Schnodderdeutsch für Fortgeschrittene

Neuvertonung als eigene Kunst:

Eine Hommage an den Synchronsprecher und -dialog­autor Rainer Brandt

Was teilen sich Elvis Presley und Jean-Paul Belmondo, Franco Nero und Tony Curtis zuweilen? Antwort: ihre Stimme, genauer die von Synchronsprecher Rainer Brandt. Selbst eingefleischte Kinofans, die Filme sonst nur in der Originalversion sehen, geraten bei seinem Namen ins Schwärmen: O-Ton oder Brandt? Die Frage stellt sich nicht. In diesem Fall muss es die Synchronisation sein!

 

Von den späten 60er Jahren bis weit in die 80er verlieh der Berliner von seinem Tonstudio in Kleinmachnow aus dem Trivial- und Unterhaltungsfilm im deutschsprachigen Raum als Sprecher, vor allem aber als Synchrondialogautor und -regisseur whiskey- und zigarettengestählter Charakterstimmen ein ganz eigenes akustisches Gepräge.

 

»Sleep well in your Bettgestell«

 

»Schnodderdeutsch« nennt Brandt seine spezifische Kunstsprache, die das macht, was Synchronisation als funktionales Handwerk für gewöhnlich gerade nicht soll: Sie wird zum Spektakel eigenen Rechts, ihr Urheber zum auteur. Brandt-Begriffe wie »Tschüssikowsky« fanden ihren Weg in die Alltagssprache. Das oft zitierte »Sleep well in your Bettgestell« illustriert die Flapsigkeit des Schnodderdeutsch, radebrechendes »Mir schwellt da eine Frage im Gebeiß« markiert dessen fortgeschrittenes Stadium.

 

Vor allem handelt es sich um die Kunst der Wendigkeit: nicht nur, weil sie sich behende des Jargons des Berliner Kneipenmilieus bedient, diesen mit dem Jiddischen kombiniert, ein wenig ironisch gestelzte Parfümiertheit unterhebt, Englisch und Französisch, soweit beim Publikum rudimentär voraussetzbar, waghalsig mit übers Bein bricht und am Ende noch großzügig Anzüglichkeiten darüber streut.

 

Dabei entsteht eine ganz eigene Sprache, fantasievoll in ihren Metaphern, derb in ihren Anspielungen. Oder kurz: ein Heidenspaß. Kunst der Wendigkeit aber auch, weil sie ganz einfach rasend schnell daherkommt: Dem bis dahin vorherrschenden Theater-Synchrondeutsch mit seinen wohltemperiert verwalteten Sätzen setzte Brandt wie aus der Pistole geschossene Verbal-Saltos entgegen, ohne die sich die cholerischen Wortkaskaden eines Louis de Funès oder Adriano Celentano, deren Filme Brandt kongenial übertrug, kaum meistern lassen.

 

Wendig sind Brandts Arbeiten aber auch, weil sie ihre Gags und Sprüche dem Filmbild mit scharfem Auge unterjubeln: Im Rücken zur Kamera, in abgewandten Gesichtern und Bildern in der Totalen, in denen Mundbewegungen ohnehin kaum mehr auszumachen sind, findet Rainer Brandt jene visuellen Nischen, mit denen sich gut arbeiten lässt.

 

»Nicht gesehen? Umsonst gelebt«

 

In »Die Zwei« fackelte er auf diese Weise ein Feuerwerk an Sprüchen ab (»Du musst jetzt etwas schneller sprechen, Lordchen, sonst bist du nicht synchron!«) und verhalf damit der im Original recht drögen britischen Serie in den frühen 70er Jahren zu wahren Straßenfegerqualitäten, die auch den des Deutschen mächtigen Hauptdarsteller Tony Curtis aufmerken ließ.

 

Der orderte deutsche Episoden, lachte sich scheckig und bemühte sich um Brandt als Originalautor für die Serie, ein Vorhaben, das am frühzeitigen Ende der Serie scheiterte. Bis heute ist diese des nie bescheidenen Brandts liebstes Kind: »Nicht gesehen? Umsonst gelebt«, kommentiert er seine Arbeit.

 

Seinen Ursprung hat das Brandtsche »Schnodderdeutsch« aber in der Welle von Bikerfilmen, die der Erfolg von »Easy Rider« nach sich zog. Über deren doppeldeutigen Slang musste der damalige Synchronsprecher Brandt die von den neuen Jugendkulturen überforderten Autoren überhaupt erst mal in Kenntnis setzen.

 

»Schnodderdeutsch« schrieb Kinogeschichte

 

Während sich der deutsche Autorenfilm mit »Papas Kino« um die Kinosäle prügelte und den Jungen Deutschen Film proklamierte, machte Brandt den Unterhaltungsfilm mittels der Straße und Kneipe abgelauschtem Sprachwitz unter Jugendlichen anschlussfähig. Der Rest ist Geschichte: Brandts Studio wurde zur ersten Adresse für Filmverleiher, die sich eine komödiantische Aufhübschung ihrer Ware wünschten. Manch rasch runtergekurbelter Streifen wurde über den Umweg solcher Sprachveredelung am Ende doch zum Kassenknüller und ist heute nur ihretwegen überhaupt noch sehenswert.

 

Insbesondere in den komödiantischen Spätausläufern des Italowesterns fand Brandts Schnodderdeutsch zur Formvollendung. Es erwies sich als perfektes Gefäß für burleske Derbheit, etwa der Filme von Bud Spencer und Terence Hill, sodass mancher Verleiher die ursprünglich nicht von Brandt synchronisierten Filme des Duos für einen zweiten Kinolauf in sein Tonstudio nach Kleinmachnow schickte. Bis heute gelten diese Versionen gemeinhin als die gültigen Fassungen, an der bis heute immensen Popularität der Spencer/Hill-Filme hierzulande haben sie entschieden Anteil.

 

Auch heilige Kühe des Italowesterns gingen diesen Weg: Die VHS-Tapes der für eine Wiederaufführung in den 80ern erstellten Brandt-Synchronisationen von Sergio Leones »Dollar«-Filmen, in denen nun auch der bis dahin markig wortkarg auftretende Clint Eastwood flapsig Sprüche klopft, sind heute gesuchte Raritäten. Wobei Brandt sich auch auf das ernste Fach versteht: Dass sich David Lean bei ihm persönlich für die sorgfältige Synchronisation von »Die Reise nach Indien« bedankte, erzählt Brandt merklich mit Stolz.

 

Brandt aktuell: »Big Bang Theory«

 

Bis heute ist Brandt aktiv: In Berlin legt er im Theater Erich Mielke Schnodderdeutsch in den Mund, für Jörg Buttgereits WDR-Hörspiel »Green Frankenstein«, einer Hommage an das japanische Monsterkino, setzte er sich wieder vors Mikro. Und Synchronisationen erstellt seine Firma Brandtfilm immer noch: So entstand die deutsche Fassung von »Big Bang Theory« in Kleinmachnow.

 

Damals wie heute orientiert sich Brandt als Vollprofi ganz an den Bedürfnissen der Kunden: Schnodderdeutsch ist bei den »jungen dynamischen Leuten«, wie Brandt die heutigen Medienleute augenzwinkernd nennt, nicht mehr gefragt. Schade eigentlich.