Thomas Winkler: »Twentynine Palms«, 2003 Courtesy: European Fine Arts

Köln & New York — Zwei Kunststädte, eine Freundschaft

Die »New Art Dealers Alliance« (NADA) bespielt zur Art Cologne erstmals eine eigene Messe in der Messe. Die neue Freundschaft erinnert an Zeiten, als Köln auf Augenhöhe mit dem Big Apple agierte. Marion Ritter hat in beiden Kunststädten Eindrücke und Stimmen gesammelt und sich die NADA-Szene genauer angeschaut. Melanie Weidemüller und Frederike Ebert haben dazu ein Servicepäckchen geschnürt: die besten Tipps und Termine zur wichtigsten Kölner Kunstwoche des Jahres.

 

An einem Sonntag im Jahr 1992 wird einigen Lesern der New York Times ihre ohnehin schon umfangreiche Wochenendausgabe noch ein paar Gramm schwerer vorgekommen sein. Das renommierte Magazin der Zeitung schlug an diesem Tag einen besorgten Ton an: New Yorks Status als weltweit größte Kunstmetropole war bedroht. Schuld daran schien eine eher unscheinbare Stadt im Westen Deutschlands zu sein, deren Kunstszene vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. »What is the Center of the Art World: Cologne or New York?« titelte das Heft, als ginge es um die Weltherrschaft.

 

Das Magazin erschien zu einem Zeitpunkt, als Köln den Höhepunkt einer in den 60er Jahren einsetzenden Euphorie für die zeitgenössische Kunst erreicht hatte — und bevor es sich dann kurze Zeit später in einem neuen Wettstreit mit der boomenden Hauptstadt Berlin befand. Köln blieb danach nicht mehr allzu lange an der Weltspitze der Kunst, doch beäugen und beeinflussen sich die einstigen Rivalen bis heute quer über den Atlantik.

 

Mit der diesjährigen Kooperation von Art Cologne und dem jungen New Yorker Nachwuchsnetzwerk »New Art Dealers Alliance«, kurz NADA, belebt Direktor Daniel Hug nicht nur seine Messe, sondern verleiht der berühmt-berüchtigten New York-Köln-Verbindung neuen Schwung.  

 

Freundschaft zwischen Rivalität und Respekt

 

Die Autorin der New York Times-Titelgeschichte, Deborah Solomon, schien sich das Köln-Phänomen bei ihrem Besuch damals selbst nicht ganz erklären zu können. »Es sind nicht nur Kölns Kunstsammler, die geneigt sind, über Amerika zu schimpfen; die Szene als Ganzes verausgabt sich förmlich in ihrem Verlangen, New York überbieten zu wollen — und in ihrem Verzücken, dass sie das vielleicht bereits getan hat«.

 

Doch Köln hatte den vollen Respekt der New Yorkerin, denn schließlich gab es im Rheinland nicht nur zahlreiche Sammler, sondern vor allem große Künstler: Sigmar Polke, Georg Baselitz, Gerhard Richter, die damaligen Jungstars Rosemarie Trockel und Martin Kippenberger. Dazu mehr als 130 Galerien, einen anonymen Kunstkritiker, der Bananen sprayte; die weltweit einmalige Buchhandlung Walther König mit Kunstbüchern vom Boden bis zur Decke und zahlreiche Künstlertreffs wie das Broadway-Café an der Ehrenstraße. Eine Szene also, die vor Lebendigkeit nur so strotzte — gerade weil sie immer auch nach New York geschielt hatte.

 

Auch in Manhattan hatte man Köln bereits seit den 60er Jahren im Blick, denn es waren vor allem Kölner Sammler, die sich schon früh für die aufregenden modernen Kunstströmungen New Yorks eingesetzt hatten. Bis heute ist Peter Ludwig eine Legende in der Stadt. Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg — der junge Schokoladenfabrikant war begeistert von den Werken, die Kunst und Leben so spielerisch in sich vereinten.

 

In den New Yorker Galerien und Ateliers kaufte Ludwig mit seiner Frau die heute millionenschweren Werke noch zu erschwinglichen Preisen — und hatte in kurzer Zeit die größte Pop Art-Sammlung außerhalb Amerikas zusammen, die er 1969 dem damaligen Wallraf-Richartz-Museum schenkte. Fast zeitgleich hatte sich mit der weltweit ersten Kunstmesse, die 1967 auf Initiative einiger ambitionierter Kölner Galeristen im Gürzenich stattfand, das Augenmerk der nordamerikanischen Kunstwelt auf Köln gerichtet.

 

Deutschlands Kunstumschlagplatz Nummer Eins: Köln

 

Heute ist Berlin als Kunststadt die Nummer eins, doch die Art Cologne — nach turbulenten Zeiten des Messe-Booms und dem anschließenden Aus für Marktplätze in Düsseldorf, Frankfurt und Berlin — immer noch Deutschlands größte Kunstmesse.

