Pflanzstelle Kalk: Salat statt ­Satelliten

In Kalk, Ehrenfeld und Bayenthal sind im letzten Sommer »Urbane Gärten« entstanden. Auf Brachen werden in Kisten Kürbisse, Kräuter und Kartoffeln angepflanzt – so lange, bis die Bagger kommen und Häuser und Büros errichten. Christian Steigels hat sich auf dem Gelände der Pflanzstation in Kalk umgesehen.

Sebastian Edlich schaut ­ein wenig besorgt drein. Die Ernte wird nicht so gut ausfallen wie noch im vergangenen Jahr, sagt er. »Wir haben überdüngt. Wir hatten einen anderen Kompost als im Vorjahr. Nun hat der Boden zu viele Nährstoffe und zu viel Salz.« Ärgerlich sei das, aber nicht zu ändern. »Wir machen Fehler, und wir lernen daraus«, sagt der 34-Jährige, den hier alle Ed nennen. »Wir sind ja immer noch im Versuchsstadium.«

 

Urban Gardening in Kalk

 

Seit einem Jahr gibt es die Pflanzstelle auf einer rund tausend Quadratmeter großen Brache an der Neuerburgstraße in Kalk. Einst wurden auf dem ehemaligen KHD-Gelände Traktoren hergestellt, heute wird hier ohne Traktoren urbane Landwirtschaft betrieben. In Nachbarschaft zu sandsteinfarbenen Mietshäusern und gegenüber der Halle Kalk wachsen selbstgezogen Auberginen, Schwarzwurzeln, Kohlrabi, Tomaten, Kartoffeln, Kürbisse, Mangold, Pastinaken oder Chilis. Es gibt einen kleinen Kräutergarten, und seit kurzem Bienenstöcke und Färbepflanzen, mit denen die Spinn- und Färbegruppe Wolle bearbeitet.

 

Wie bei den anderen Gartenprojekten handelt es sich auch in Kalk um einen mobilen Garten. Das heißt, angepflanzt wird nicht direkt im Boden, sondern in Bäckerkisten, Reissäcken oder Autoreifen. Nachdem es im vergangenen Sommer lange so aussah, als müssten sich die Kalker Gärtner 2012 einen neuen Ort suchen, handelten sie im November einen Mietvertrag mit der Stadt aus. Finanziert wird das Projekt über Spenden und Fördergelder.

 

Mitmachen erwünscht

 

Zweimal pro Woche ist der Garten für Besucher geöffnet: Die können hier, bloß ein paar hundert Meter vom Trubel der Kalker Hauptstraße entfernt, mithelfen zu gärtnern. Mit dem geernteten Gemüse wird vor Ort gekocht, »oder die Leute können zu Hause ihren eigenen Gemüsetopf ergänzen«, so Edlich. Für eine regelmäßige Volksküche, sagt er, reichten die Erträge im vergangenen Jahr aber nicht.

 

Die Pflanzstelle wird vom Verein »grenzenlos Gärten« betrieben. Neben Edlich sind darin sechs weitere junge Menschen organisiert, sie alle kommen aus einer linken, konsumkritischen Szene. Auf der Homepage des Vereins heißt es, Urbane Gärten seien »ein Experimentierfeld für zukunftsfähige, nachhaltige Techniken und Konzepte. Sie entwerfen im Kleinen konkrete Utopien von sozialen Städten.«

 

Neben der Gartenarbeit gibt es regelmäßig Workshops, Filmvorführungen und Diskussionsrunden. Da geht es um »Gemeinschaftsgärten als Orte des Widerstands gegen die neoliberale Ordnung«, die Vorstellung von »Reclaim the Fields!«-Projekten, um Saatgut- oder Ernährungssouveränität und um Subsistenzwirtschaft. Anfang des Jahres waren die Gärtner in Frankreich und Italien unterwegs, um sich mit dortigen ­Initiativen auszutauschen.

 

Teil der Stadtentwicklung

 

Zuerst sei die Theorie dagewesen, bestätigt Edlich. Aber die sei schwierig zu beackern, »wenn man in der Praxis zu Hause nur drei Kohlpflanzen anbaut«. Der Verein »grenzenlos Gärten« wurde bereits 2010 gegründet, im Juli 2011 wurde dann die Pflanzstelle eröffnet. Die Kalker legen dabei Wert auf eine Trennung von Theorie und Praxis: hier die Diskussionen über postmaterielle Werte, dort die Gartenarbeit mit Spaten und Erde unter den Fingernägeln.

