Foto: Matthias Baus

Rambo und Immaculata

Der Kölner Opernintendant Uwe Eric Laufenberg wirft hin — wahrscheinlich

Vor dem Rathaus stehen Mitglieder des Kölner Opernchors und singen den Mitgliedern des Kulturausschusses ein wütendes Ständchen. »Laufenberg muss bleiben« ist auf den Plakaten zu lesen, die trotzig in die Luft gehalten werden. Zweieinhalb Stunden war es gerade her, dass Opernchef Uwe Eric Laufenberg bei der Vorstellung der neuen Spielzeit die Auflösung seines Vertrages zum Ende der Saison 2012/13 ankündigt hatte.

 

Von der Vertragsauflösung zur Schmierenkomödie

 

Der Vorgang und seine Folgen nehmen inzwischen immer mehr den Charakter einer provinziellen Schmierenkomödie an, die Personen und Institutionen beschädigt zurücklässt: Eigentlich hatten sich der Opernchef und die Stadt vertraulich auf eine Vertragsauflösung geeinigt. Als die Information durchgestochen wurde, gab Laufenberg ein offizielles Statement ab.

 

Kulturdezernent Georg Quander untersagte ihm daraufhin die Bekanntgabe des Spielplans 2012/13 und stellte die »einvernehmliche Auflösung Ihres Dienstvertrages« in Frage. Laufenberg präsentierte daraufhin einen Spielplan im Konjunktiv. Was wäre, wenn… In den folgenden Wochen eskalierte der Streit, die Anwälte verhandelten über die Vertragsauflösung.

 

Inzwischen bezichtigen sich beide Seiten der Falschaussage; bei Redaktionsschluss steht alles von der sofortigen Vertragsauflösung mit Abfindung über die Vertragsauflösung 2013 bis zur erzwungenen Vertragserfüllung bis 2016 im Raum. Blamiert haben sich bisher fast alle bei diesem erbärmlichen Spektakel, an erster Stelle die politischen Vertreter. Der Einzige, der sich bisher selbstkritisch äußerte, war der kulturpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Ulrich Wackerhagen, der im Kulturausschuss sagte: »Wir sind als Betriebsausschuss unseren Pflichten nicht nachgekommen.«

 

Schuldzuweisungen  und der Stadt-Anzeiger mischt mit

 

Das große Kesseltreiben begann im September 2011, als bekannt wurde, dass die Kölner Bühnen auf ein Defizit von fünf Millionen Euro zusteuern. Eine Million davon ging auf Kosten der Oper für eine sehr teure Stockhausen-Uraufführung. Den Rest hatte der Kölner Rat und damit die Politik selbst beschlossen: Durch nicht übernommene Tarifsteigerungen, durch Genehmigung eines China-Gastspiels der Oper aus den Rücklagen des Theaters und durch ein Sonderopfer der Bühnen für die Freie Szene.

 

Die Verantwortung für das Defizit wurde allerdings vor allem Laufenberg zugeschoben. Diese Verunglimpfung wäre nicht möglich gewesen ohne eine gezielte Kampagne des Kölner Stadt-Anzeiger. Dem eher Laufenberg zugeneigten Musikredakteur wurde ein journalistischer Aufpasser an die Seite gestellt, der den Opernchef systematisch zu demontieren versuchte.

 

Kritische Fragen an Karin Beier dagegen blieben aus: Die Schauspielchefin, die seit dem Streit um die Bühnen-Sanierung auf den Stadt-Anzeiger als publizistischen Flankenschutz zählen kann, wurde zur Immaculata des Budgetverwaltung stilisiert. Beier durfte sogar in einem eigenen Artikel ihre Sicht auf die Etatkrise kundtun.

 

Bühnen unterfinanziert, Stadt hoch verschuldet

 

Unstrittig ist, dass die Kölner Bühnen, und vor allem die Oper, unterfinanziert sind. Frankfurt, Stuttgart, Leipzig statten ihre Theater allesamt besser aus — von Berlin, München oder Hamburg gar nicht zu reden. Wie immer reklamiert allerdings Köln für sich nur das Beste: Laufenberg war mit dem Anspruch geholt worden, nach dem Debakel mit Vorgänger Christoph Dammann die Oper endlich wieder auf hohem Niveau zu profilieren — doch mehr als Discountpreise wollte und will man dafür nicht zahlen.

 

Unstrittig ist aber auch, dass die Stadt Köln hoch verschuldet ist. Die berüchtigte »vorläufige Haushaltsführung« gehört zum Alltag. Für die nächsten beiden Jahre droht ein Doppelhaushalt: Ratsentscheidung frühestens im Frühjahr 2014. Die Sparauflagen sind drastisch — im Kulturetat fehlen allein 7,5 Millionen Euro. 

 

Der gebürtige Kölner Uwe Eric Laufenberg (»Ich kann besser kämpfen als klüngeln«) nahm darauf kaum Rücksicht. Wie ein Rambo watschte er alle ab: vom Oberbürgermeister bis zum schwachen geschäftsführenden Direktor der Bühnen, Patrick Wasserbauer, der vermutlich das nächste Opfer der Krise sein wird. Konzilianz oder Diplomatie sind Laufenbergs Sache nicht.

