Trauerarbeit mal anders

Melodram? Komödie? Oder doch ein Horrorfilm?

»Alpen« von Yorgos Lanthimos

Sie nennen sich »Die Alpen«. Sie sind zu viert. Sie haben alle einen bürgerlichen Beruf: Eine ist Krankenschwester, einer Notarzt, einer Trainer und eine Leistungssportlerin (Rhythmische Gymnastik). Jedes Alpen-Mitglied trägt den Namen eines Berges – der Anführer heißt logischerweise Mont Blanc. 

 

Die Alpen kümmern sich um die Hinterbliebenen frisch Verstorbener: Sie dienen ihnen für eine gewisse Zeit als Ersatz für die gerade Verschiedenen. Sie lassen sich deren Eigenarten schildern – typische Sätze, Gesten, Bewegungen, Lebensroutinen –, um sie für die Hinterbliebenen nach deren Anweisungen nachzuspielen, gewandet in die Kleidung des oder der Toten.

 

Dass die Alpen völlig anders aussehen als diejenigen, die sie ersetzen, ist nebensächlich. Sie sind Platzhalter, die, gerade weil sie nicht so aussehen wie die schmerzlich Vermissten, den Lebenden klarmachen, dass deren Stellen im Weltgefüge von nun an leer sein werden und von anderen bei Bedarf ausgefüllt werden können.

 

Wer im Mai Athina Rachel Tsangaris »Attenberg« gesehen hat, kennt auch den Regisseur von »Alpen«, Yorgos Lanthimos. Er spielt in »Attenberg« den Ingenieur auf Durchreise, der sich im Bett als ähnlich geschickt erweist wie am Kicker. Tsangari, wiederum, hat »Alpen« produziert, wie schon Lanthimos‘ frühere Regiearbeiten »Dogtooth« (2009) und »Kinetta« (2005).

 

Wie bei diesen geht es auch in »Alpen« um Gesellschaft als Rollenspiel. Nur, wo der in Deutschland immerhin auf DVD erschienene »Dogtooth« ziemlich lustig, streckenweise absurd bis albern war, ist »Alpen« unterkühlt und auf schleichende, nagende Weise schaurig und beunruhigend – ein Melodram, dessen surrealistische Aspekte mehr gemein haben mit dem Widerpart der Komödie, dem Horrorfilm.

 

Die Geschichte offenbart sich erst ganz allmählich, sie muss regelrecht erarbeitet werden. Man folgt daher auch weniger einem Plot, als dass man sich von den eiswürfelkalten Bildern, den ultrakontrollierten Bewegungen der Darsteller, den ausgespuckten Dialogsätzen bewegen lässt. »Alpen« durchdringt einen. Wer sich den Film anschaut, sollte bedenken, dass die Möglichkeit besteht, als ein anderer Mensch wieder aus dem Kino zu kommen. Und das ist schön. Eigentlich ist es das, worum es am Ende wirklich geht. Genau das.