Grafik: Michael Kluth

Pelzmäntel für Bryan Ferry

Vom 8. Juni bis zum 1. Juli findet in Polen und der Ukraine die Fußball- Europameisterschaft statt. Wir wissen schon jetzt, wie das Turnier gelaufen sein wird

8. Juni

Die Eröffnung der Europameisterschaft findet praktischerweise in Warschau statt. Somit dürfen auch EU-Kommissionsmitglieder dabei sein, wenn ihnen denn schon das Finale verwehrt ist. Im Mittelpunkt auf den Ehrentribünen stehen indes andere — die Präsidenten der Fußballverbände Polens und der Ukraine: Grzegorz Lato, der von seinem eigenen Verband wenige Wochen vor EM-Beginn zum wiederholten Male wegen Korruption zum Rücktritt aufgefordert worden war, und Grigori Surkis, Präsident des ukrainischen Fußballverbandes, Mitglied des UEFA-Exekutivkomitees, Ehrenpräsident von Dynamo Kiew. Ein Mann mit Stil: der frühere Torhüter soll dereinst Schiedsrichter mit Pelzmänteln bestochen haben.

9. Juni

Im ersten Gruppenspiel trifft Deutschland auf Portugal. Ein gefundenes Fressen für die Mannschaft von Joachim Löw, den »Bryan Ferry des Fußballs«, wie eine englische Zeitung schrieb. Die Seleccao das Quinas verfügt zwar über herausragende Einzelspieler wie Christiano Ronaldo oder Nani, ist aber taktisch maximal auf mittlerem Bundesliga-Niveau und lässt sich leicht auskontern. Deutschland gewinnt durch Tore von Thomas Müller und den eingewechselten Miroslav Klose mit 2:0.

10. Juni

Erstmals in der Ära von Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoffs hat das intensive Medientraining eine Wirkung jenseits des Ornamentalen. Fauxpas wie der von Berti Vogts bei der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien bleiben aus. Der spätere Nationaltrainer sagte damals über die Militärdiktatur: »Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht, ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.«

14. Juni

In der Todesgruppe C bahnt sich eine Überraschung an: Nach der Auftakt-Niederlage gegen Italien kommt Titelverteidiger und Feuilleton-Liebling Spanien nicht über ein 0:0 gegen Irland hinaus. Wie schon die Italiener kopieren die »Irländer«, wie Oliver Kahn in der ZDF-Analyse treffsicher erklärt, schamlos jene extrem defensive und seit 2010 als Inter-Taktik bekannte Spielweise, die auch dem FC Chelsea im Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Barcelona zum Erfolg verhalf.

15. Juni

Nachrichten aus der Heimat: Werner Spinner tritt nach nicht einmal zwei Monaten von seinem Amt als Präsident des 1. FC Köln zurück. »Ich wurde auf eine Art verunglimpft und beleidigt, wie ich es vorher noch nie erlebt habe.« Als Kandidaten für seine Nachfolge werden Wolfgang Overath und Richard David Precht gehandelt.

16. Juni

Novum in der Gruppe A: Da Tschechien und Polen nach ihrem 1:1-Unentschieden mit der gleichen Punkt- und Tordifferenz dastehen, kommt es erstmalig in der Geschichte der EM zu einem Entscheidungs-Elfmeterschießen. Statistiker freuen sich über ein neues Kapitel in der Historie, nachdem zuvor schon Italien 1964 gegen die Sowjetunion durch Losentscheid weitergekommen war und Deutschland 1996 den Titel durch das einzige Golden Goal aller Zeiten geholt hatte. Die Entscheidung fällt um 22:52 Uhr, als Vaclav Pilar den Ball wie weiland Uli Hoeneß im EM-Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei in den Nachthimmel jagt.

17. Juni

Deutschland wankt im letzten Gruppenspiel — gegen Dänemark reicht es nur zu einem 2:2. Mit ihrem dicht gestaffelten Mittelfeld sind die Dänen der bislang unangenehmste Gegner der DFB-Elf. Trotzdem scheiden die Nordeuropäer zum 20. Jubiläum ihres Coups von 1992, als sie spontan für die ausgeschlossenen Jugoslawen nachreisten und den Titel holten, in der Vorrunde unglücklich aus.

18. Juni

FIFA-Präsident Sepp Blatter meldet sich in einem Zeitungsinterview zu Wort und kritisiert, dass schon wieder kein afrikanisches Land bei der EM mitspielt.

