Literatur für Selbstdreher

Mark Z. Danielewski liest aus seinem Roman »Only Revolutions« in Köln

Im US-amerikanischen Literatur­betrieb sehnt man sich alle Jahre wieder ein Genie herbei, das die intellektuelle Avantgarde mit der Haltung eines subkulturell geschulten Popstars versöhnt. Einen Dichter, der die Absurdität der post­modernen Erfahrung erklären kann und in Sätze verpackt, die sich mit Rock und Quantenmechanik, Tiefen­psychologie, Slang und Mikro­wellenfraß gleichermaßen auskennen.

 

Thomas Pynchon stand für diesen Typus in den 60er Jahren unfreiwillig Pate, in den 90ern schien David Foster Wallace derart überirdisch gescheit, dass man sich genötigt sah, es ihm selbst mit einem Award zu versichern.

 

Begründeter Hype um Danielewski

 

Als im August 2007, ein gutes Jahr vor Foster Wallace‘ Selbstmord, das in Auszügen bereits im Netz herumgeisternde »House Of Leaves« (deutsch: »Das Haus«) unter frenetischem Kritikerjubel erschien, wurde Mark Z. Danielewski über Nacht zum ersten Kultautor des neuen Jahrhunderts.

 

Den zwischen Internethype und TV-Talk geschürten Geniekult könnte man kritisch betrachten — der Beitrag zur Weltliteratur jedoch bleibt unstrittig. Was Danielewski zum herausragenden Schriftsteller seiner Generation macht, ist sein Vermögen, die großen, amerikanischen Topoi und Alltagsmythen in einer Form darzubieten, die die Möglichkeiten dessen, was ein Roman leisten kann, auf allen Ebenen reflektiert und hinter sich lässt.

 

Danielewskis Romane müssen geistig und physisch erarbeitet werden, vom Buchumschlag bis zum Blätterwerk. Alles ist Teil des Narrativs. Der Leser bewegt sich ständig in einem Geflecht aus falschen Fährten, unzuverlässigen Erzählern und Fußnoten, die ins Nichts führen.

 

Unzuverlässiges Erzählen fordert Macher wie Leser

 

Das kann so erfüllend wie nervtötend sein — ein Gefühl, das Gerhard Falkner als Co-Übersetzer von »Only Revolutions« kennt: »Das Problem ist, dass man am Anfang überhaupt nicht weiß, worum es sich dreht, und diese Erfahrung auf jeder Seite neu erlebt. Eines der vielen Paradoxa dieser Übersetzung war: Je mehr man arbeitet, desto größer wird die Arbeit«, so Falkner im Gespräch

 

Allein die Internet-Recherche habe ihn und seine Frau Nora Matocza mehr als ein Jahr gekostet. Die Übertragung ins Deutsche, die Danielewski selbst als »große Herausforderung« bezeichnete, entwickelte sich für das Übersetzer-
Duo sowie zwei studentische Assistenten zu einer Mammut-Aufgabe, die täglich bis zu 16 Arbeitsstunden einforderte.

 

Nach komplexer Leseaufgabe bleibt eine Liebesgeschichte

 

»Only Revolutions« erzählt auf in zwei Richtungen zu lesenden 360 Seiten die Liebesgeschichte von Sam und Hailey, zwei nicht alternden 16-Jährigen, die auf der Flucht vor den Umständen des Lebens 200 Jahre Amerikanische Geschichte durchqueren. Sams Geschichte spielt von 1863 bis 1963, Haileys von 1963 bis 2063.

 

Um den sich ergänzenden Erzählungen bestmöglich folgen zu können, empfiehlt der Verlag, das Buch alle acht Seiten zu drehen und beide Stimmen parallel zu lesen. Hier zeigt sich, wie engmaschig Inhalt und Form konzipiert wurden: Das Unendlichkeitssymbol der Möbiusschleife, die das Buch als Körper hierbei vollzieht, spiegelt ein schon aus »House Of Leaves« bekanntes Grundmotiv der Handlung.

 

Slang, Poetry und Prosa

 

Anders aber als die immerhin plot-lastige Prosa von »House Of Leaves« ist »Only Revolutions« als stark rhythmisierte Mischform aus Langversdichtung und Erzähltext verfasst. Symmetrien und Kreisstrukturen spielen eine ebenso gewichtige Rolle wie der Mythos der american experience. Begleitet werden die Ausführungen der Protagonisten von einer höchst fragmentarischen Timeline, die den zeitlichen Kontext der Geschehnisse weniger vorgibt als rätselhaft kommentiert.

 

Neben all diesen technischen Problemen ergaben sich auch auf inhaltlicher Ebene Schwierigkeiten für die Übersetzer. So bedient sich Danielewski einer Vielzahl von Terminologien und Sprachfeldern, vom Hipster-Slang der 40er Jahre über die Sprache der Vietnam-Veteranen und Begriffe aus Sport und Pornografie, von denen die wenigsten eine direkte Entsprechung im Deutschen bieten.

 

Ob im Original oder der trotz aller Widrigkeiten außerordentlich gelungenen deutschen Übersetzung — »Only Revolutions« ist ein hartes Stück Arbeit. Wer sich durchgekämpft hat, bemerkt, wie die Lektüre von Danielewski Spuren hinterlässt. Das Paperback sieht am Ende tatsächlich zerlesen aus, die Seiten verknickt und der Einband so porös, dass sich einzelne Blätter lösen. Dem Leser geht es kaum anders.