Foto: Manfred Wegener

Wischen, schießen, legen

Boule entwickelt sich vom elitären Sport für frankophile Bildungs­bürger immer mehr zum Freizeitvergnügen für alle Schichten und jedes Alter

Aufrecht und mit beiden Füßen fest auf dem Boden steht die sportlich gekleidete Frau in einem Kreis von einem halben Meter Durchmesser, den ihr Mitspieler gezogen hat. Ihre roten Haare wehen im Wind und ihre Augen fixieren eine glänzende, handgroße Eisenkugel, die acht Meter entfernt neben einer kleineren Holzkugel liegt. Sie beugt sich leicht nach vorne, der rechte Arm holt nach hinten aus.

 

Als sie ihn mit fließender Bewegung nach vorne schwingt, öffnet sich ihre Hand und eine weitere Kugel fliegt im hohen Bogen auf die am Boden liegende zu. Beim Aufprall ertönt ein helles Klackern. Ihre Kugel bleibt liegen, wo zuvor die andere lag. »Schöner Schuss«, sagt einer ihrer Mitspieler. Die Schießerin lächelt, geht ein paar Schritte, hebt ihre Kugeln auf und wischt sie mit einem Lappen ab.

 

Boule boomt

 

Corinna Mielchen ist 33 Jahre alt und spielt seit zehn Jahren Boule. »Mein Vater hat mir die ersten Kugeln in die Hand gedrückt — der Klassiker«, erzählt sie. Aber sie ist längst keine Ausnahme mehr. Der populäre Sport aus Frankreich ist in Deutschland nicht mehr die Domäne von älteren frankophilen Männern aus bildungsbürgerlichen Schichten, die sich am Wochenende mit einer Flasche Rotwein im Park treffen.

 

Die Zahl registrierter Spieler wächst ständig, bundesweit sind es derzeit knapp 17.000, jährlich kommen rund fünf Prozent dazu. Das Durchschnittsalter der offiziellen Verbandsspieler sinkt und der Anteil der Frauen nimmt zu. In Nordrhein-Westfalen ist er mit zwanzig Prozent besonders hoch.

 

Genau genommen heißt die in Köln gespielte Sportart Petanque. Sie hat ihren Ursprung in Südfrankreich und ist die weltweit populärste Boule-Variante. Die Stahlkugeln wiegen zwischen 650 und 800 Gramm, werden wahlweise gerollt, im hohen Bogen gelegt oder mit Wucht auf eine andere Kugel geschleudert. Die zu überwindende Distanz beträgt sechs bis zehn Meter. Gespielt wird mit bis zu sechs Teilnehmern pro Begegnung.

 

Kölns Szene

 

In Köln zählt der Verband knapp 300 Mitglieder, 200 davon mit Lizenz. Die Zahl der inoffiziellen Spielerinnen und Spieler liegt bei mindestens 1000. Sie sind wetterfest und hassen Hundekot. Boule spielen auch viele Menschen, die aus anderen Ländern nach Köln gezogen sind: aus Tunesien, Marokko, Algerien, Laos, der Türkei oder dem frankophonen Afrika. Und natürlich aus Frankreich.

 

Georg Ossenbach, 68 Jahre alt und Rentner, ist ein Kölner Boule-Veteran. 1974 hat er die ersten Kugeln in der Hand gehalten — seitdem haben sie ihn fasziniert. Er hat den Nippeser Boule-Club mitgegründet und spielt heute im Boule Club Köln — dem ältesten Verein Kölns aus der Südstadt. »Ich hatte früher einen stressigen Job. Bevor ich nach Hause bin, ging ich erst mal für eine Stunde auf den Boule-Platz zum Abschalten«, erzählt er. Wie kaum ein anderer kennt Georg Ossenbach die lokale Boule-Szene, seine Einträge auf der Internetseite des Kölner Boule Clubs sind eine Referenz für viele andere Spieler.

