»Ich singe nicht, was ich nicht fühle«

Timid Tiger und die Unruhe

»The Streets Are Black« – Timid Tiger melden sich mit ihrem dritten Album zurück, dessen Titel eine neue Haltung auf den Punkt bringt. Während früher der kunterbunte Rappelkistenpop der Band aus allen Nähten platzte, geben sich die Kölner inzwischen abgeklärt und setzen auf einen lässigen Sound aus Gitarrenpop, HipHop und Electronic. Sänger Keshav Purushotham über Eskapismus, sprachliche Identität und internationalen Anspruch.

 

StadtRevue: Auf eurem neuen Album scheint es um die Schattenseiten des Sommers in einer imaginären Stadt zu gehen.

 

Keshav Purushotham: Es dreht sich um keine bestimmte Stadt, obwohl ich manchmal schon an Chennai in Indien gedacht habe, wo meine Familie herkommt. Wir hatten uns das als Konzept gar nicht vorgenommen, es ist uns hinterher erst aufgefallen. Ich habe die Texte geschrieben, als ich mich gerade von meiner Freundin getrennt habe. Ich wohnte in einem Apartment über dem Hallmackenreuther am Brüsseler Platz und war einsam und allein. Ich bin abends immer los und dachte, ich muss irgendwas erleben – aber da war überhaupt nichts. Das Gefühl der Unruhe hat mich permanent begleitet.

 

Darf man festhalten, dass bei euch eine neue Melancholie Einzug gehalten hat?

 

Es ist das erste Album, bei dem ich mich selbst ins Zentrum gerückt habe. Ich singe nichts mehr, was ich nicht wirklich fühle. Das war früher nicht so. Da habe ich mich lediglich als einen Teil der Band gesehen und gedacht, dass es halt immer auch Sachen gibt, die mir nicht gefallen. Ich muss die Songs aber hauptsächlich repräsentieren, und deshalb sollte das diesmal anders sein.

 

Trotz des persönlichen Touches in den Texten wirkt eure Musik ortlos.

 

Das hat viel mit meiner Situation zu tun: dass ich in Deutschland wohne und auf Englisch singe. Das ist so ein Identitätsding, welches bei mir immer wieder aufkommt, dass ich mich frage, wer ich bin, und was ich von mir selbst einbringen kann. Ich könnte zum Beispiel nicht konkret auf Englisch beschreiben, wie es ist, in Köln zu leben. Es ist für mich einfacher, das Gefühl, das ich durchlebe an einen imaginären Ort zu transportieren. Ich hab mir überlegt, ob ich mal einen ganz straighten Song auf Deutsch über mein Apartment schreiben soll. Aber das würde sich auch nicht echt anfühlen. Bei mir gibt es einfach nicht das Gefühl, wirklich eine Sprache zu haben, mit der ich großgeworden bin und in der ich selbstverständlich singe. Für das Songschreiben habe ich mir eine eigene Sprache erarbeitet, die stark geprägt ist von der Musik, die ich höre und den Filmen, die ich sehe. Das steckt genau so in mir drin.

 

Das ist Eskapismus ...

 

Ich bin ja eigentlich schwer auf der Suche nach dem Weg, den ich gehen will und dem Leben, das ich leben will. Da ist die Musik Flucht. Und in dieser Songwelt fühle ich mich echt wohl, da kann ich mich völlig drin verlieren, daran hat ja auch niemand anderes aus meinem Alltag Teil.

 

Bei Timid Tiger geht es darum, Musik mit einer internationalen Aura herzustellen. Richtig?

 

Beim Schreiben haben wir das nicht im Kopf, wir arbeiten nicht darauf hin, dass es möglichst nicht deutsch klingt. Wir verlassen uns da ausschließlich auf unseren Geschmack. Ziel ist aber schon auch, verstärkt Menschen in anderen Ländern anzusprechen.

 

Immer wieder fällt auf, wie schwierig es für Bands, die nicht angloamerikanisch sind oder aus Skandinavien kommen, Aufmerksamkeit außerhalb des eigenen Landes zu bekommen.

 

Das hat viel mit vorgefertigten Bildern zu tun. Wenn die Leute hören: eine Band aus Deutschland, dann muss die Musik auch zu dem Bild passen. Bands aus Deutschland mit internationalem Erfolg haben meistens etwas typisch Deutsches. Selbst der Charme von The Notwist lebt vom deutschen Akzent des Sängers. Wir haben schon Konzerte in England oder in Paris gespielt, das kam immer gut an. Es ist aber sehr schwierig, daraus etwas Größeres zu machen. Das ist auch eine Geldfrage. Da gibt es keine Investoren. Dennoch glaube ich daran: Wenn man eine richtig, richtig gute Platte macht, dann kann das irgendwann passieren.

 

Wie arbeitet ihr inzwischen als Band? Von der früheren fünfköpfigen Clique aus Schulfreunden sind nur noch drei übriggeblieben. Und mit Steady, dem neuen Schlagzeuger, habt ihr euch einen Erfolgsproduzenten (u.a. Casper) als festes Bandmitglied ins Boot geholt.

 

Steady hat mir eine Menge beigebracht. Beim Schreiben produziere ich jetzt quasi vor und entwickele eine Soundidee. Bei vielen Stücken sind diese Soundelemente in den Tracks zu hören. Aber auch unser Gitarrist Christian singt auf dem Album erstmals ein paar Refrains; die hat er geschrieben und an mich weitergegeben, ich habe dazu Strophen gemacht. Wir haben die Stücke als Band bislang noch gar nicht gespielt. Wir haben das alles aufgenommen – und jetzt geht es darum, das live umzusetzen.

 

Ihr seid also klassische Vertreter des digitalen Zeitalters?

 

Es ist sehr viel am Rechner entstanden, sogar zu Hause auf meinem Bett am Laptop. Zum Teil habe ich sogar über das Mac-Book-Mikro Sachen eingesungen, die drin geblieben sind, weil sie gut klangen. Es geht oft schief, solche Takes hinterher noch einmal nachzuspielen. Ich müsste also lügen, wenn ich diese Frage verneinen wollte.