Foto: Manfred Wegener

»Dieter, jetzt sind die nackt!«

Dieter Hennes führt drei erfolgreiche Schwulen-Kneipen im sogenannten Bermudadreieck. Anlässlich der Cologne Pride stellen wir den Unternehmer vor, dessen Visionen über das Partyviertel an der Schaafenstraße hinausgehen


»Das Corner wird demnächst abgerissen«, sagt Dieter Hennes, »das ist das Gerücht, das sich wohl am längsten hält. Vor Jahren hatten wir noch Lagerräume drüben in der ehemaligen Stadtsparkasse und ich habe mal gesagt: ›Wir müssen da raus, weil das Haus abgerissen wird.‹ Daraus wurde: Das Corner wird abgerissen.«

 

Der 45-Jährige nimmt an der Theke Platz. Draußen ist es noch hell und die aufwändige Grand-Prix-Dekoration vom vergangenen Wochenende wirkt im Tageslicht ein wenig unheimlich. Schallplatten von Vicky Leandros, Marie Myriam und Johnny Logan. An der Wand verkündet ein Schild, dass die Erdbeerbowle
€?3,60 kostet.

 

Dieter Hennes ist daran gewöhnt, dass über ihn die unmöglichsten Dinge erzählt werden. Er nimmt einen Schluck aus seinem Glas mit heißem Wasser. »Das hat eigent­lich nichts mit meiner Person zu tun, aber als Unternehmer steht man schnell unter besonderer Beobachtung.« Und mit dem Ex-Corner, der Ixbar und dem Exile on Mainstreet in der Schaafenstraße und am Mauritiuswall gehören dem gebürtigen Niederrheiner immerhin drei gut laufende schwule Kneipen in bester Innenstadtlage.

 

Vom Stammgast zum Wirt

 

Dass sich der Einzelhandelskaufmann im Elektrofachhandel ausgerechnet in Köln eine berufliche Existenz aufgebaut hat, amüsiert ihn auch nach den 15 Jahren noch, die er mittlerweile hier zuhause ist. Denn als er vor mehr als 20 Jahren nach ersten schwulen Ausflügen in Essen und Düsseldorf zum ersten Mal nach Köln kam, war das ein eher schwieriger Start. »Ich wollte in eine schwule Disco, die es gar nicht mehr gab«, erinnert er sich, »und habe mich derart verfahren, dass ich stundenlang mit dem Auto rumgekurvt bin. Danach habe ich gedacht: ›Köln sieht mich nie wieder!‹«

 

Seine Beziehung zum Corner hingegen beschreibt er als Liebe auf den ersten Blick. »Ich habe diesen Laden vom ersten Tag an so gemocht, dass ich direkt Stammgast geworden bin. Nach und nach habe ich mich da immer mehr reingearbeitet. Angefangen habe ich mit Gläsersammeln am Wochenende.«

 

Zwei Männer bleiben draußen vor dem Fenster stehen und betrachten ein Plakat für die erste bundesdeutsche Queer-as-Folk-Convention am folgenden Wochenende, ein riesiger Fan-Treff der nicht nur bei schwulen Männern beliebten Fernsehserie aus den USA.

 

»Früher war das Corner unser Wohnzimmer«

 

Auch das Corner war mal ein Novum, damals vor rund 20 Jahren. Das Konzept von Reiner Sterzenbach, dem ersten Besitzer, sah weder Klingel noch verdunkelte Fenster vor.  »Das war in den 90er Jahren für einen schwulen Laden ganz neu«, erinnert sich Hennes, »man musste sich eben nicht in so eine schummrige Kaschemme begeben. Und plötzlich standen hier im Sommer jeden Abend
30, 40 Leute vor der Tür. Irgendwie eine spannende Aufbruchstimmung.«

 

Dass sich schwule Männer heute eher über das Internet vernetzen, findet er an sich eine tolle Errungenschaft. Aber ein bisschen von dieser Energie, von dieser Aufbruchstimmung, wünscht er sich manchmal zurück. »Heute kommen die Leute her, weil sie hier Party machen wollen. Früher war das hier unser Zuhause, unser Wohnzimmer.«

 

Im Januar 2000 übernimmt Dieter Hennes seinen Salon — als Wirt. Zunächst einmal ohne Namen, da der vormalige Besitzer nicht unbedingt freudestrahlend ausgeschieden war, wie er es heute formuliert. Ein Jahr lang bleibt das Schild über dem Eingang abgeklebt, bis er sich kurz vor dem CSD mit »Ex-Corner« zu einer ziemlich naheliegenden Variante entscheidet. Und keine Taufe ohne ordentliche Party. »Das erste Straßenfest war aber ein totaler Reinfall«, erinnert sich Hennes, »es hat geschüttet und es war eiskalt.« Zwölf Jahre später ist das Event vor dem Corner zu einem festen Termin im schwulen Jahreslauf der Stadt geworden.