18. Juni

In der Gruppe C ist die Sensation perfekt — Italien triumphiert. Neben der Squadra Azzura schaffen sensationell auch Giovanni Trappatonis Iren den Einzug ins Viertelfinale, für Spanien ist dagegen wie für Kroatien frühzeitig Schluss. Im deutschen Lager knallen die Sektkorken: Der Angstgegner, gegen den es bei der EM 2008 und bei der WM 2010 bittere Niederlagen gab, bereits in der Vorrunde eliminiert — und auch gegen Mannschaften aus dem ehemaligen Jugoslawien haben sich Jogis Jungs häufig schwer getan.

19. Juni

England feiert Wayne Rooney. Der Stürmer ist nach seiner Sperre in den beiden ersten EM-Spielen (als Konsequenz seines Straßenkämpfer-Einsatzes im letzten Qualifikationsspiel gegen Montenegro) zum Abschluss wieder dabei und führt England, nach Remis gegen Frankreich und Schweden, durch seine zwei Tore gegen die Ukraine ins Viertelfinale.

20. Juni

Mitten hinein in die spielfreien Tage verkündet die UEFA den Rücktritt von Präsident Michel Platini. Grund ist die Korruptionsaffäre um die EM-Vergabe. Ein zyprischer Funktionär hatte in den vergangenen anderthalb Jahren immer wieder darauf hingewiesen, nun legt Spyros Marangos pünktlich zum Viertelfinale die Beweise vor. Mehrere Funktionäre sollen mit insgesamt knapp zehn Millionen Euro bestochen worden sein.

21. Juni

Misere in der deutschen Abwehr. Per Mertesacker hat sich doch wieder verletzt, Benedikt Höwedes und Philipp Lahm auch. Allrounder Jerome Boateng muss daher gleichzeitig rechts, links und in der Zentrale der Viererkette spielen. Trotzdem siegt Deutschland nach schwachem Spiel glücklich mit 1:0 gegen Russland. Rudi Völler, einst Vater der Generation Rumpelfußball, hat für das Gekicke nur Verachtung übrig: »Mädchenfußball!«


22. Juni

Der Rücktritt von UEFA-Boss Michel Platini entpuppt sich als Ente. Hacker hatten die Website der UEFA geentert. Der Präsident kündigt an, mit aller Macht gegen die Übeltäter vorzugehen, die den Fußball verunglimpfen wollen.

24. Juni

Im Viertelfinale zwischen Irland und Frankreich kommt es in der 103. Minute zur vielleicht größten Geste des Turniers: Der irische Stürmer Robbie Keane nimmt den Ball im Strafraum mit der Hand an und legt auf Richard Dunne vor, der zur 1:0-Führung trifft. Der Referee zeigt zur Mittellinie, Keane jedoch gibt seine Unsportlichkeit zu. Das Tor zählt nicht, Frankreich siegt später klar im Elfmeterschießen.

25. Juni

Zwischenfazit der Polizei: Alles ruhig so weit! Nur in Kiew kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen deutschen und englischen EM-Touristen und einheimischen Studenten, die aufgrund der fehlenden Hotelbetten ihre Wohnheimzimmer für die Dauer der EM räumen mussten. Ein Mann wird vorübergehend in Gewahrsam genommen, weil er das Verbot, während der EM im Innenstadtbereich Wäsche auf dem Balkon aufzuhängen, missachtet hatte.

27. Juni

Deutschland trifft im Halbfinale auf Italien — eine Neuauflage des WM-Halbfinales von 2006, als Italien nach Verlängerung siegte. Diesmal wollen die Deutschen nichts dem Zufall überlassen — sicherheitshalber werden schon Tage vor dem Spiel Pizzerias und Eisdielen boykottiert oder mit falschen Bestellungen in den Wahnsinn getrieben. Sportlich setzt man auf den sanftmütigen Italien-Legionär Miroslav Klose, in seiner Wahlheimat liebevoll »Panzer« genannt.

28. Juni

Lothar Matthäus meldet sich nach dem Besuch des Halbfinalspiels per Twitter zu Wort: »Die Ukraine ist ein Land, in dem Ordnung herrscht, ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.«

1. Juli

Um 22:31 Uhr steht fest: Deutschland ist Europameister! Nadine Müller holt bei der Leichtathletik-EM in Helsinki Gold im Diskuswerfen. 1200 Kilometer weiter südlich in Kiew besiegt Italien im Finale die Niederlande. In Deutschland wird vor lauter Frust über das Ausscheiden diskutiert, ob ein Boykott des Turniers nicht doch sinnvoll gewesen wäre. Bei Sandra Maischberger einigt man sich auf den Kompromiss, ab sofort große Turniere nur noch an Länder zu vergeben, die reich genug sind, ihre innerpolitischen Probleme überzeugend zu vertuschen.