Wir sind die Höhlenmenschen

Beach House hauchen die zarteste Dröhnung des Indiepops

Musik wie ein Schaumbad. Schon mit dem Hören des ersten Tons eines Beach-House-Songs flufft man komplett in ein liquides, warmes Dings hinein. Man könnte fürchten, dass dieses Gefühl genauso schnell wieder verpufft, dass eine dieser schillernden Miniklangblasen nach der anderen zerplatzt. Das tun sie auch, und es knistert dabei so schön.

 

Aber zum Glück dauert es, bis der Zauber vorbei ist. So lange darf man sich auch auf dem vierten Album »Bloom« wieder umschmeicheln lassen. Victoria Legrand und Alex Scally haben nach dem Erfolg von »Teen Dream« (2010) kaum etwas verändert. Das Instrumentarium des Duos aus Baltimore, Maryland, schnurrt unverkennbar los. Die zarteste Dröhnung, seit es Klangwände und ein Genre namens Dream Pop gibt.

 

StadtRevue: »Teen Dream« war ein großer Erfolg.
Wie hat das eure Musik und eure Leben verändert?
 

 

Alex: Der einzige Unterschied ist, dass wir diesmal mehr Shows spielen mussten und dass mehr Leute gekommen sind. Je öfter man seine Songs spielt, desto satter hat man sie, umso mehr freut man sich darauf, neue Musik zu schreiben. Wir hatten mehr Ressourcen für die neue Platte, konnten mehr Zeit im Studio verbringen, um alles perfekt zu machen. Aber psychologisch hat sich nichts verändert. »Bloom« ist einfach unser viertes Album, wir machen dasselbe wie von Beginn an.

 

Eure Stücke erzeugen einen besonderen musikalischen Raum: ruhig, warm, schützend. Könnt ihr diese Stimmung auch in Konzerten vermitteln?

 

Victoria: Unterwegs kann man diesen Ort nicht schaffen. Ich muss für eine bestimmte Zeit alleine sein, um wirklich etwas zu hören, um zu verstehen, dass etwas wert ist, intensiver darüber nachzudenken. Immer wenn wir nach Baltimore zurückkommen, finden wir diese Zeit für uns selbst und können uns dann wirklich konzentrieren.

 

Alex: Was in diesen Momenten ausbricht, baut sich über ein Jahr lang auf Tour auf. Du spielst dauernd nur Sachen, die bereits abgeschlossen sind, dabei wird eine Unmenge an kreativer Energie angehäuft, die sich nicht entladen kann, fast wie bei sexueller Frustration. Wenn du endlich die Möglichkeit bekommst, daran zu arbeiten, ist das ein unglaubliches Gefühl.

 

Seht ihr Musik als eine Möglichkeit zur Flucht?

 

Victoria: Nein. Es ist eine Art, sich der Wirklichkeit zu stellen, mit ihr klarzukommen. Wir sind keine Eskapisten, aber wir wollen die Musik leben, uns von ihr verschlingen lassen. Der Schaffensprozess ist sehr physisch, die Songs fordern ihren Tribut. Aber auch wenn im Prozess viel Intensität einfließt, wollen wir, dass sich das Endergebnis mühelos anfühlt. Uns geht es nicht um Flucht, einigen von unseren Hörern und Fans vielleicht schon. Ich ziehe da gerne etwas kitschige Analogien: Viele natürliche Phänomene sind das Ergebnis von etwas sehr Intensivem, das sich friedlich anfühlt. Ein Wasserfall sieht aus der Ferne friedlich aus, und wenn du näher kommst, ist er dieses tosende, gewaltige Ding, das den Fels zerschneidet.

 

Alex: Alle erleben das anders. Manche finden Beach House deprimierend, andere entspannend. Die Leute machen mit der Musik, was immer sie wollen. Genau das ist das Tolle daran. Sie ist radikal subjektiv.

 

Victoria: Das meinte ich mit diesem physischen Aspekt: Die Musik manifestiert sich körperlich. Wenn wir anfangen zu spielen, denken wir nicht lange nach, wir werden gewissermaßen selbst zum Album. Es ist wie bei einem Drachen, den du steigen lässt. Du lässt ihn los und gibst immer mehr Leine, er wird schnell weggeblasen, du rennst hinterher, und später bremst du ihn wieder. Du findest für eine bestimmte Weile ein Gleichgewicht, und eines Tages merkst du, dass das Album fertig ist.

 

Dann muss man loslassen.

 

Alex: Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Aber auch ein sehr schwieriger.

 

Victoria: Man muss verstehen, dass nichts jemals perfekt sein kann. Falls man als Künstler irgendwann zufrieden ist, sollte man wohl auch keine Platten mehr aufnehmen. Dann hat man alles gesagt und abgeschlossen. Zum Perfektionismus gehört auch, dass all die Unzulänglichkeiten am rechten Platz sind und im rechten Licht erscheinen.

 

Alex: Das könnte eine riesige Diskussion zum Thema eröffnen, was Kunst überhaupt ist. Es ist unglaublich interessant, darüber nachzudenken, warum zur Hölle wir das überhaupt machen.

 

Victoria: Aber wir können nicht erklären, warum. Wir tun es einfach.

 

Alex: Ja, wir tun es einfach. Wie die Höhlenmenschen.

 

Auf dieses Tun gibt es keine Antwort?

 

Alex: Es ist zwanghaft. Der Regisseur John Waters, der wie wir aus Baltimore stammt, hat mal zu uns gesagt, dass Künstler die unsichersten Personen sind, die man sich vorstellen kann. Genau deswegen sind sie Künstler. Sie müssen sich kontinuierlich ausdrücken und etwas schaffen, um zu spüren, dass sie überhaupt existieren. Ich bin nicht sicher, ob das stimmt, aber ich mag die Idee.

 

Der Titel eures neuen Albums, »Bloom«, erzählt vom Werden, das die Vergänglichkeit schon in sich trägt.

 

Victoria: Ja, aber der Titel soll sein eigenes Leben entwickeln und nicht nur eine einzige Bedeutung haben. Wenn man älter wird, merkt man, dass nichts für immer währt, aber das nimmt dem Leben nichts weg. Es macht die Erfahrung nur intensiver und besser. Wir lieben das Wort »Bloom«: Es öffnet sich, es schließt sich, es stirbt. Es ist frustrierend, dass die Dinge vergehen und niemals wiederkehren. Ich denke, es gibt viele Zugänge zu diesem Album. Man muss einfach nur einen Song auswählen und die Sache für sich ergründen.