Protest heute

Billy Bragg ist einer der letzten Musiker, die sich noch ernsthaft am Genre des klassischen Protestsongs abarbeiten. Doch wie funktioniert das Genre in einer Zeit, in der vor allem elektronische Musik als subversiv gilt? Was für Adressaten hat der Protestsong in der Ära von New Labour?

Was ist eigentlich Protestmusik? Ist es Rock? Ist es, was auch immer das konkret sein mag, Pop? Protestmusik ist heute, sollte man der vereinigten Musikpresse Glauben schenken wollen, vor allem eine Musik mit elektronischen Beats. Es gibt kaum einen Techno- oder Electronica-Act, der sich nicht auch für ein politisches Projekt hält, und sei es nur auf Grund der Botschaft »Frieden und Liebe«, die sich in den Loops verbergen soll. Sollte es sich gar um ein verstörendes oder – was auch immer das dann wiederum ist – so genanntes dekonstruktivistisches Soundgefüge handeln, das ein einsamer, nicht mehr in einem Bandgefüge organisierter Computerbastler herbei- und zusammengesampelt hat, finden sich schnell Musikjournalisten, die das Ganze zu einer halben Musikrevolution, vor allem aber zu einem »wichtigen Statement« erklären. Macht dann noch das Cover auf die ein oder andere Art in »subversiv«, dann ist der Aufstand bereits da.

Sound als Protest - nicht Texte

Auch wenn man die Ankündigungen für die 1.-Mai-Konzerte liest, so gibt es neben den altbekannten Klampfenschlägern auf den DGB-Kiezfesten fast nur noch HipHop-Acts oder Postrocker. Ihre Musik wird ganz selbstverständlich für eine politische genommen. Ähnlich hält es die so genannte Pop-Antifa, die auf ihren Solidaritätskonzerten wie selbstverständlich irgendwelche Rock-, HipHop- und Laptop-Musiker gemeinsam auftreten lässt. Und auch in der noch ganz archaischen Rockszene richtet sich die Wahrnehmung kaum noch auf die Texte; vor allem das Gitarrenriff und der Brachialbass sind es, die diese Musik zu einer des Aufstandes machen sollen. Der Sound hat den Text im politischen Lied nahezu vollständig abgelöst.
Daran ist nichts böse, unpolitisch oder reaktionär. Auch bei Degenhardt- und Wader-Konzerten galt stets die Polit-Pose weit mehr als das, was in den Liedern beschrieben wurde. Jetzt steht eben der Sound für die Politik.

Politische Lieder als Unterhaltung

Tatsächlich ist es in politikfernen Zeiten, in denen sich das Politische mit der Darbietung einer zerfurchten Stirn und dem Gestus der ruhigen Hand verkaufen lässt und in denen es schick ist, von Postpolitik zu schwadronieren, außerordentlich einfach und bequem, zu behaupten, dass man protestiere. Folglich ist das politische Potenzial eines Songs oder Tracks kaum mehr festzustellen, schlicht deshalb, weil er keine Reaktionen (mehr) hervorruft. Der Kritiker Günter Jacob hatte Recht, als er Mitte der 90er Jahre konstatierte, dass Michael Jackson mit seinen Liedern gegen Rassismus und für Toleranz Protestsongs schreibe. Nur finden die politischen Lieder von Jackson genauso wenig Gehör wie heute die von Attwenger, Le Tigre oder Wilco. Sie dienen ihren Konsumentinnen und Konsumenten vor allem als Unterhaltung. Die Reaktion darauf ist fast immer die nämliche: Irgendwer findet irgendwas ganz fürchterlich scheiße, ist das nicht toll? Irgendjemand ruft endlich zum Aufstand auf, ist das nicht geil? Unter dem Begriff Pop scheint es endgültig egal geworden zu sein, worüber geredet wird. Angesichts eines solchen Klimas der repressiven Toleranz nicht zu verzweifeln, verdient daher Bewunderung.

Geliehener Ruf

Bereits deswegen sollte man ein neues Album von Billy Bragg begrüßen. Bragg ist ja seit Jahren allseits als derjenige Labour-Party-Sänger bekannt, der in den 80er Jahren nicht die Welt verändern wollte, sondern nur nach einem neuen England suchte und auf diese Weise der Eisernen Lady Thatcher und ihrem konservativen Kulturkampf trotzen wollte. Als dann aber die Labour Party unter Tony Blair ebenfalls dieses neue, dynamische und zugleich tief reaktionäre England zu verkörpern begann, widmete er sich lieber den hinterlassenen Songbüchern von Woody Guthrie, dessen Texte er gemeinsam mit der Band Wilco auf den beiden wunderbaren »Mermaid Avenue«-Alben vertonte. Zu den Vorgängen in »seinem« England schwieg er. Stattdessen stilisierte er sich mittels des amerikanischen Ernst Busch, der es nie zum Staatsparteisänger hat bringen dürfen, zu einer Protestsong-Singer-Underground-Legende. Allerdings war dieser gute, in linken Kreisen bewährte Ruf, wie Bragg selbst es wohl am besten wusste, stets ein nur billig geliehener.

