Foto: Manfred Wegener

»So lange es geht, nehmt alles selber in die Hand!«

Netzaktivist und Musiker Frank Christian Stoffel über

Urheber und Nutzer, Youtube und die GEMA

Der Schriftsteller und Songwriter Sven Regener hat sich kürzlich in einem Radiointerview in eine große Wutrede gesteigert. Er hat Youtube attackiert und gegen die Umsonst-Kultur im Netz vom Leder gezogen. Tenor: Gute Kunst setzt eine ausreichende materielle Absicherung der Künstler voraus. Ist die nicht gegeben — weil die Leute zum Beispiel die neuen Songs von Element of Crime sich kostenlos herunterladen —, droht Kulturverfall.

 

Frank Christian Stoffel: (Lacht) Ja, ich habe diese Rede in Auszüge nachgelesen. Ich denke, er hat nicht begriffen, um was es geht.

 

StadtRevue: Um was geht es denn?

 

Es wird immer von einer Reform des Urheberrechts gesprochen. Netzaktivisten, ACTA-Gegner — alle sprechen davon. Und das ruft natürlich die Künstler auf den Plan: Oh Gott, da will uns jemand was wegnehmen! Aber es geht ja um Nutzungsrechte. Darüber müssen wir sprechen: Was wird wie und unter welchen Umständen genutzt? Ich ärgere mich, wenn auf Demonstrationen gegen ACTA Demonstranten Schilder hochhalten, auf denen steht: »Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar.« Ja, die bösen Urheber… Aber das Problem liegt ganz klar bei Youtube: Die verdienen Geld mit den Inhalten anderer und wollen keine Lizenzen dafür bezahlen. Youtube suggeriert aber, die Schuldige an der Sperrung sei die GEMA.

 

Soweit bist Du noch ganz bei Sven Regener.

 

Prinzipiell ist das okay, als Künstler einzuschreiten und zu verhindern, das Youtube ohne Lizenzvereinbarung deine Musik oder Videos spielt. Das ist dein gutes Recht. Ich halte das aber für kurzsichtig. Irgendjemand hat mal gesagt: Fans stellen keine Musik bei Youtube ein, um zu klauen, sondern weil sie Fans sind. Was ist mit all den Videos, in denen Fans Lady Gaga nachspielen? Die singen Playback zu deren Hits, sind so geschminkt wie ihr Star. Die machen das doch nicht, um Lagy Gaga raubzukopieren, sondern um ihrem Fan-Sein Ausdruck zu verleihen! Wir haben das früher unter uns gemacht, meine Schwester war eine große Nena-Interpretin. Aber heute machst du das nicht nachmittags im Kinderzimmer, sondern du präsentierst dich im Netz. Und damit droht dir natürlich die Abmahnkeule. Dabei muss genau das bewahrt werden: Dass sich die Fans weiterhin am Objekt ihrer Begierde abarbeiten und das auch öffentlich zur Schau stellen können. Würde Youtube endlich mal seine Lizenzstreitereien in den Griff kriegen, würde erheblich weniger über den angeblichen Verfall des Urheberrechts gejammert.

 

Was würdest Du denn Musikern vorschlagen, wie sie mit den Nutzungsrechten ihrer Musik am besten verfahren sollen?

 

Ich will gar nicht ins Bashing von Plattenfirmen verfallen. Viele Labels meinen es ehrlich und schlagen sich ihrerseits mit Grafikern, Videoregisseuren, Presswerken, Vertrieben, Großhändlern, Verwertungsgesellschaften, der Presse — oder eben Youtube herum. Aber es ist strukturell nicht zu ändern: Ehe der Musiker auch nur einen Cent sieht, müssen eine ganze Reihe anderer Posten bedient werden. Egal wie »independent« das Label ist, der Musiker steht immer ganz hinten. Deshalb würde ich allen Musikern empfehlen: So lange es geht, nehmt alles selber in die Hand!

 

Also auch raus aus der GEMA, die sich ja um die Verwertungsrechte der Songs und Werke kümmert?

 

Man ist immer schnell dabei, über die GEMA herzuziehen, etwa wenn sie mal wieder von irgendwelchen Punk-Veranstaltern irre Summen an ausstehenden GEMA-Gebühren verlangt, was natürlich das Todesurteil für den Punkschuppen ist. Aber man muss schon genauer hinschauen, um die eigentlichen Probleme zu erfassen: Stimmberechtigtes Mitglied der GEMA wirst du erst dann, wenn du als Musiker einen bestimmten Jahresumsatz vorzuweisen hast. Im Klartext: Abstimmen und innerhalb der GEMA Dinge verändern, können nur die Leute, die viel Geld von der GEMA bekommen. Das ist 1a kapitalistisch: Das Geld wird von denen verwaltet, die am meisten davon haben.

 

Das ist das Ambivalente an diesem Verein: Sie ist für die Musiker da; ich persönlich kenne aber keinen einzigen, der was auf die GEMA hält. Im Gegenteil, sie wird verachtet — von Leuten, die da Mitglied sind!