 

Kunst und Kunstmarkt im 21. Jahrhundert sind global. Sammler und Galerien halten nahezu überall auf dem Globus nach Kunst Ausschau. Mancher Käufer ist heute nicht mehr in erster Linie am Kunstwerk als Ergänzung seiner Sammlung interessiert, sondern am Spekulationsobjekt, das je nach Marktlage — und häufig an den Galerien vorbei — über die weltweit agierenden Auktionshäuser weiter verkauft wird.

 

Doch bis heute schätzen viele Kunstliebhaber den persönlichen Kontakt auf den Messen und nutzen das konzentrierte Angebot aus aller Welt für spontane Geschäfte. Vor allem wegen seiner renommierten Kunstmesse hat Köln daher bis heute das Zeug zur Kunstmetropole. Doch man muss dem zahlungskräftigen und messeverwöhnten Publikum immer wieder auch Neues bieten, weiß Direktor Daniel Hug. So soll die Organisation NADA in diesem Jahr dem altehrwürdigen Verkaufskonzept frischen Wind geben.

 

Denn trotz erfolgreicher Verjüngungsmaßnahmen in den letzten Jahren — etwa durch den als Ausstellung gestalteten »Open Space« — war manchen Galeristen und Sammlern die Art Cologne im Vergleich mit den wichtigsten Messen in Basel, London und Paris zu hausbacken geworden.

 

Die begehrten Förderkojen für junge Galerien im Sektor »New Contemporaries« wird es weiterhin geben, den Open Space ersetzt dieses Jahr die »NADA Cologne« als eigenständige Messe-in-der-Messe. »Bahnbrechend« sei diese Kooperation, meint Daniel Hug, denn mit den New Contemporaries — 42 internationale Galerien, die maximal 10 Jahre am Markt sind — und den 32 Ausstellern der NADA Cologne werde es diesmal eine enorme Auswahl junger Galerien auf der Art Cologne geben. »Mit der NADA bekommen wir eine spannende neue Ausrichtung für die Messe — eine, die eng mit New York verknüpft ist.« Und die neue Kooperation habe Seltenheitswert, meint Daniel Hug: »Keine andere Messe in Europa hat einen so starken Anteil an jungen New Yorker Galerien.«

 

Forum für herausragende junge Kunst

 

Die Euphorie um die NADA hat viel mit dem hippen Image der New Yorker Kunstorganisation zu tun. NADA startete 2002 als Nonprofit-Vereinigung mit 25 Mitgliedern, darunter junge New Yorker Galeristen, Kunsthändler, Betreiber von Off-Spaces und Kuratoren. Im Vordergrund steht bis heute der Netzwerkgedanke: Man hilft sich, wenn mal ein Sockel für eine Ausstellung benötigt wird, sammelt gemeinsam Spenden für Institutionen, wie 2008 für das New Museum, und widmet sich verstärkt auch der Frage nach der Vermittlung von Kunst: Der Dialog mit dem Publikum ist den Mitgliedern wichtig.

 

2003 organisierte NADA dann die erste Kunstmesse in Miami als Satellitenmesse zur etablierten »Art Basel Miami«: Manche nahmen hier teil, weil sie trotz ihres hochkarätigen Programms auf der wichtigsten US-amerikanischen Kunstmesse keinen Stand erhalten hatten, andere suchten ein jüngeres Ambiente für ihr Galerieprogramm als das konventionelle Messesetting.

 

Der Erfolg der ersten NADA Miami war enorm und konnte in den darauf folgenden Jahren, mit zusätzlichen internationalen Teilnehmern, immer wieder übetroffen werden. Hier stellen Galerien entweder einzelne Künstler oder gleich mehrere vor; nahezu alle Formate und Medien sind dabei. Seither steht NADA Miami in Amerika für herausragende junge und zugleich bezahlbare Kunst.

 

NADA-Direktorin Heather Hubbs ist logischerweise überzeugt von der ersten europäischen Version ihrer Messe in Köln. »Wir halten die Art Cologne für den idealen Markt, um nach Europa zu expandieren«, lässt sie wissen und gibt der amerikanischen Kunstpresse Nachhilfe in Sachen Kölner Standortfaktoren: »Für uns ergibt Deutschland Sinn, da die deutsche Wirtschaft sehr stabil ist und es immer schon ein starkes Interesse an junger, aufstrebender Kunst gab.

 

Kölns Nähe zu Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und zum »alten« Geld der Industrie (im Gegensatz zum Finanzsektor) spielte auch eine zentrale Rolle für die Entscheidung.« Eine Attraktivität, die auch für die hiesigen Galerien bis heute wichtig ist und mit der Köln — mittlerweile auch im starken Verbund mit seinen Nachbarstädten — Berlin einen Schritt voraus ist.

