Implodierte Lagerfeuer­trommelromantik

Große Hunde mit der Seele einer Katze – CocoRosie lassen nichts aus

Sie sind die Waldfeen der neuen, abgedrehten Americana. Das Wörtchen »Folk« steht bei Sierra und Bianca Casady für eine erdverbundene Haltung zur Welt, die aber auch Psychedelia, Rap und queere Artikulationen selbstverständlich in den Arm nimmt.

 

Als Kinder zogen die beiden Schwestern nomadisch durch das amerikanische Abseits  und wollten damals bloß weg von der Lagerfeuertrommelromantik mit Großfamilie. Nach Stationen in Brooklyn und Montmartre wurden sie mit ihrer Band CocoRosie in den frühen 2000er Jahren allerdings selbst zur Speerspitze einer dem Spirituellen zugewandten Hippie-Renaissance. Ihre Mission: der Ausdruck des Selbst. Die Mittel: möglichst schillernd.

 

Auf bisher vier Alben und in Ne­benprojekten mit Freunden wie Antony Hegarty oder Devendra Banhart erproben Sierra und Bianca Casady seitdem, wie sich der stete Identitätstransfer im Mög­lichkeitsraum der Geschlechterrollen und Genres anhören kann. Die Instrumente dafür basteln sie gerne selbst, Mikrofone scheinen sie bevorzugt auf dem Flohmarkt zu besorgen. Aber auch wenn die Haltung DIY und Lo-Fi ist, tragen die Songs ein prächtig zerzaustes Kunstgefieder und flattern zwischen Kammerpop, Hip-Hop-Rhythmik und Karmaklimbim.

 

Mit diesem Ansatz verwandelten CocoRosie zuletzt den Aschenputtel-Stoff in ein Tanztheater namens »Nightshift«; die musikalische Begleitung dafür kam von den nordindischen Folk-Virtuosen Rajasthan Roots, die Voguing-Einlagen von befreundeten Tänzerinnen aus NYC.  Zugleich brachten sie mit »Soul Life« ein New-Age-Musical auf die Bühne und baten das Publikum dafür vorab, Videos zum Thema »Harm­less Monsters« beizusteuern. Die Patchwork-Operetten zielen gern ins Nebulöse, im Zweifelsfall beruft man sich auf die Segnung des Zurück-zur-Natur.

 

Dem verdutzten Journalisten Martin Büsser etwa erzählten CocoRosie vor einigen Jahren glücklich, dass sich die Menschheit von ihrem Irrglauben, sich in Maschinen verwandeln zu müssen, endlich abgewandt habe. »Bei unseren Konzerten haben wir das Gefühl, dass die Menschen inzwischen eher anstreben, zu Tieren zu werden«, erklärte Sierra Casady, »zu Hunden und Katzen. Das ist uns wesentlich lieber.«

 

Ihre jüngste Veröffentlichung, setzt auf eine der vier Naturgewalten. »We Are On Fire« lassen CocoRosie als Vorbote und frohe Kunde zu ihrem fünften Album verlautbaren. Bianca Casady schlüpft für den Song in die Rolle eines im 17. Jahrhundert vom Teufel besessenen und auf dem Scheiterhaufen verbrannten Ichs und packt Tierwerdung und Seelenwanderung in einen einzigen Reim: »I wanna be this, I wanna be that, a big black dog with the soul of a cat.«