 

GEMA ist eigentlich das Modell für den Filmkomponisten oder noch besser: für den klassischen Songwriter. Der Songwriter komponiert nicht für sich selber, sondern für andere — möglichst viele andere. Aber die Bands, die sich selber aufführen, die haben nichts von der GEMA. Oder erst ab einer gewissen Größe — Stadionrock-Größe, um genau zu sein. 99 Prozent aller Bands werden nicht dreimal am Tag im Radio gespielt und wiederum von anderen Bands gecovert. Was bringt ihnen dann die GEMA? Naja, wenn sie endlos touren. Wobei man aber auch sehen muss, dass die Veranstalter ja die GEMA Gebühren von vorneherein mit in die Gastspieldeals einberechnen. Und wenn eine Band dann nicht in der GEMA ist, kenne ich keine Veranstalter, der sagt, prima, dann zahle euch einfach ein bisschen mehr Gage, soweit geht der Punk-Ethos dann auch nicht. Meine Hauptkritik an der GEMA ist: Sie erlaubt ihren Mitgliedern nicht, die Musik im Netz zum freien Downloaden anzubieten. Sie verbietet, dass einzelne Stücke aus dem Gesamtwerk ausgegliedert werden. Das hat einen rationalen Hintergrund: Damit soll verhindert werden, dass du deinen Millionenseller aus der GEMA herausnimmst, um ihn selber zu verwerten. Aber in Zeiten von Creative Commons kommt das wahnsinnig antiquiert. Als GEMA-Mitglied bist du es mit Haut und Haaren, du darfst da nicht sagen, diese zwei Stücke stehen ab jetzt frei im Netz. Die holländische und die französische Verwertungsgesellschaft sind mittlerweile so flexibel und erlauben das ihren Mitgliedern. Ich kann mir aber auch eine radikale Lösung vorstellen.

 

Nämlich?

 

Raus aus der GEMA. Vertretet euch selber, veröffentlicht im Netz unter der Creative-Commons-Lizenz.

 

Wenn ich Dich richtig verstehe, regst Du Dich über die Scheinheiligkeit der Debatte auf: Alle beklagen die armen Musiker … 

 

Meinen aber sich selbst: Sie wollen nämlich an deren Musik verdienen. Das ist meine Kritik.

 

Aber wo bleibt denn das Geld, wenn Du unter dem CC-Label veröffentlichst?

 

Da gibt’s kein Geld.

 

Du baust darauf, dass die Leute Deine Musik so geil finden, dass sie Dir ein paar hundert Euro überweisen?

 

Ach, Quatsch. Von wem sprechen wir denn hier? Von Bands, die zwanzig bis dreißig Auftritte im Jahr spielen, die alle zwei Jahre eine CD veröffentlichen. Das sind alles Musiker, die Musik machen müssen, die eine Mission haben, die aber gleichzeitig noch irgendwelchen Halbtagsjobs nachgehen, um ihre Mission erfüllen zu können. Wir sprechen von jenen Bands, die wirklich kreative Impulse setzen — ohne dass die voll subventioniert oder von Sven Regener protegiert werden. Die verkaufen 3000 CDs und kriegen vielleicht 5000 Euro an Tantiemen.

 

Wovon ein einzelner vielleicht drei Monate leben kann, das Jahr hat aber zwölf…

 

Eben. Ob sie jetzt 5000 oder 6000 Euro mit einer CD verdienen, macht den Braten nicht fett. Ich denke, dass sollte man sich eingestehen und versuchen, damit klar zu kommen. Den großen Hit werden wir nicht mehr schreiben. Punkt. Bringt es also wirklich so viel mehr, auf die GEMA zu schimpfen, um zu hoffen, dass sie in drei Jahren vielleicht mal hundert Euro mehr ausschüttet? Oder ist es nicht effektiver, alles im Netz frei anzubieten? Weil die Bands darüber mehr Leute erreichen können — weltweit. Wie gesagt, als Musiker bist du ja auf einer Mission … Und außerdem kommen dann auch mehr Leute ins Konzert — und das bringt dir unter Umständen finanziell erheblich mehr.

 

 

Frank Christian Stoffel, 42, ist Musiker, Programmierer, Blogger (horstseinefreunde.de) und Betreiber eines Netlabels (derkleinegruenewuerfel.de, im Mai erscheint von Marco Trovatello »I had to let God be in control of ALL things«). Von 1999 bis 2009 war Stoffel für den KunstWerk Köln e.V. tätig. Er hat u.a. die Konzertreihe »Purer Luxus« und 2009 und 2010 die »Cologne Commons — Konferenz und Festival für digtale Kultur« kuratiert. Momentan kann der Vater zweier Kinder sich kein schöneres Leben als das eines Hausmanns vorstellen. Seine Musik veröffentlicht er unter »Creative Commons«-Lizenz, »da ich nicht Teil des Problems, sondern lieber Teil der Lösung sein möchte«.