Wilder Osten

Wer die Filme der »Berliner Schule« kennt, weiß, dass direkt hinter Berlin die Wildnis beginnt, tiefe Wälder, unzugängliche Seenlandschaften, versteppte Felder und Äcker. Auch Wölfe sind wieder nach Brandenburg eingewandert. Die besten Filme von Christian Petzold und Thomas Arslan sind verkappte Western, die in diesem wüsten Land spielen.

 

Hinter Berlin die Wildnis

 

Conny Ochs kommt auch aus dieser Gegend, und es ist der karge amerikanische Blues, der es ihm angetan hat. Durch die Ritzen der Musik pfeift der Präriewind, die Songs verlieren sich in einer (Seelen-)Landschaft, in der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.

 

Letztes Jahr hat Ochs Wino kennengelernt. Wino – das ist Robert Scott Weinrich, der einst für die Punks der Westküste einen besonders satten, besonders satanischen, besonders Feedback geschwängerten Heavy Metal spielte: Weinrich war in den 80er und 90er Jahren Sänger und Gitarrist von Saint Vitus und Obsessed.

 

Er erkrankte an Depressionen, ging beinahe am Suff zugrunde, überlebte einsam in der Wüste Kaliforniens. Seit ein paar Jahren ist er – gestärkt und gereift – als stolzer Solokünstler unterwegs, ein rauer Geselle, der sich allein mit seiner Akustikgitarre als sensibler Songwriter entpuppt. Oder umgekehrt.

 

Verlorene Seelen unter sich

 

Ochs traf also auf Wino, und sie wurden Freunde, richtige Freunde – sie entdeckten sich als Geistesverwandte. Das Album, das sie spontan zusammenkomponierten und umgehend aufnahmen, das jüngst erschienene »Heavy Kingdom«, ist tatsächlich Ausdruck einer symbiotischen Einheit. Wino spielt an keiner Stelle seine Erfahrung gegenüber dem jüngeren Kollegen aus.

 

Die elf Songs sind aus einem Guss, allesamt geeignet, den kalten Winden der Entfremdung und Einsamkeit zu trotzen. Zwei Gitarren, zwei Stimmen. Für Folk ist die Musik hart und schroff, karg und leer, aber ohne Larmoyanz, ohne Gejammer. Erst am Schluss ringen sie sich einen Moment der Versöhnung ab, das letzte Stück heißt »Labour of Love«.

 

Hinter Berlin beginnt der Wilde Osten, aber mit Ochs und Wino an der Seite kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Weil alles schon schief gegangen ist.