»Untergangspropheten wollen sich nur als etwas Besseres fühlen«

Paranoia auf dem flachen Land: Interview mit Jeff Nichols über sein Mystery-Drama Take Shelter, Angst als Volkskrankheit und arrogante Apokalyptiker

StadtRevue: Mr. Nichols, »Take Shel­ter« ist ein Film über einen Mann, der von übermächtigen Angst­fantasien geplagt wird. Wovor haben Sie Angst?

 

Jeff Nichols: Ich teile meine Ängste in zwei Kategorien ein. Zum einen ist da eine frei umher schwirrende, allgemeine Furcht vor Dingen, die ich selbst nicht unter Kontrolle habe: Umweltzerstörung, die Wirtschaftskrise oder eine Regierung, die kurz vor dem Kollaps steht. Das sind Dinge, die ich zwar kaum beeinflussen kann, die mir und vielen anderen Menschen aber große Sorge bereiten. Dazu kommt die ganz private Angst, dass mein Lebensalltag auseinanderfällt, dass ich meine Miete nicht mehr bezahlen und nicht mehr für das Wohl und die Gesundheit meiner Familie sorgen kann. Diese alltägliche Angst lastet zurzeit auf den Schultern vieler Menschen, daher hielt ich es für passend, darüber einen Film zu machen.

 

Die diffusen Ängste konkretisieren sich für die Hauptfigur Curtis in Visionen eines herannahenden Sturms. Wofür steht dieses Bild?

 

Es spiegelt zum einen die aufwühlenden Emotionen, die unter der Oberfläche dieser eher alltäglichen Figur toben. Ein Sturm kommt vom Himmel, vor ihm kann man nicht davonrennen. Er ist eine Naturgewalt und keine von Menschen erschaffene Bedrohung. Natürlich ist der Sturm eine Metapher, aber er soll sich für das Publikum echt anfühlen. Er weht die Blätter vom Baum, verändert das Licht und bringt eine enorme Energie mit sich. Die Zuschauer sollen nicht dis­tanziert auf Curtis blicken und sich wundern, warum er so stark auf die Bedrohung reagiert. Der Sturm repräsentiert all die frei fließenden Ängste, die das eigene Leben vollkommen aushöhlen können. Mich interessiert, wie Menschen solche Ängste verarbeiten. Schaut man sich das Schicksal der Menschen in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina an, ist der Sturm einerseits konkret, im übertragenen Sinne steht er für den Kollaps des Sys­tems. Ich wollte Angst nicht konkret definieren, sondern dem Publikum einen möglichst weiten Deutungsspielraum lassen.

 

Paranoia wird im Kino meist vor großstädtischer Kulisse verhandelt. Warum sind Sie mit Ihrem Film aufs flache Land geflüchtet?

 

In Großstädten wie New York, wo bewaffnete Polizisten regelmäßig die Zufahrtsstraßen kontrollieren, ist die gesellschaftliche Paranoia sichtbarer. Aber das Phänomen betrifft das ganze Land. Wann immer man CNN anschaltet, bekommt man den Eindruck vermittelt, dass die Welt an allen Ecken brennt. Da ist es vollkommen egal, ob man auf dem Land oder in der Stadt wohnt. Dass ich mich für eine ländliche Kulisse entscheiden habe, hat damit zu tun, dass ich selbst aus Arkansas komme. Ich fühle mich diesen eher bäuerlichen Charakteren  und ihrer Art zu reden sehr nah. Aber die Wahl des Ortes hatte auch ganz praktische Gründe. Curtis braucht einen großen Garten, in dem er ein tiefes Loch für seinen Bunker graben kann.

 

Der Film wirkt trotz zahlreicher Traumsequenzen erzählerisch konzentriert. Wie schwer ist es bei einer Geschichte, die zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelt ist, den Fokus zu halten?

 

Das ist bei einer Low-Budget-Produktion wie dieser nicht einfach. Struktur und Stabilität liegen für mich immer im Drehbuch. Es ist eine ungeheuer wertvolle Zeit, wenn man allein in einem Zimmer sitzt und alle Details ausarbeitet. Das Skript ist für mich das Sicherheitsnetz am Set.

 

Arbeitet »Take Shelter« mit biblischen Allegorien?

 

Das hatte ich beim Schreiben nie im Sinn. Aber diese Vergleiche wurden schon bei meinem ersten Film »Shotgun Stories« gezogen. Ich finde es interessant, dass Leute »Take Shelter« als moderne Interpretation der Noah-Geschichte sehen, obwohl Curtis kein Schiff für die ganze Schöpfung, sondern nur einen Bunker für sich und seine Familie baut. Der Vergleich ist interessant, weil er auf die selbstsüchtigeren Vorstellungen unserer modernen Gesellschaft verweist.

 

Die Apokalypse stand nicht Pate?

 

Das ist kein apokalyptisches Szenario. Curtis geht ja nicht davon aus, dass die ganze Welt untergeht. Seine Untergangsfantasien sind rein persönlicher Natur. Es geht nur um ihn und seine direkte Umgebung. Curtis ist auch kein spiritueller Typ. Während die anderen in die Kirche gehen, fährt er in den Baumarkt, um Material für seinen Bunker zu kaufen. Außerdem finde ich es arrogant, wenn Leute behaupten die Apokalypse vorhersehen zu können. Untergangspropheten wollen sich einfach nur als etwas Besseres im unendlichen Strom der Zeit fühlen. In dieser Hinsicht ist »Take Shelter« ein anti-apokalyptischer Film.