 

Edlich sagt: »Mit dem Verein versuchen wir, die Themen in der Stadt zu verankern. Aber was in unserem Selbstverständnis steht, kann nicht alles in der Pflanzstelle verwirklicht werden. Da fehlen uns Ressourcen, Energie und Zeit. Außerdem soll die Pflanzstelle auch nicht zu sehr politisiert werden. In erster Linie ist das ein Garten.«

 

Dass der in Kalk angelegt wurde, ist kein Zufall. Der ehemalige Industriestandort weist einen eklatanten Mangel an Grünflächen auf, bei einer gleichzeitigen Fülle an Brachflächen. Das Projekt passe so perfekt in den schwelenden Diskurs über mehr Bürgerbeteiligung, sagt Edlich. »Es geht darum, nicht einfach nur hinzunehmen, was mit dem Stadtteil passiert, sondern selber gestalterisch tätig zu werden. Wir wollten einen Stadtteil, wo Entwicklung möglich ist. Viele hippe, linke Stadtteile fielen daher raus.« Für die meisten Initiatoren kommt der persönliche Bezug hinzu. Edlich selbst hat acht Jahre in Kalk gewohnt. Jetzt lebt er in Buchheim, gleich um die Ecke.

 

Gärten für jedermann

 

Nach anfänglichen Schwierigkeiten werde der Gemeinschaftsgarten nun auch von der Nachbarschaft angenommen. »Letztes Jahr waren vor allem Freunde und Menschen da, die sich ganz allgemein für Urban Gardening interessieren. Mittlerweile haben wir regelmäßige Besucher direkt aus Kalk. Auch das Millieu hat sich geändert. Es sind immer mehr Menschen dabei, die mit dieser Form von Gemeinschaftsgarten noch gar keinen Kontakt hatten. Denen haben Begriffe wie Saatgutsouveränität zunächst gar nichts gesagt.« Regelmäßige Teilnehmer sind zum Beispiel das Kinderheim Kalk, eine Kindertagesstätte und eine Gruppe muslimischer Frauen, die sich um Sprachförderung bemühen.

 

Um diese Entwicklung zu stärken, bauen die Kalker ihr Projekt momentan weiter aus: Ein ausrangierter Bauwagen soll als Vereinsküche dienen. Eine ertragsorientierte Gastronomie wie in den Berliner Prinzessinnengärten ist indes nicht das Ziel. »Wir wollen nicht, dass wie in Berlin eine Gastronomie ein paar Hundert Leute am Tag mit Essen versorgt, damit 20 gärtnern können. Wir wollen eher eine Grundversorgung auf Vereinsstruktur gewährleisten«, erklärt Edlich. »Das bleibt ja alles in einem kleinen Rahmen, von rund 200 größtenteils temporären Vereinsmitgliedern.«

 

Gemeinschaftsgemüse mit Zukunft?

 

Trotz des Mietvertrags ist die Zukunft nicht gesichert. Ein Bebauungsplan für den Kalker Süden sieht einen Grünstreifen zwischen Wiersberg- und Neuerburgstraße vor. Während das nahe gelegene Autonome Zentrum nach dem Willen der Lokalpolitiker keine Zukunft hat, könnte es für die Pflanzstelle besser laufen. »Es gab sogar schon ­Signale aus der Politik, dass die Pflanzstelle eventuell er­halten werden könnte«, sagt Edlich. »Je nachdem, wie wir uns hier machen.«

 

Die Ziele halten sie bewusst klein in Kalk. »Es geht nicht darum, in zwei Jahren ein 500 Quadratmeter großes Gemüse­feld zu errichten. Wir wollen die Idee eher wie eine Pusteblume raustragen und hoffen, dass das Früchte trägt.« Und da ist Berlin dann doch wieder Vorbild. »Dort gründet sich gerade in direkter Nachbarschaft zum Prinzessinnengarten ein weiteres Projekt«, erklärt Edlich. »Das kommt eher aus der türkischen Community. Die haben gesehen: So was kann man hier machen. Das ist natürlich perfekt.«

 

In Kalk würde man sich auch mit weniger zufrieden geben: »Ich fände es schon super, wenn es auf den Kalker Balkons statt der vielen Satellitenschüsseln vermehrt auch Salat gibt.«

 

Außerdem im aktuellen August-Heft: Bernd Wilberg und Jan Spille sprechen mit der Initiative Neuland in der Südstadt und dem Obsthain Grüner Weg in Ehrenfeld über Nachhaltigkeit und Selbstversorgung, über Spaß am Gärtnern und die Krise des Kapitalismus - und Christian Wendling vom Haus der Architektur Köln erklärt im Interview, was Urban Gardening mit Stadtentwicklung zu tun hat.