 

Neben solch harten Fakten spielen im Kunstmarkt die weichen eine nicht zu unterschätzende Rolle: Bei guter Laune kauft und verkauft es sich besser. Teilnehmer wie Besucher der NADA Miami schwärmen nicht nur von der Qualität, sondern schätzen die besonders kollegiale Atmosphäre, die nun auch nach Köln exportiert werden soll: »Wir hatten immer großartige Erfahrungen in Miami«, erzählt Lisa Cooley, die eine kleine Galerie in Manhattans Lower East Side hat und sich jetzt auf ihren Auftritt in Köln vorbereitet. »Es gibt einen einzigartigen Sinn für Gemeinschaft und Kameradschaft unter den Ausstellern, und das durchzieht die gesamte Messe.«

 

Bestimmte Erwartungen an die NADA Cologne habe sie nicht, aber sie freue sich auf die rheinischen Sammler, deren Tradition sie verblüffe. Cooleys Kölner Kollege Daniel Schmidt, der seit drei Jahren mit seiner Partnerin Britta Handrup eine Galerie im Belgischen Viertel betreibt, war von Anfang an begeistert vom neuen Messeformat und nahm 2011 mit der Galerie bereits in Miami teil: »Die NADA steht für sehr gute Qualität, die Art Cologne als Mutterschiff aller Kunstmessen selbstverständlich auch — und sie nimmt dank Captain Hug auch wieder Kurs auf!«

 


Vereint im Kampf gegen die Krise

 

Die ansteckende Begeisterung macht fast die Tatsache vergessen, dass es auch ums Überleben geht. Die Köln-New Yorker Kooperation kommt mitten in der Wirtschaftskrise, während der sich vor allem die New Yorker Galerien umorientieren müssen und nach Auswegen suchen. Viele Händler mussten im Jahr der Lehman-Pleite 2008 — nach fetten Jahren mit neu errichteten Galerie-Palästen und glamourösen Partys — schließen,  drastisch verkleinern oder aus dem schicken Galerienviertel Chelsea in preiswertere Gegenden umziehen; für zahlreiche Künstler wurde zudem Berlin zu einer günstigen und attraktiven Alternative.

 

Die deutschen Galerien erreichte die Krise langsamer und in abgeschwächter Form, doch kräftig gespart werden muss auch im Rheinland. So kommt das neue Miteinander auch den Kölnern zugute, die sich die teure Teilnahme an Messen in Übersee nicht leisten können und nun vom internationalen Auftrieb der Art Cologne profitieren. Dass NADA nicht nur bei Sonnenschein und Palmen der Krise trotzen kann, will die Organisation übrigens nicht allein in Köln unter Beweis stellen, sondern im Mai auch mit der ersten Messe in New York.

 

In Köln-Deutz ist Sonne kein Standortfaktor, dafür erhält die amerikanische Gastorganisation auf der Messe einen Bereich mit eigener Architektur und Design. Die kleinen Stände sind mit rund 3.000 Euro Miete für die weit gereisten Galeristen preisgünstig. Für Galeristin Lisa Cooley machte das die Entscheidung für die Teilnahme an der NADA Cologne deutlich leichter: »Wir sind noch eine sehr junge Galerie und haben nur begrenzte Mittel. Die Aufmerksamkeit und der Fokus, den die NADA zur Art Cologne bringt, sowie die niedrigeren Preise machen die Teilnahme für uns praktikabel.«

 

Der Kölner Daniel Schmidt, in den letzten zwei Jahren im New Contemporaries-Segment zu finden, wird diesmal seinen Auftritt bei den New Yorkern haben: »Da ich der NADA seit der Gründung 2002 sehr verbunden bin, haben wir uns dieses Jahr dort beworben. Und da die Art Cologne und die NADA Cologne unter einem Dach zu finden sind, ist es im Prinzip egal, auf welcher der beiden Messen man teilnimmt — Hauptsache, man ist in Köln dabei.«

 

Auch für den dauerhaften Ausbau der inzwischen 300 Mitglieder starken NADA-Allianz in Europa sieht Schmidt gute Chancen: »In New York gegründet, gibt es dort natürlich bislang die meisten Mitglieder, sie machen wohl über ein Drittel aus. In Europa sind sie über den ganzen Kontinent verstreut, es werden aber mehr — und ich denke, dazu wird die NADA Cologne ihren Beitrag leisten.«

 

Schmidt betont aber auch, dass man nicht alles von New York übernehmen müsse: »In Köln haben wir einen Zusammenschluss von jungen Galerien und nicht-kommerziellen Ausstellungsräumen, der der NADA und ihren Zielen sehr ähnlich ist: die »Cologne Contemporaries«, die seit 2008 unter diesem gemeinsamen Label auftreten und die Kulturszene in Köln mit gemeinsamen Galerienrundgänge und diversen Veranstaltungen aufmischen.«

 

1992 hing das Cover besagter Ausgabe des New York Times Magazine wie ein Heiligtum sogar im Kölner Dom aus. Mit ihrem internationalen Antrieb erinnert die NADA-Kooperation zwanzig Jahre später an den Wettstreit, den sich Köln und New York einst lieferten — ihre besondere Stärke bewiesen die  ungleichen Konkurrenten  aber gerade im freundschaftlichen Austausch.

 

Beide Kunststädte verbindet die Faszination für die aktuelle Kunst — auch unabhängig von Markt und Geschäften. Und die Konkurrenz schläft schließlich nicht: Während der Recherchen für diesen Artikel verbreitet sich  die Meldung, Berlin bastele nach Ende des »Art Forum« an einem neuen Messeformat.