Buchstäblich bewegend

Das Museum Ludwig zeigt eine Werkschau der amerikanischen

Choreografin, Tänzerin und Filmemacherin Yvonne Rainer

Wenn es einer Künstlerin gelungen ist, eine alte avantgardistische Forderung einzulösen, die Institution Kunst im Alltag aufgehen zu lassen, dann wohl Yvonne Rainer. Dass ihre Choreografien und Filme oft in Galerien und Museen gezeigt werden, ist dabei nur scheinbar ein Widerspruch – denn ihre Wirkungen entfalten sie anderswo, im Bewusstsein und täglichen Leben ihres Publikums.

 

Alltag und Kunst

 

Seit den 60er Jahren umkreisen Rainers Arbeiten vielgestaltige persönliche und politische Veränderungsprozesse und deren Reflexion. Und dass der Verstand ein Muskel ist, den man trainieren kann, davon war Rainer immer schon überzeugt: »The mind is a muscle« lautet der Titel einer ihrer frühen abendfüllenden Aufführungen aus dem Jahr 1968.

 

Obwohl Rainer schon früh auch in Deutschland auftrat – etwa 1964 an der Kunstakademie Düsseldorf –, wird ihr Schaffen in Europa erst jetzt zum ersten Mal umfassend vorgestellt.

 

An den Vorbereitungen zur Ausstellung im Museum Ludwig, die gemeinsam mit dem Kunsthaus Bregenz erarbeitet wurde, war sie beteiligt; ein dichtes Begleitprogramm mit einer »Lecture Performance« von Rainer sowie zahlreichen Aufführungen, Konzerten und einem Workshop versprechen eine facettenreiche Begegnung mit ihrem komplexen Werk.

 

Aufbruch und Experiment

 

Geboren 1934 in San Francisco, hatte Rainer Ende der 50er Jahre in New York eine Ballettausbildung bei Martha Graham, der ausdrucksstarken Pionierin des Modern Dance, absolviert. Es war eine Zeit der Aufbrüche und Experimente, in der sich die Kunstrichtungen – Pop und Minimal Art, Konzeptkunst und Fluxus – vervielfältigten und die Grenzen zwischen Hochkunst und Alltagskultur durchlässiger wurden.

 

Vor diesem Hintergrund definierte Rainer Mitte der 60er ihr Programm als eine Serie von Absagen an Konventionen des Betriebs: »Nein zum Spektakel. Nein zur Virtuosität. Nein zu Transformationen, Magie und Täuschungen. Nein zu Glamour und Transzendenz des Star-Images. Nein zum Heroischen. Nein zum Antiheroischen … «, heißt es 1965 in ihrem »NO-Manifesto«.

 

Tanz und Film

 

Anfang der 70er erweiterte Rainer ihr künstlerisches Spektrum um das Medium Film – weil es ihr ermöglichte, Sprache einzusetzen und eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Sie arbeitete weiter mit anti-illusionistischen Brüchen, Sinn für Humor und Brecht’schen Verfremdungseffekten, etwa wenn sie in »MURDER and murder« (1996) als Regisseurin selbst im Film auftritt und die Zuschauer direkt adressiert.

 

Auch wenn viele ihrer existenziellen Themen – die Menopause und das Älterwerden als Frau, Brustkrebs, Liebesbeziehungen, der Holocaust – mit ihrer Biografie oder Familiengeschichte zusammenhängen, werden sie als durchaus von ihrer Person ablösbar verhandelt. 

 

Eine ihrer zentralen Arbeiten, »Trio A« (1966–78), die im Rahmen der Kölner Retrospektive mehrmals aufgeführt werden wird, präsentierte Rainer 1967 in einer Solo-Version, als »Convalescent Dance«, da sie von einer schweren Erkrankung noch nicht wieder ganz genesen war. Die Aufführung fand im Rahmen von Künstlerprotesten gegen den Vietnamkrieg statt, und die Einnahmen gingen an die Aktivisten der Antikriegsbewegung.

 

Diese doppelte Geste, die künstlerische Arbeit in einen sozialen und politischen Kontext zu stellen, ohne die subjektive Situation auszuklammern, findet sich immer wieder in Rainers Werk, allerdings ohne jede Spur von Narzissmus oder Selbstbeweinung. Als hoch reflektierte Tänzerin und Choreografin, so scheint es, wusste Rainer stets genau, was es bedeutete, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn Position zu beziehen.

 

Position und Bewegung

 

»Trio A« vermittelt auch einen Eindruck davon, was es heißen könnte, dass es zum Denken eines Körpers bedarf: Mit seinen schlenkernden, schleifenden, rudernden Bewegungen, dem scheinbaren Herantasten an mögliche Abläufe und den vermeintlichen plötzlichen Eingebungen, Brüchen und Wendungen, die ebenso präzise wie beiläufig vorgetragen werden, animiert der Tanz wohl die meisten Betrachter, an diesem Experiment namens Bewegung teilzunehmen.

 

Tatsächlich war das Unterrichten eines Tanzstücks ein Element von »The Mind is a Muscle«, und in einer späten filmischen Variante von »Trio A« unterrichtet Rainer ihre frühere Lehrerin Martha Graham, exaltiert verkörpert von dem Tänzer Richard Move.

 

Ein Versuch, der selbstverständlich dazu verurteilt ist, auf ebenso amüsante wie aufschlussreiche Weise zu scheitern. Grahams verzweifelte Frage, wie eine bestimmte Geste der Arme »zur Seele spricht«, lässt Rainer mit aller Gelassenheit offen: »Vielleicht finden wir das später heraus.«