Die letzte Instanz

Lautstärke, Frequenz, Phase sind das Arbeitsmaterial von Mastermind Rashad Becker

Seine Kunden sehen ihn bei der Arbeit in der Regel nur von hinten. Darüber ist Rashad Becker ganz froh, denn er habe manchmal einen seltsamen Gesichtsausdruck, wenn er sich daran mache, sein Material zu bearbeiten. »Ich forme die Frequenzen, bevor ich sie mit deom Equalizer raushole, mit der Mundhöhle«, sagt er.

 

Beckers Material sind Schallwellen. Becker ist im musikalischen Produktionsprozess die letzte Instanz. Wenn er über seine Arbeit als Mastering-Engineer spricht, wählt er seine Worte sehr bedacht, sehr präzise. Er hat einen exzellenten Ruf zu verteidigen.

 

Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er bei der renommierten Berliner Firma Dubplates & Mastering (D&M). Außerdem betreibt er sein Studio Clunk, in dem er sich neben dem Mastering auch um die Aufnahme und den Mix von Musik kümmert.

 

Mastering ist keine Zauberei

 

Mastering ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Komposition, Arrangement, Aufnahme – früher auf mehrere Schultern verteilt – fallen bei elektronischer Musik zunehmend ins eins und werden vom Musiker selbst übernommen. Der finale Feinschliff des Klangs  und dessen Wirkung auf den Hörer wird daher bisweilen überhöht und gilt als Geheimwissenschaft. »Es ist natürlich ein wahnsinnig verantwortungsvoller Schritt, einfach weil es der letzte ist«, sagt Becker.

 

Aber er hält nichts davon, seine Tätigkeit zu verklären. »Technisch ist das keine Herausforderung. Mastering ist die Bearbeitung einer Stereosumme. Es adressiert diese in den Parametern Lautstärke, Frequenz, Phase und zielt darauf ab, die Musik auf das finale Stadium vorzubereiten, bevor sie veröffentlicht wird«, so Becker. »Da ist wenig Magie dabei, es geht nur um Entschlussfähigkeit.«

 

Gerade hat sich Becker in seinem Clunk-Studio den Track einer befreundeten Produzentin vorgenommen. Die Aufnahme verlange eher unübliche Eingriffe, erklärt Becker. Er benötige wohl deutlich mehr Zeit als die üblichen dreißig Minuten pro Stück. Auf einem Bürosessel gegenüber von zwei extrem klar klingenden Lautsprechern, inmitten von im Halbkreis angeordneten Racks, dreht Becker an Filtern, Kompressoren und anderen Geräten.

 

Er isoliert in raschem Wechsel Frequenzbänder, springt beim Abhören hin und her und verändert immer wieder die Lautstärke, um einen ausgewogenen Eindruck des Klangbilds zu bekommen. Dabei spielt er die Musik oft überraschend leise ab.

 

Musik gefällt - egal, ob sie gut klingt

 

Obwohl Becker für den bestmöglichen Klang zuständig ist, sagt er: »Es hat noch nie Musik gegeben, die mir nicht gefallen hat, weil sie schlecht klang. Und eigentlich auch noch nie Musik, die mir gefallen hat, weil sie so gut klang.« Becker interessiert in erster Linie die musikalische Idee, eines Stücks – wie verborgen auch immer sie vor dem Mastering noch sein mag.

 

An ihr orientiert er sich bei der Bearbeitung. Becker versucht, alles wegzulassen, was dieser Idee im Weg steht. »Was ich hauptsächlich mache, ist aufzuräumen«, sagt er. »Was im Signal ist wirklich klang- und stimmungsbildend? Was erzeugt die Aura der Musik? Und was ist Ballast oder Redundanz?« All das zu erkennen, zu lokalisieren und entsprechend zu korrigieren, das sei das, was er tue.

 

Zulieferer für die Vinylproduktion

 

Den meisten Aufträge machten »im allerweitesten Sinne abstrakte Musik« aus, sagt Rashad Becker. Ein zweiter Schwerpunkt liege auf elektronischer Tanzmusik. Hauptsächlich wird dabei für den sogenannten Vinylschnitt gemastert. Das Produkt bei Dubplates & Mastering sind Lackfolien, in die das Musiksignal geschnitten wird, und mit denen im Presswerkweitergearbeitet wird bis die eigentliche Schallplatte fertig ist.

 

Die längst totgesagte Vinylschallplatte verzeichnet seit mehreren Jahren konstante Zuwachsraten. Trotzdem besetzt das Medium im heutigen Musikmarkt nur noch eine kleine Nische. Platten zu pressen und alles, was damit zusammenhängt, scheint als Handwerk ein Auslaufmodell zu sein.

 

Beinah historische Technologie

 

Die Technologie stammt aus den 30er Jahren, sie wurde kaum weiterentwickelt. Aber nicht nur das Knowhow verschwindet, sondern allmählich auch das benötigte Material. So gibt es weltweit nur noch zwei Firmen, die die benötigten Lackfolien herstellen.

 

Die Vinyl-Schneidemaschine im Studio von D&M ist Baujahr 1973, falls sie kaputtginge, würde es schwierig, sie zu repararieren. »Im Schneidekopf sind handgewickelte Spulen«, erklärt Becker. »Industriell kann man Spulen nicht so fein wickeln, und handwickeln kann sie keiner mehr. Insofern wird so ein Kopf im alten Design nie wieder gebaut werden.«

 

Gehe ein Schneidekopf kaputt, gebe es zwar »zwei oder drei Leute auf dem Planeten, die Köpfe reparieren«, schätzt Becker. Aber auch das gehe nur bis zu einem bestimmten Grad. »Und es gibt gar nicht mehr viele Maschinen, die noch am Start sind«, so Becker.

 

Bedeutung des Hörens

 

Aber Becker ist in dieser Hinsicht nicht kulturperssimistisch. Er bedauert viel mehr, dass Hören sensorisch und als Kulturtechnik unterentwickelt sei. Für ihn bedeutet Klang nicht nur guten Sound. Nachdem er jede Woche über vierzig Stunden damit zubringt, mit seinem »analytischen Dienstleistungsohr« Frequenzen zu begutachten, verzichtet er zum Feierabend gern mal auf Musikbeschallung. Becker liebt es, seine Ohren einfach für alles zu öffnen: »Ich laufe draußen rum und höre hin. Nichts zu überhören«, sagt Becker, »macht mir wahnsinnig viel Spaß.«