrängt.« Bananenschalenwitze oder Rollkragenhumor sind eben nicht Frau Mateurs Ding.