So jung kommen wir nicht mehr zusammen

Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigt unter neuer Leitung von Ulrike Groos zu ihrer Wiedereröffnung mit »Zurück zum Beton« die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland.

The Punk Movement was just Hippies with short hair«
Bjarne Melgaard

In Köln hießen die Läden »Peppermint« oder »Blue Shell«. Auch hier wurde Ende der 70er Jahre kräftig Jugend verschwendet, vor allem gesoffen und geprügelt. Manchmal machte man sich chic, je nachdem, ob man auf The Jam, die Sex Pistols oder Eddie Cochrane stand. Von einer kreativen Explosion war aber zunächst wenig zu spüren. Köln war (jugend)kulturelles Ödland, was sich erst ein paar Jahre später ändern sollte. Die neue »Kultur aus den Slums – brutal und hässlich«, wie der Spiegel vorschnell titelte, fand hierzulande neben Berlin und Hamburg vor allem 40 km rheinabwärts statt, im Düsseldorfer »Ratinger Hof«.
Warum das so war, wusste keiner so recht. Eine Laune der Geschichte? Vielleicht lag es an dem besseren Kneipenkonzept von Carmen Knödel, das die Möglichkeit von spontanen Live-Konzerten vorsah. Oder es lag an der Nähe zur Kunstakademie, wo man zwar noch von Beuys gelernt hatte, sich aber eher vom Teenage Wildlife in den abgerissenen Kneipen angezogen fühlte. Martin Kippenberger residierte angeblich ständig im »Hof«, und Markus Oehlen war als Mitglied von Mittagspause, der vielleicht wichtigsten Band der Düsseldorfer Szene, einer der Protagonisten. Jedenfalls muss es ungemein kreativ zugegangen sein, und die Düsseldorfer lieben Geschichten rund um ihren legendärsten Ort. Dass jetzt ausgerechnet die Kunsthalle ihre Wiedereröffnung nach einer einjährigen Sanierungs- und Umbauphase zum Anlass nimmt, auf die damalige Zeit zurückzublicken, ist also kein Wunder. Die materialreiche Ausstellung »Zurück zum Beton« (benannt nach einem Stück von S.Y.P.H.) nimmt im Titel außerdem programmatisch Bezug auf die Erhaltung ihres eigenen 60er-Jahre-Betonbaus.

Große Aufmerksamkeit seitens der Medien

Der Event hat schon jetzt weit über die Kunstszene hinaus Beachtung gefunden. Am Eröffnungsabend standen die Leute Schlange, die Feuilletons sind voll davon, und außerdem hat der viel beachtete Doku-Roman »Verschwende deine Jugend« des Journalisten Jürgen Teipel das Thema bereits auf den Tisch gebracht. Teipel fungiert hier auch als Co-Kurator. Unter Marketinggesichtspunkten hat man also alles richtig gemacht.

Synthesizer als Relikte einer historischen Epoche

Was bringt die Ausstellung aber wirklich? Sie versucht sich an einer Rekonstruktion der Ästhetik von Punk und New Wave in Deutschland. Dabei stellt sie beispielsweise Gegenstände aus der damaligen Zeit einfach so in den Raum, als handelte es sich um vorgefundene Relikte einer für die Menschheit immens wichtigen Epoche. Im Obergeschoss wirkt das allerdings geradezu skurril. Alte Musikinstrumente wie selbstgebastelte Synthesizer oder Gitarren (!) mit ihrer über 20-jährigen Patina verfügen über eine Ausstrahlung zwischen Omas Speicher und Werkzeugen aus der Bronzezeit, was man wohl mit einem gewissen Sinn für Humor zur Kenntnis nehmen soll.

Kommunikation in der Szene

Interessanter ist da schon eher, wie man sich damals selbst verwaltete und quasi aus dem Restmüll der Zivilisation Kommunikation entstand: Kassetten, Plakate und vor allem Fanzines. In einer Zeit, in der man die lebenswichtigsten Informationen wie selbstverständlich Tageszeitungen wie der FAZ entnimmt, wirkt die Idee eines Fanzines tatsächlich etwas naiv. Damals aber waren fotokopierte Seiten oder auch »Briefbomben« mit Titeln wie »Willkürakt« oder »Hamburger Abschaum« kleine Foren für Geheimbotschaften des fortgeschrittenen Geistes.