 

Aus Park wird Ixbar

 

An seine beiden anderen Kneipen geriet er eher zufällig. Als der Betreiber der benachbarten Cocktailbar »Park« mit einem Übernahmeangebot an ihn herantritt, sagt er nach kurzer Bedenkzeit zu. Die Verhandlungen mit dem Vorbesitzer und auch der Brauerei verlaufen positiv, bis der Hausverwalter sein Veto einlegt. Doch wie das in Köln so geht, irgend­wann begegnet man sich auf der Straße, wird sich doch noch einig und das Park wird im November 2006 als Ixbar wiedereröffnet.

 

Aus der geplanten kleinen Renovierung war da aber eine großangelegte Umbauaktion geworden. »Dann stehst Du in dem Laden und Du weißt eigentlich noch gar nicht so genau, was Du ändern willst. Aber Du weißt es passt nicht richtig für Dich.«

 

Ähnlich verlief die Übernahme der Zentrum-Stuben in 2010, die zunächst als gemütliche Kölsch-Kneipe weitergeführt werden sollte. Als deutlich wird, dass der Schallschutz nicht ohne größere Baumaßnahmen zu gewährleisten ist, entscheidet sich Dieter Hennes für eine komplette Neugestaltung. »Der Laden war so schlecht isoliert, dass Krach mit den Nachbarn vorprogrammiert gewesen wäre«, erläutert er. »Wenn Du eine Kneipe hast, geht das vielleicht noch, aber wenn Du drei Läden betreibst, dann wirst Du sowieso für alles mögliche verantwortlich gemacht.«

 

Wie bei den Gaygames 2010, als er am späten Abend vor dem Haus plötzlich immer wieder Jubel aufbranden hört. »Da kam ein Mitarbeiter und sagt: ›Da schmeißen sich gerade gegenseitig Sportler in die Luft.‹ Zehn Minuten später kommt der wieder und sagt: ›Dieter, jetzt sind die alle nackt.‹ Da bin ich erst mal nicht rausgegangen, damit ich nicht wieder der Prügelknabe bin.«

 

Bermudadreieck als buntes Viertel

 

Dieter Hennes widerspricht den Gerüchten, wonach er gerne die ganze Schaafenstraße besitzen und beherrschen wolle. In unterschiedlichen Städten jeweils einen Laden zu haben, wäre für ihn finanziell vermutlich vorteilhafter. »Aber ich leiste gerne einen Beitrag zur Entwicklung dieser Straße. Dadurch, dass wir Läden bauen, die auch noch funktionieren, kommen andere vielleicht auf die Idee, auch was aufzumachen.«

 

Seiner Meinung nach verträgt auch die Schaafenstraße noch weitere Kneipen und Geschäfte. Die Entwicklung anderer Viertel sieht er hingegen mit gemischten Gefühlen. »Wenn ich mir die Ehrenstraße ansehe — die hatte früher ja auch Platz für kleine, ungewöhnliche Läden. Heute gibt es da nur noch große Filialisten. Die Straße ist nett, aber eben doch sehr austauschbar.«

 

Sein Traum ist, dass aus dem Bermudadreieck irgendwann einmal ein attraktives, buntes Viertel mit schwulen Kneipen, Mode, Musik und Kunst werden wird. »Natürlich gucke ich auch erst einmal, wenn gegenüber ein neuer Laden aufmacht und frage mich, ob das jetzt Konkurrenz ist. Aber mehr Angebot lockt eben auch mehr Leute in die Straße.«

 

Am Straßenfest und am CSD-Wochenende braucht niemand in die Schaafenstraße gelockt zu werden, dann stehen bei gutem Wetter keine 30 bis 40 sondern auch noch spät in der Nacht hunderte Leute vor der Tür. »Der CSD ist einerseits für mich Business. Der steht an und man macht das eben«, fasst er zusammen, »aber wenn Dich dann junge Menschen mit leuchtenden Augen angucken und Dir erzählen, dass sie jetzt den Mut haben, sich zu hause zu outen, dann bekommt man plötzlich wieder ein Stück von dieser Aufbruchstimmung von früher zurück.«