Es funkelt in allen Ecken

Mary Bauermeister pflegt bis heute ihre ganz eigene Form des Fluxus.

Ein Atelierbesuch anlässlich ihrer Retrospektive in Bonn

Schüsseln und Töpfe reihen sich auf dem langen Holztisch. Mittagszeit. Es gibt Rotkohl garniert mit ein paar Gänseblümchen, Kräuter aus dem Garten und Honig von den eigenen Bienen. Beim Essen regelt Mary Bauermeister Dinge mit Angestellten und Kollegen. Der Rasen wurde gemäht – »nein nein, natürlich nicht da, wo schon die ersten Blumen wachsen«, dazu kennen die Mitarbeiter ihre Chefin nun doch gut genug. Bauermeister lacht.

 

Untrennbarer Dreiklang: Kunst, Leben, Alltag

 

Das Haus der 77-jährigen Künstlerin in Rösrath-Forsbach bei Köln ist alles gleichzeitig:
Archiv, Atelier, Forschungs- und Begegnungsstätte für Schüler, Studenten, Künstler, Heiler, spirituelle Menschen und neugierige Besucher. Wohnhaus war es früher einmal, als Bauermeister hier mit ihren vier Kindern lebte.

 

Den Versuch, ihr künstlerisches Werk aus diesem betriebsamen Mikrokosmos herauszulösen, unternahm 2004 das Museum Ludwig mit einer kleinen Werkschau zum 70. Geburtstag der Künstlerin. Jetzt wagt sich das Bonner Frauenmuseum an eine dreiteilige Retrospektive. »Mary Bauermeister – Kulturgewächs – Spektrum über 60 Jahre« ist sie betitelt. Aber müsste man nicht das komplette Atelierhaus als Gesamtkunstwerk ausstellen?

 

Draußen ist es trüb, trotzdem strahlt das Licht, mehrfach gebrochen, durch die an fast allen Fenstern angebrachten Prismen herein. »Kunst und Leben und Alltag, das war bei mir von der Kindheit an nicht getrennt,« erzählt Bauermeister. Sie beschreibt tanzende Wirbel aus Farben und Fäden und Formen, die sie als Kind in der Natur wahrgenommen hat. »Bei der Beschäftigung mit dem Ökologischen habe ich auch gemerkt, welche Ausstrahlung Material hat. Seitdem bin ich sehr vorsichtig damit, welche Materialien ich verwende.«

 

Erleben teilen: »Erkenntniseuphorien«

 

Die Welt denkerisch durchdringen, das Schöne aufspüren und es dann für alle anderen sichtbar machen, so könnte man ihren künstlerischen Ansatz beschreiben. Bauermeister nennt das »Erkenntniseuphorien« und hält diese fest, zum Beispiel in ihren Bild- bzw. »Linsenkästen«, mit denen ihr in den 60er Jahren der Durchbruch auf dem New Yorker Kunstmarkt gelang. Auf Kugeln, auf Gegenständen und Fundstücken aus der Natur stehen Botschaften, die durch Linsen optisch verzerrt werden. »Das sind Facetten der Erkenntnis, die ich nicht zu einer absoluten Wahrheit erklären möchte.« 

 

Der Blick fällt auf ein auseinander gebautes Klavier im Wintergarten, an dem allerlei Instrumente zum Musikmachen baumeln. Über dem weißen Sofa hängt ein großes Steinmosaik, der Boden ist komplett ausgefüllt mit einer neuen Arbeit, die in die Fluxus-Ausstellung nach Potsdam kommt. Überall verteilt stehen Boxen mit Holzstiften, deren Spitzen in Regenbogenfarben angemalt sind.  

 

In der Bonner Ausstellung sieht es weit ordentlicher aus. Die Steinbilder hängen in verschiedenen Ausführungen in einem Raum nebeneinander. Durch die isolierte Hängung büßen einige Werkgruppen in der unteren Etage von der organischen Schönheit ein, die sie im Haus ausstrahlen.

 

In der oberen Etage hat die Ausstellung – ganz im Bauermeisterschen Sinne – Labor-Charakter: Skizzen, Pläne, Modelle für Gartenbau-Projekte stehen und liegen herum, dazwischen stehen Linsen- und Lichtobjekte. Etwa die Hälfte des Gesamtwerkes ist zu sehen, schätzt Bauermeister – eine seltene Gelegenheit, da Einzelausstellung ihres Werks in Deutschland bisher rar gesät sind.

 

Erlebtes teilen: Archiv und Anekdoten

 

Bauermeisters Werk ist nicht gerade dafür geschaffen, im Museum zu hängen. Schwer in seiner Gesamtheit zu erfassen, ohne die unzähligen Aufzeichnungen, ohne die Musik, die einen wesentlichen Bestandteil bildet.

 

Ohne das, was die Künstlerin zu sagen hat, ist auch manche Erzählung aus früheren Leben schier unglaublich. Manches aus diesem ist Kunstgeschichte: Bauermeisters Kölner Atelier in der Lindtgasse war Keimzelle des Fluxus, sie verkehrte mit den Pop Art-Künstlern in New York und war mit dem Komponisten Karlheinz Stockhausen verheiratet. Aber da war immer auch das eigene Werk.

 

Mit grauer Mütze und grauem Umhang, »ihrer Winterverkleidung«, steht Mary Bauermeister im Garten. Neben einem lebensgroßen Kristall, der vor einer umgekippten Birke steht, fällt sie kaum auf. Rund herum stehen Wohnwägen, kleinere Hütten und ein Turm. Hier und im Haupthaus sind, nach Fachrichtungen sortiert, ihre Archive untergebracht: die Korrespondenz mit Karlheinz Stockhausen und mit Künstlerfreunden, eine Dokumentation der Kölner Fluxus-Zeit, Kriegsbriefe und Tagebücher aus der Kindheit, Werkbücher, Skizzen – die Geschichte eines Lebens. 

 

Und die Frage wird dringlicher, was davon bleibt. Das Zentralarchiv des Internationalen Kunsthandels ZADIK und der Landschaftsverband Rheinland sind daran interessiert, den Bestand zu digitalisieren und öffentlich zugänglich zu machen, ist er doch von unschätzbarem Wert für die Erforschung der Fluxus-Geschichte. Mary Bauermeister wünscht sich, dass alles zusammenbleibt und der Betrieb weiterläuft. Eine schöne Vorstellung.