Signale aus der Kathedrale der Arbeit

Kunst und Kohle: Ein Ausflug zur Manifesta 9 in die Tiefe der Moderne

Das belgische Genk, nur anderthalb Autostunden westlich von Köln (und nicht zu verwechseln mit dem Touristenziel Gent), ist auf der Landkarte der Kunstorte bislang keine bekannte Größe. Seit dort um 1900 bedeutende Kohlevorkommen entdeckt wurden, war die Stadt ein vom Bergbau geprägter Industriestandort, bis in den 60er Jahren das Zechensterben einsetzte. Zu entdecken ist sie heute als Spielort für das durch Europa nomadisierende Festival »Manifesta«.

 

Schauplatz der Ausstellung ist die eindrucksvolle »Mine Waterschei«. Vor der düsteren Kulisse von Prekarisierung, Umweltzerstörung, Finanz- und Wirtschaftskrisen ist diese seit fast drei Jahrzehnten leerstehende Kathedrale der Arbeit ein exemplarischer Ort, um die »Tiefe der Moderne« – so der Titel des Projekts – auszuloten.

 

Die überraschenden Beziehungen zwischen Kohle und Kunst lassen sich weit zurückverfolgen: Vincent van Gogh etwa konvertierte nach seinen Erfahrungen im Borinage-Revier vom Hilfsprediger zum Maler. 

 

Die Kuratoren der Ausstellung Cuauhtémoc Medina, Dwan Ades und Katerina Gregos greifen die Struktur des Gebäudes auf. Den drei Ebenen der Schau – kulturelles Erbe, rund siebzig ältere und vierzig aktuelle Künstler – ist jeweils eine Etage gewidmet. Das Erdgeschoss präsentiert materielle Zeugnisse der Industriearbeit, aber auch die Mode, die die Kölner Designerin Eva Gronbach aus der getragenen Arbeitskleidung der Malocher schneidert.

 

Im anregenden Begleitbuch heißt es, die Konfrontation mit traumatischen Geschichten solle einen »kollektiven Heilungsprozess« fördern – eine Hoffnung, die man derzeit ähnlich auch im Umfeld der Kasseler Documenta hört. Die häufig früh invaliden Bergarbeiter werden von solcher Heilung leider nicht mehr profitieren. Auch die Klänge der »Internationalen«, die die Ausstellung durchziehen, dürften nicht bei jedem so »nostalgische« Gefühle wecken wie beim Künstler Nemanja Cvijanovic´ selbst.

 

Mit antimonumentaler Iro­nie hingegen platzierte Marcel Broodthaers 1966 eine kleine belgische Flagge auf einem Kohlehaufen. Das »Monument (Fired Up)« von Kendell Geers, ein Stapel von in Bronze gegossenen Autoreifen, aus denen eine Flamme aufsteigt, kann als Denkmal für die Ford-Arbeiter in Genk wie als Verweis auf die weltweite Abhängigkeit vom Erdöl gelesen werden.

 

So erzeugt die Manifesta 9 einen spannungsgeladenen Ort, der geeignet ist, die vielfältigen Ambitionen der Kunst auf dem Boden harter Tatsachen zu prüfen.