Reduktion auf die Anfangszeit der Bewegung

Die Ausstellung selber leistet dagegen wenig Bezüge zum Jetzt (im Unterschied zum lesenswerten Katalog), zum Kurz-danach oder Davor. Die Zeittafel von »Zurück zum Beton« beschreibt das Auftreten von frühen Bands wie Male und deren erste zaghafte Proben und Auftritte wie einen großen Schritt für die Menschheit, der einiges ins Rollen brachte, 1982 aber scheinbar abrupt im Nichts endete. Dabei wird übersehen, dass danach nicht alles vorbei war, da die Bewegung Energien für affirmative, ästhetische Wege, etwa im Aufgreifen von schwarzen Musik- und Kleidungsstilen, in der Popkultur freigesetzt hat. Durch diese Reduktion wirkt die Ausstellung leider seltsam fad. Der Reiz an Jürgen Teipels Buch liegt auch darin, dass die Protagonisten von damals heute sprechen. Dadurch konnte ein zeitlicher Raum entstehen, in den man sich hinein imaginieren kann. Die Verdinglichung in einer Ausstellung stößt da natürlich an gewisse Grenzen. In dem großen Raum, dessen Wände fast gänzlich mit einer Collage aus fotokopierten Zeitdokumenten tapeziert sind, ist immerhin so etwas wie die Feier der Oberfläche zu sehen. Der schöne Bruch von Punk mit der (auch Hippie-) Tradition, die besagt, dass Sprache mit Inhalten zu tun hat, das damit verbundene grundsätzliche Fehlen von Psychologie und die Auflösung von Körpergrenzen war es ja eigentlich, was die Öffentlichkeit schockierte (wie es von bürgerlicher Seite später auch Techno und Jahrzehnte zuvor Dada vorgeworfen wurde).

Sprachmüll und Ästhetik

Der Spiegel deutete Punk mit der erwähnten Titelgeschichte auch deshalb etwas eindimensional soziologisch als Working-Class-Phänomen, da man offensichtlich mit dieser vor allem ästhetischen Dimension von Punk nicht zurecht kam.
So findet sich Sprache in der Form von Slogans auf der Oberfläche der Wand gleichberechtigt neben Bildern wieder und wird so selber zum Bild, zum Zeichen. Punk war eine Geräuschkultur nicht nur der Musik, sondern auch der Zeichen. Sprachmüll. Darin kam auch ein Kampf gegen herkömmliche Schönheitsideale in Aussehen, Stil und Sprache zum Ausdruck, der schon immer und auch fortan in bildender Kunst, vor allem Fotografie aufgegriffen wurde. Hässlichkeit war Trumpf. Eine »Hässlichkeit« zudem, die sich in jüngerer Zeit in der Werbe- und Modefotografie wiederfindet. Die großen Farbfotografien im Foyer huldigen dieser Ästhetik. Sie könnten auch aus einem drei Jahre alten Face stammen.

Spaßkultur und Subversion

Die sehenswerten Filmdokumente in einem weiteren Raum zeigen, dass Punk auch und vielleicht vor allem eine Spaßkultur war, eine Kultur der schönen Show und frechen Selbstinszenierung. Kurz nach 1978 gab es ein erstes unabhängiges Unternehmertum, mit Plattenläden, Plattenlabels, und schließlich Zeitschriften. Heute, wo die selbstbewusste Überschreitung geradezu eine Erfolgsgarantie in der freien Wirtschaft bedeutet, wird die damals schon angelegte enge Verwebung von Subversion und Verwertung deutlich.

Den Punk zu Grabe getragen

Es gab die 68er, es gibt jetzt die 78er und es wird irgendwann die 88er geben, die ersten Technojünger, die den Tag, als DJ Pierre in einem Vorort von Detroit einen Roland-303-Basssynthsizer erstmals gegen den Strich bürstete, zum Gedenktag erheben werden. Bis dahin haben wir noch ein bisschen Zeit. 78 war im Unterschied zu 68 und auch 88 ein historischer Moment, der keine großen gesellschaftlichen lediglich ästhetische Nachwehen hatte. Das schlimmste, das einem historischen Moment aber passieren kann, ist seine Musealisierung, die Zerdehnung des Moments zu einer Geschichte, mit der man scheinbar heute zu tun haben könnte. Das hat man aber nicht, auch wenn es offensichtlich immer noch real existierende Punks gibt, wie man bei der Ausstellungseröffnung sehen konnte. Die störten bei der Ansprache des Bürgermeisters und wurden daraufhin des Raumes verwiesen. Kulturgüter müssen nun mal gepflegt werden. Aber es entspricht in diesem Fall eher einer Grabpflege. Denn im Grunde haben wir jetzt endlich auch den Punk beerdigt. Keiner der eingeladenen Gäste trauerte dabei wirklich.

Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf, di-sa 10-20, so 11-18 Uhr. Bis 15.9.
Der im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienene Katalog kostet 19€.