 

Nichtsdestoweniger hat er in der Sache recht. Wer Oper von internationalem Rang will, muss dafür auch die Mittel bereit stellen. Laufenberg provozierte die Stadt zu einem klaren Statement — und bekam ein Musterbeispiel katastrophalen Krisenmangements.

 

Freigabe von Mitteln um zehn nach zwölf

 

Kulturdezernent Georg Quander brachte in höchster Defizit-Not einen Kassenkredit für die Bühnen in Höhe von fünf Millionen Euro ins Spiel, den der Hauptausschuss auch genehmigte. Schulden sollten mit Schulden kompensiert werden. Da aber der Kredit nur für bestehende Defizite, nicht für den Spielplan der neuen Spielzeit zur Verfügung stehen sollte, war prompt wieder Gefahr im Verzug.

 

Wieder kreiste die Politik und gebar — die Zeit drängte — in einer Dringlichkeitsentscheidung einen Drei-Millionen-Euro-Sonderzuschuss, von dem freilich gleich ein Drittel als »Konsolidierungsbeitrag« einbehalten wurde. Danach erhalten die Bühnen 51,1 Millionen Euro, davon entfallen auf die Oper 31,9, auf das Schauspiel 18,4 Millionen Euro.

 

Rechtsgültig wurde die Zuwendung am Tag von Laufenbergs Spielplanvorstellung, so dass zu diesem Zeitpunkt von der Spielzeit 2012/13 gerade einmal sechs von 122 Vorstellungen der insgesamt zehn Premieren und drei Wiederaufnahmen vertraglich abgesichert waren. Laufenberg inszenierte gelöst den Eklat, nicht ohne auf dem von ihm geforderten Zuschuss von 34 Millionen zu bestehen. Karin Beier dagegen zog ihren Spielplan zurück, warnte allerdings in ihrem Hausblatts Kölner Stadt-Anzeiger vor nicht eingehaltenen Zusagen.

 

Kulturelles Versagen Kölns 

 

Laufenbergs Abgang 2013 ist nicht nur künstlerisch ein Verlust, sondern Indiz für ein vielfältiges Versagen: Die politische Klasse ist unwillig oder unfähig, in einer Krise Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu fällen. Sie kann zudem nicht akzeptieren, dass sich die mehrjährige Planungszeit der Bühnen, vor allem der Oper, nicht mit den jährlichen Haushaltsverhandlungen synchronisieren lassen. Dahinter verbirgt sich auch ein Desinteresse an einer Professionalisierung und Qualitätssicherung der Theater — und das gilt für Stadttheater wie Freie Szene gleichermaßen.

 

Dazu kommt ein Kulturdezernent, der zwischen den Angriffen des von ihm in-thronisierten Opernintendanten und den Forderungen der Politik zunehmend zerrieben zu werden droht — und der von den Kulturpolitikern allenfalls noch gelitten ist, die allerdings selbst über ein nur schwaches Standing in ihren Fraktionen verfügen.

 

Unqualifiziertes Getöse aus allen Richtungen

 

Was an dem Konflikt am meisten irritiert, sind seine gefährliche Dynamik und die Reflexe, die er auslöst. Angefeuert von der Presse pushen sich die Kontrahenten mit immer neuen Beschuldigungen. Als bekannt wurde, dass die Stadt Duisburg den Zuschuss für ihre Opern-Ehe mit Düsseldorf reduzieren will, brachte der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt sogar eine Zusammenarbeit mit Köln ins Spiel — was wiederum Georg Quander und Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters willig aufgriffen.

 

Nachdem vor eineinhalb Jahr schon Bonn seine Oper den Kölnern angedient hat und dieses Angebot nun durch Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch erneuert wurde, nun also Düsseldorf. Die Mutwilligkeit (oder ist es die Verzweiflung?), mit der hier eigenständige, die bürgerliche Identität der Stadt prägende Kulturinstitutionen zum Spielball gemacht werden, ist atemberaubend.

 

Damit einher geht ein reflexhaftes Hochkultur-Bashing, verbunden mit Wahlkampfrhetorik. Die Grünen bescheinigten den Kölner Bühnen gleich »Frittenbuden«-Niveau; bei der SPD verglich Fraktionschef Martin Börschel (»Man muss keinen großen Etat haben, um Deutscher Meister zu werden.«) sein Wunschopernhaus mit Borussia Dortmund. Junge Spieler (mit Millionengage) = junge Sänger (mit Anfängergage), sollte das heißen.

 

Gemeint war aber auch: Kultur muss als Massenunterhaltung und Event taugen — und unter dem deutschen Meister macht es Köln nicht. Nicht die Borussia, der FC ist das Symbol für diese Stadt: Zweitklassigkeit, darum geht es. Der Widerspruch der CDU erschöpfte sich in simplem Wahlkampfgetöse und Beschimpfung der Verwaltung. Nur die FDP kämpft mit Herzblut für die Oper und ihren Intendanten.

 

Die Situation ist völlig verfahren. Inzwischen wurde Rolf Bolwin vom Deutschen Bühnenverein als Mediator eingeschaltet — er müsste allerdings in einer grundlegenden Sache vermitteln. Denn der viel diskutierte »Kulturinfarkt« ist in Köln letztlich nicht einer des Zuviel an Kultur, sondern einer des zu Wenig an Bewusstsein. Bewusstsein dafür, was Kultur zum eigenen geistigen Habitus, zur Identität einer Stadt und zu ziviler Urbanität beiträgt.