Den Blick aufs eigene Land gewendet

Nun ist vor einigen Monaten sein Album »England, Half English« (Elektra) erschienen, das er gemeinsam mit seiner bewährten Band The Blokes eingespielt hat. Billy Bragg wendet sich wieder ganz seiner eigenen Person zu und dem Leben in einem Land, das noch immer von seiner einstigen Weltmachtstellung und seinen Kolonien träumt, während Großbritannien in ein Stückwerk aus teilautonomen Regionen zerfällt. Im Titelstück, das musikalisch ganz in der Songtradition der vor allem frankophonen Immigranten-Ska-Bands steht, singt er: »Britannia, she’s half English, she speaks Latin at home / St George was born in the Lebanon, how he got here I don’t know / And those three lions on your shirt / they never sprang from England’s dirt / Them Lions are half English and I’m half english too.« Das ist nicht nur eine Absage an den Rassismus, es ist zugleich auch ein ironischer Umgang mit Englands nationalen Heiligtümern.

Tony Blairs England

Der alte Sozialist und Labour-Parteigänger Bragg hat das neue England des Tony Blair also endlich sehen gelernt und befunden: Es sieht recht scheiße aus. Die britische Sozialdemokratie hat – ähnlich wie die SPD – ihre Mitglieder inzwischen ganz und gar verraten, sie macht keine Politik mehr für die Bevölkerung, sie macht, auf der ideologischen Ebene, eine Politik der Nation, vor allem eine des nationalen Kapitals.

Bragg beschränkt sich auf das Beschreiben

Auf »England, Half English« beschreibt Bragg die sozialen und lebensweltlichen Umstände in einem Land, dessen BewohnerInnen sich zieren, in die EU einzugehen, und das doch zugleich nicht mehr allein existieren kann. Der Traum vom nationalen Aufbruch hat sich als Albtraum erwiesen, und der sterbende Nationalstaat kann nur den Konservativen und den Skins als Hoffnung dienen. Nun versucht Bragg aber nicht, jetzt doch die Welt zu verändern, sondern hat gelernt, sich zu bescheiden. Er beschreibt lediglich das Elend, das er vorfindet. Das aber beschreibt er noch immer präzise.

Nicht mehr gewollt politisch

Die Musik von Bragg prägt vor allem eine neue Selbstverständlichkeit. Die Hoffnung auf den klassischen Arbeiter-Sozialismus ist ihm geraubt worden; da ist keine Partei mehr, deren Barde er sein könnte, und es darf bezweifelt werden, ob er überhaupt noch einmal ein Partei-Barde sein wollen würde. Dennoch verabschiedet sich dieser Musiker nicht von der Politik, er beschwört auch nicht die alten Zeiten. Zugleich behauptet er nicht mehr länger, dass er unbedingt eine politische Platte machen wollte, er betont das nicht ständig in Interviews und schaut nicht auf Pressefotos kritisch in die Welt. Er redet schlicht von dem, was ihn angeht, und von dem er glaubt, dass es auch andere betrifft. Seine aktuelle Platte ist frei von großen Posen.

Unterhaltung, die widerständig bleibt

Bragg agiert dabei – wie in Deutschland zum Beispiel
Bernadette Hengst oder Knarf Rellöm – als Liedermacher, er kommt allerdings mit einer Band. Er hat sich durchaus dem Starmodell verpflichtet, pflegt aber keine Allüren. Er benutzt gern die Gitarre, bietet aber keine Lagerfeuerromantik an. Er macht Popmusik, und ist dennoch bereit, sich auf den politischen Gehalt seiner Texte verpflichten zu lassen. Seine Texte und sein Gesang haben durchaus etwas Privates, dennoch sind seine Songs alles andere als authentisch.
Natürlich kann man diese Musik auch einfach konsumieren. Es ist politische Unterhaltungsmusik. So verspricht auch das Konzert ein großer Spaß zu werden: Bragg und The Blokes versuchen gar nicht, dem Konsumiert-Werden-Können offensiv entgegenzutreten. Sie bieten lediglich für diejenigen, die kritischen, widerständigen Gehalt in Songs suchen, auch noch etwas an. Vielleicht ist es die Gelassenheit des Alters und die Routine, die es diesem Künstler erlaubt, ganz ohne große Posen auszukommen.