Sanfte Ecken und Kanten

Ihr letztes Kölner Konzert war auf einen Schlag ausverkauft, Jetzt geben Boy ein weiteres Konzert, diesmal im E-Werk. Annäherungen an den Folkpop der Saison

Wer im Februar mal die Wohnung verlassen hat, kann an Boy nicht vorbeigekommen sein. Ganz Köln war plakatiert mit den Konterfeis der beiden jungen Frauen. Boy sind Teil einer Imagekampagne des größten deutschen Jugend­radiosenders.

 

Unter dem Slogan »1Live macht...« präsentierte der Sender drei heimische Acts, für deren rasante Karriere er sich offenbar verantwortlich fühlt. Neben dem Erfurter Deutsch-Popsänger Clueso und dem Bielefelder Rapper Casper fiel die Wahl auch auf das von Hamburg aus operierende deutsch-schweizer Duo.

 

Was uns die eindringlichen Schwarzweiß-Porträts der Kampagne sagen sollten? Erstens, dass 1Live Musik aus Deutschland fördere, und zweitens, dass die neuen deutschen Acts die Kriterien des Mainstreams erfüllten – aber dennoch Charakterköpfe seien. Clueso, Casper und Boy – so sieht er also aus, der öffentlich-rechtlich geforderte und geförderte musikalische Nachwuchs.

 

Clueso wird von seinem Label Four Music schon seit Jahren behutsam zu einer Art Herbert Grönemeyer für die nachwachsende Generation aufgebaut. Hingegen wurden Caspers Charterfolge von einer eingeschworenen Fanbase aus dem HipHop- und Hardcore-Underground ermöglicht. Beides ist nachvollziehbar.

 

Mainstream - ein schwieriges Metier

 

Wundersamer ist hingegen der plötzliche Durchbruch von Boy. Denn Valeska Steiner und Sonja Glass beackern ein Feld, auf dem sich deutsche Bands bislang schwer getan haben: leichtfüßiger, englischsprachiger Radiopop mit Niveau. Oft  wird in diesem Genre deutschen Acts die Authentizität abgesprochen, man bevorzugt angloamerikanische oder skandinavische Bands.

 

Entsprechend selten sind Mainstream-Erfolge hiesiger Musiker, die sich weder über die Sprache – Hamburger Schu­le, deutschsprachige Songwriter, Hip­Hop aus Deutschland –, noch über den Sound – Techno, Electro, »teutonische« Härte – mit den Klischees einheimischer Poptraditionen in Verbindung bringen lassen.

 

Im Indie-Segment sind die Grenzen durch das Internet längst eingerissen. Dort kommen  internationale Szene- und Bloghypes – auffällig oft Frauen – mittlerweile auch aus Österreich (Soap & Skin), Deutschland (Dillon) oder der Schweiz (Sophie Hunger).

 

Überraschender Erfolg von Boy

 

Hingegen ist der Erfolg der 2007 ins Leben gerufenen Band überraschend: Ihr Debütalbum »Mutual Friends«, das Boy letztes Jahr veröffentlichten, schaffte es bis in die Top-10 der Verkaufscharts. Noch beeindruckender entwickelt sich der Kartenverkauf für die Konzerte.

 

Allein in Köln konnten Boy den Stadtgarten in den vergangenen Monaten mehrfach füllen. Einem ebenfalls ausverkauften Konzert in der Live Music Hall im März folgt am 8. April nun eine zusätzliche Show im E-Werk, das immerhin eine Kapazität von 2000 Zuschauern besitzt.

 

Was ist also dran?


Für den Popdiskurs ist die Band eigentlich ungeeignet: In den Songs geht es nicht darum, Regeln zu brechen oder irgendwie für Irritationen zu sorgen. Der Folkpop von Boy strebt nach Formvollendung und Harmonie.

 

Mit klassischer Singer/Songwriter-Instrumentierung (Akustik- und E-Gitarre, Klavier, Bass, Schlagzeug) werden weiche Klangteppiche gewebt, die perfekt zu den gefälligen Melodien passen. Dezente Keyboard-Flächen und sporadische Streicher-Melodien sorgen für die Ausschmückung.

 

Auffallend dezent und ausgewogen

 

Auch bei der Produktion wird auf Ausgewogenheit gesetzt. Im Vergleich sind die Aufnahmen der musikalisch ähnlich ausgerichteten kanadischen Sängerin Feist dank stark komprimierter Vocals, übersteuerter Akustikgitarren und auffälliger Halleffekte als radikal zu bezeichnen. Bei Boy hingegen sind die Ecken und Kanten so dezent, dass man diese nur noch intuitiv erfassen kann: als Spuren­elemente aus einer anderen musikalischen Welt im Formatradio.

 

Da ist zum Beispiel die Stimme von Valeska Steiner, die mit einem dezenten Quieken versehen ist, wie man es entfernt von Joanna Newson kennt; manchmal kommt eine nicht ganz erwartbare Akkordfolge vor; dann nimmt auch die Melodie mal einen kurzen Umweg und lässt im Wagen, was folgen könnte – ohne damit dem Radiohörer die Suppe zu versalzen.

 

Die netten Mädels von nebenan

 

Auch wenn es der Bandname vermuten lässt: In den Songs von Boy lassen sich keine gender- oder feministischen Motive ausmachen. Es geht um Befindlichkeiten – neue Anfänge, die Sehnsucht nach einem besseren Leben, Nähe und Geborgenheit, die Freuden und Qualen des Verliebtseins. Songs von Boy sind wie Spiegel, in denen sich die Hörer in einem besonders guten Licht betrachten können. Insofern zelebrieren sie das Alltägliche, indem sie es in schönen Bildern malen.

 

Das Aussehen der Musikerinnen korrespondiert perfekt mit ihren Songs: Valeska Steiner und Sonja Glass sind hübsche Frauen, die man sich in die eigene WG-Küche oder das gemeinsame Uni-Seminar wünscht. Gute Freundinnen, die gemeinsam was losmachen. Selbstbewusst, aber nicht abgehoben. Charismatisch, aber nicht divenhaft. Das ist vielleicht der wahre Grund ihres Erfolges: Man kann einfach nichts gegen sie haben.