Die Kinder vom Klingelpütz

Kölsche Langzeitbeobachtung: Wo stehst du? von Bettina Braun

»Ich muss raus von hier.« Vor ungefähr acht Jahren stand Ali direkt um die Ecke vom Jugendzentrum Klingelpütz nicht weit vom Hansaring und dachte laut über seine Zukunft nach. Soll er Schauspiel studieren, BAföG beantragen, sich eine eigene Wohnung nehmen?

In seinen Augen spiegelte sich zugleich Unsicherheit und große Lebenslust. Ali gehört zu einer Gruppe junger Muslime, die die Kölner Dokumentarfilmerin Bettina Braun für ihren Debütfilm »Was lebst du?« (2004) zwei Jahre lang beobachtet hat.

 

Nach einer vierzigminütigen Fortsetzung »Was du willst« (2008) hat Braun jetzt erneut einen Langfilm mit drei ihrer ursprünglich vier Protagonisten gedreht. »Wo stehst du?« beginnt mit einem Streit zwischen der Filmemacherin und Ali. Trotz der unfreundlichen Worte: Die kurze Szene macht auch deutlich, wie vertraut Filmemacherin und Protagonist über die Jahre miteinander geworden sind.

 

Ali ist nicht rausgekommen. Er wohnt immer noch bei seinen Eltern direkt an den Bahngleisen zwischen Hauptbahnhof und Hansaring. Sein Kumpel Kais dagegen studiert mittlerweile in Ludwigsburg Schauspiel. Aus dem Jungen, der in »Was lebst du?« zu achtzig Sozialstunden verdonnert wurde, ist ein ehrgeiziger Student geworden, der auch Ali davon zu überzeugen versucht, seinen Weg einzuschlagen.

 

Man kann ihn sich wirklich gut als Schauspieler vorstellen: Ali ist »street-smart« und ausdrucksstark und daher nicht zufällig so etwas wie die Hauptfigur in »Wo stehst du?« Doch einstweilen bleibt sein Leben weiter in der Schwebe zwischen Arbeitslosigkeit und Träumereien von einer besseren Zukunft.

 

Das Außergewöhnliche an Bettina Brauns Trilogie ist, dass sie so unspektakulär ist: Es stehen keine Intensivstraftäter im Mittelpunkt, keine traumatisierten Kriegsflüchtige, keine radikalen Islamisten, sondern eigentlich recht normale muslimische junge Männer, die trotzdem vor der alles andere als leichten Aufgabe stehen, ihren Weg zwischen den Werten ihrer Familien und Religion und den Ansprüchen des Arbeitsmarktes und einer liberalen Gesellschaft zu finden.

 

Gegen die Darstellung junger Muslime in den deutschen Medien als Problemfälle, Bedrohungen oder Witzfiguren setzt Bettina Braun einen realitätsnahen und differenzierten Blick.

 

Dass die Kölnerin in nächster Zeit keinen Film mehr mit ihren Protagonisten drehen will, ist schade: Ihre Langzeitbeobachtung entwickelt ein ähnliches Suchtpotenzial wie eine gute Fernsehserie.