Einfach immer weiter

Kinokunst: Das Turiner Pferd von Béla Tarr

Ein einarmiger Kutscher lebt mit seiner Tochter und einem Pferd irgendwo weit ab von aller Zivilisation in einer steppenartigen Ödnis. Ihre Tage verstreichen immer gleich: mit aufstehen, sich fertig machen, essen, schaffen, dann wieder essen und darauf warten, dass der Tag zur Neige und man zu Bett geht.

 

Doch Veränderungen künden sich an: Das Pferd will den Stall nicht verlassen, Stürme tosen, der Brunnen trocknet langsam aus, fahrendes Volk zieht vorbei. Das Licht verschwindet, schließlich die Welt.

 

Béla Tarr ist ein ähnlicher Fall wie Alexander Sokurow (»Faust«): ein Star des internationalen Kunstkinos, dessen Ruhm an Deutschland vorbeiging. Seine Filme der letzten zwei Jahrzehnte sind hier selten gelaufen, obwohl Euros aus Deutschland drinstecken.

 

Denn Werke, die vom Publikum ein hohes Maß an Konzentration einfordern und mehr über die Form als den Inhalt funktionieren, haben es hier besonders schwer. Ein Film soll geben, aber nichts verlangen – außer natürlich das Eintrittsgeld. Tarr bietet aber in seinen letzten Werken wenig mehr als Bilder, Töne und deren Textur, Dichte und Dauer. Was bleibt, ist die Gegenwart der Dinge.

 

»Die Werckmeisterschen Har­mo­nien« (2000) und »The Man from London« (2007) vermitteln das Gefühl, als kämen die Geschichten der Gestaltung ständig in die Quere. In letzterem Film ist irgendwann überhaupt nicht mehr klar, was die Geschichte von Georges Simenon mit den wahnsinnig ausgeklügelten Plansequenzen zu tun hat.

 

Bei »Das Turiner Pferd« hält Tarr die Fabel so simpel wie möglich und setzt sie als Zyklus mit minimalen Variationen um. Es bleibt vage, wo der Film spielt und wann – den Verweis auf den Gaul, der angeblich eine Rolle bei Friedrich Nietzsches Abstieg in den Wahnsinn gespielt hat, sollte man allegorisch nehmen.

 

Die Bewegungen der Figuren sind immer gleich – sie scheinen der Motor ihrer Exis­tenz. Sie machen selbst dann noch mit dem gewohnten Schälen heißer Kartoffeln weiter, als die Welt um sie herum in ein tiefes Schwarz versinkt.

 

Eine Art, »Das Turiner Pferd« zu sehen, ist, es passiv zu tun: Dann muss man ihn aushalten, erdulden. Man kann die Leere und Stille des Films aber auch mit seinen eigenen Gedanken, Hoffnungen, Ängsten oder seinem Zorn füllen.

 

Man kann aus diesem kinematografisch konkretisierten Leiden Kraft schöpfen. Man kann aus der Erfahrung – denn Kino ist auch Erfahrung – lernen, was es heißt, zu dulden, einfach immer weiter zu machen.