Ein Netz aus Zeichen

Desillusionierung am Ende einer negativen Pilgerreise

Wallfahrten sind im christlichen Kulturkreis schon länger out, es sei denn man heißt Harpe Kerkeling oder braucht als stressgeplagter Nordeuropäer ein wenig spätkapitalistisch-mentales Feng Shui. Wenn also jemand sein Buch im Untertitel »Eine englische Wallfahrt« nennt, ist das gewagt.

 

1995 veröffentlichte W.G. Sebald den Band »Die Ringe des Saturn«, eine merkwürdige, melancholische Reiseerzählung, in der sich der Ich-Erzähler nach einem stressigen Projekt zu einer Wanderung durch die Provinz Suffolk aufmacht. Anstatt Erholung beschert ihm der Trip völlige Erschöpfung. Er landet im Krankenhaus und beginnt seine Reiseerlebnisse niederzuschreiben.

 

Dass nun die britische Regisseurin Katie Mitchell das Buch auf die Bühne bringt, hat eine gewisse Folgerichtigkeit. Mit ihrer Live-Video-Ästhetik hat sie bisher in Köln »Wunschkonzert« von Franz Xaver Kroetz und Virginia Woolfs »Die Wellen« inszeniert; zwei literarische Introspektionen, die Mitchell mit ihrer optisch-theatralen Cut-up-Technik wirkmächtig virtuos zerlegte.

 

Auch Sebalds Wallfahrt ist eine Art Selbsterfahrung, eine negative Pilgerreise, an deren Ende nicht Erlösung, sondern Desillusionierung steht. Da wird das Landschloss Somerleyton zum Anlass für eine Träumerei über den Verfall; der Niedergang der Fischerei in Lowestoft erhält einen Auftritt; es geht um das Leben des Autors Joseph Conrad sowie des im 17. Jahrhundert praktizierenden Arztes und Gelehrten Thomas Browne, die britische Kolonialzeit und den Zweiten Weltkrieg.

 

Zeiten und Räume lösen sich auf. Der Ich-Erzähler wird zum Archäologen, der unter den scheinbar nebensächlichen Begebenheiten und Zeugnissen der Geschichte ein subkutanes Netz der Zeichen spinnt: Verweise und Koinzidenzen, wohin man sieht.

 

Ein Sinn von Vergänglichkeit, Zerstörung und Verfall lässt sich daraus nicht entwickeln. Am Ende ist es das Erzählen selbst, das den Zusammenhang stiftet.