Zur Selbstbestimmung aufgefordert

John Cage (1912-1992) steht im Mittelpunkt des Acht-Brücken-Festivals

Grinsekatze Cage. Was haben wir nicht alles diesem passionierten Pilzesammler mit dem entwaffnenden Lächeln zu verdanken. Er hat die Musik von dem ganzen Jahrhunderte alten Quark der intendierten Formgestaltung und des Werkanspruchs befreit und sie damit erst zu einer Kunstform des 20. Jahrhunderts gemacht. Sein zeitweiliger Lehrer Arnold Schönberg nannte ihn einen »genialen Erfinder«, Pierre Boulez hielt ihn für einen »sehr begabten Musiker«. Beides stimmt, auch wenn Schönberg und Boulez ihm damit die Meriten als Komponist absprechen wollten.

 

Cage und Cologne

 

Komponist war Cage aber allemal, nur hat er all den romantisierenden Geniekult über Bord geworfen und Interpret und Zuhörer in die Verantwortung genommen. Nachdem nun Boulez 2011 den Auftakt des Kölner Acht-Brücken-Festivals bestritt, folgt dieses Jahr der amerikanische Komponist John Cage.

 

Das ergibt Sinn, nicht nur, weil Cage zu den wichtigsten Protagonisten des 20. Jahrhunderts gehört und zwischen den 50er und 80er Jahren immer wieder in Köln weilte, sondern auch weil Cage und Boulez eine kurze aber intensive Freundschaft verband. Man hatte sich Mitte 1949 während eines halbjährigen Studienaufenthaltes von Cage in Europa angefreundet. Boulez stellte den Kontakt zu Karlheinz Stockhausen her und hatte dadurch nicht unwesentlich daran Anteil, dass Cage immer wieder im WDR-Studio arbeitete und vielfältige Verbindungen zur regen Kunstszene in Köln knüpfte.

 

Am 17. Januar 1950 schrieb John Cage an Pierre Boulez und lud ihn nach New York ein. In diesem Brief findet sich ein wunderbar lakonischer Satz, der die ganze Differenz der ungleichen Freunde auf den Punkt bringt: »Du kannst bei mir wohnen und Dich an ein schrauben- und bolzenfreies Klavier setzen.«

 

Godfather of Klavierpräparation

 

Der zwölf Jahre ältere Cage hatte bereits in den frühen 40ern begonnen, mit verschiedenen Materialien wie Nägeln, Radiergummis oder Schrauben das Klangbild des Klaviers zu manipulieren. Aus dem Tasteninstrument hatte er ein hochflexibles Perkussionsinstrument geschaffen: mit den durch Alltagsgegenstände gedämpften oder verstärkten Saiten klang das Klavier plötzlich wie ein Glockenspiel oder wie ein Schlagzeug.

 

1940 hatte Cage mit »Bacchanale« – einer Begleitmusik zu einer Tanzchoreographie – das erste Stück für präpariertes Klavier geschrieben. Ein perkussives Feuerwerk, das immer noch ungemein modern und frisch daherkommt und die von Strawinsky eingeleitete rhythmische Emanzipation weitertrieb.

 

Solch eine gleichermaßen unkonventionelle wie handfeste Herangehensweise blieb Boulez, obwohl dieser auch fasziniert und ebenfalls an experimenteller Klangerzeugung interessiert war, fremd. Das sakrosankte Pianoforte handwerklich zu verfremden, sich es auf diese Weise anzueignen und derart umzuinterpretieren (oder ihm seinen eigentlichen Charakter wieder zuzuführen), zeugte schon fast von einer Punkattitüde.

 

Bereits 1937 hatte Cage sein Credo formuliert: »Es gilt, das akademisch verbotene, nicht-musikalische Klangfeld, soweit dies manuell möglich ist, zu erforschen.« Das ging dem präzisions- und kontrollwütigen Boulez zu weit. In dem kurzen aber heftigen Briefwechsel versicherte man sich zwar immer wieder der gegenseitigen Wertschätzung und versuchte sich gegenseitig zu protegieren, die Kluft zwischen den beiden Komponisten trat aber immer stärker zu Tage.

 

Trrrial and Error

 

Als Cage Anfang der 50er Jahre begann, mit Zufallsoperationen zu experimentieren und davon in einem Brief an Boulez berichtete, erhielt er zur Antwort: »Nur eines, entschuldige, finde ich nicht richtig, und das ist die Methode des absoluten Zufalls, indem man Münzen wirft. Ich glaube, dass der Zufall ganz im Gegenteil stark kontrolliert werden muss (…) Denn schließlich tritt schon genug Unbekanntes auf.«

 

Sein Schüler Christian Wolff hatte Cage mit der chinesischen Orakel-Sammlung I Ging, dem »Buch der Wandlungen«, und sein Komponistenfreund Lou Harrison mit ostasiatischem Denken bekannt gemacht. Cage versuchte nun, mit den Zeichen- und Spruchkombinationen des I Ging die »verbrauchten Klänge« der westlichen Musikvorstellung zu befreien.

 

Es galt – inspiriert vom »automatischen Schreiben« der Surrealisten – eine Klangwelt autonom von individuellem Geschmack und Gestaltungswillen zu erzeugen. Mittels mehrmaligen Münzwurfs legte Cage verschiedene Parameter der Klangerzeugung wie die Präparierungsart fest. Einem ähnlichen Prinzip folgt Cages wohl berühmtestes Werk, das »silent piece 4‘33«« von 1952: Bei dem dreisätzigen Musikstück wird kein einziger Ton gespielt, das was an Klängen vom Zuhörer erfahren wird, ist nicht Teil einer etwaigen Intention des Komponisten, sondern (Zufalls-)Produkt des klanglichen Umfelds.

 

Vom Punk zum Hippie - oder: Hippiepunk

 

Stille gibt es nach Cage, der in einer vollkommen schalldichten Kammer sein eigenes Blut in den Adern rauschen gehört hatte, nicht – und die vorgefundene Welt wird zur Klangkunst, der Zuhörer mitunter zum Produzenten. Diese radikale Erweiterung des klanglichen Materials und die offene Interpretation kompositorischer Arbeit fußen auf der seit Dada immer wieder annoncierten Idee, dass der Unterschied von Kunst und Leben verschwimmen soll.

 

Interpret und Komponist werden austauschbar. In diesen Interventionen ist ein unausgesprochener, aber real vollzogener politischer Anspruch zu spüren, der das Subjekt zur Selbstbestimmung anregt: Nach Cage stammt das Wort »Kunst« aus dem Sanskrit und bedeutet »machen«. Das ist ein Aufruf zum transzendierenden Do-it-yourself, hier feiern Hippies und Punks versöhnlichen Einstand. Zumindest gibt uns Cage eine Vision davon.