 

Insgesamt sieben Kölner Vereine sind beim Verband registriert. Die zwei Neugründungen der vergangenen Jahre könnten nicht unterschiedlicher sein: Bei »Royale Cologne« spielen vor allem junge Sportstudenten, die früher beim Düsseldorfer Verein »sur place« waren — einem Bundesliga­club, der als Bayern München des Boule-Spiels in Deutschland gilt. »Sie wollten nicht mehr immer nach Düsseldorf fahren müssen. Also gründeten sie ihren eigenen Verein«, so Ossenbach. Die Spieler von Royale Cologne mussten wieder ganz unten angefangen — in der Kreisliga. Dort haben sie alle Begegnungen gewonnen und sind sofort aufgestie­gen. »Da sind wirkliche Spitzenspieler dabei, trotz der jungen Jahre mehrfache deutsche Meister, einer ist sogar schon drei Mal für Deutschland bei der Weltmeisterschaft angetreten«.

 

Spiel der Tennis- Rentner

 

Der Bouleverein des Tennisclubs Neubrück hat keine WM-Teilnehmer in seinen Reihen. »Die Tennis-Herren waren nicht mehr so schnell, die Mitglieder aber wollten von ihrer Gemeinschaft nicht lassen — also bauten sie sich eine Boule-Bahn auf dem Gelände des Tennisclubs«, erzählt Ossenbach. Seit 2012 spielen die Neubrücker auch in der Liga. »Ich habe sie gewarnt«, so Ossenbach, »im ersten Jahr gibt es nur Enttäuschungen.« Aber sie ließen sich nicht abhalten. Schon nach dem ersten Spieltag landeten die Rentner auf dem letzten Tabellenplatz in der untersten Liga. »In der untersten Liga können wir nicht absteigen«, haben sie Georg Ossenbach mit einem Augenzwinkern gesagt.

 

Neben der offiziellen Boule-Szene existiert seit 2008 auch eine Bunte-Boule-Liga in Köln. Mit weniger als zehn Teams hat man vor vier Jahren angefangen — heute sind es bereits 28. An den Spieltagen fließt das Kölsch und raucht der Grill — Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Hier kann jeder und jede mitspielen, ohne Lizenz und Vereinsgebühren.

 

Viel Geld braucht man ohnehin nicht für diesen Sport und auch kein umzäuntes Privatgehege wie beim Tennis oder Golf: Drei Kugeln, einen halbwegs ebenen, öffentlich zugänglichen Platz und mindestens einen Mitspieler. Trotzdem: auch bei den Spielen der Bunten Liga sind Taktik, Geschicklichkeit und gute Nerven nötig, um zu gewinnen. Geschwindigkeit spielt keine Rolle. Nicht umsonst zieht Petanque auch Menschen an, die ihrem immer hektischer werdenden Arbeits­alltag entfliehen wollen und Entspannung suchen.

 

»Die Männer wollen immer ballern«

 

Aber natürlich scheint auch bei den Boule-Spielern nicht immer die Sonne. Nicht selten kommt es zu Konflikten, wenn es um die Aufgabenverteilung im Team geht. Dann stellt sich die Frage: Wer legt die Kugel möglichst nah an die kleine Holzkugel, »die Sau«? Und wer schießt die gegnerischen Kugeln wieder weg? »Die Männer wollen immer ballern. Ich auch — dabei kann ich eigentlich viel besser legen«, scherzt Georg Ossenbach.

 

Dass die Geschlechterrollen auch beim Petanque oft viel zu schnell zugewiesen werden, hat auch Corinna Mielchen erfahren. »Es ist schon vorgekommen, dass ich mit einem älteren Herren in einem Doublette landete, der gar nicht schießen konnte, sich aber weigerte, vorzu­legen«, erzählt die passionierte Schießerin. »Mittlerweile mache ich sofort alles klar und sage: ›Hallo, ich bin die Corinna und will schießen.‹ Damit erst gar keine Zweifel aufkommen.« So hat mancher männliche Boule-Spieler schon seine sanfte Seite beim Legen entdecken können.