Interview mit Astrid Kraus von attac

Eine Woche vor der Bundestagswahl gehen attac und die Gewerkschaftsjugend gemeinsam in Köln auf die Straße: ein Aktionstag und eine Demonstration, zu der mehrere 10.000 Menschen erwartet werden. Über Ziele und Hürden sprach die StadtRevue mit Astrid Kraus von attac Köln.

 

StadtRevue: »Her mit dem schönen Leben! Eine andere Welt ist möglich!« heißt das Motto des Aktionstages am 14.9. Wie sieht ein schönes Leben im Sinne von attac aus?

Astrid Kraus: Ein schönes Leben kann es nur geben, wenn alle partizipieren können. Wir brauchen also soziale Gerechtigkeit, ökologische Kriterien müssen berücksichtigt werden, und wir brauchen einer Ausrichtung der Politik nicht an rein finanziellen Interessen, sondern an menschlichen Bedürfnissen.

Genauso allgemein sind auch die Forderungen im Demoaufruf gehalten. Besteht dadurch nicht die Gefahr der politischen Verflachung, weil im Prinzip jedeR dem zustimmen kann?

Die Forderungen in einem solchen Aufruf kann man schlecht auf ganz spezielle Themen zuspitzen, weil sie dann nur noch für Techniker verständlich werden. Deshalb sind es Leitlinien, die jeder verstehen kann. Dabei kann das Zustimmungspotenzial möglicherweise größer sein als wenn man ganz detaillierte Einzelforderungen aufstellt. Der Gefahr der Vereinnahmung sind wir laufend ausgesetzt. Es kommen viele, die sagen: Im Grunde sagt ihr doch das gleiche wie wir. Wir setzen uns aber mit konkreten Forderungen stark vom Mainstream ab.

Wo werden die Forderungen denn konkretisiert? Wollt Ihr Euch auch vor Ort, in die Kommunalpolitik einmischen?

Ja, wir haben das in Köln bei der Privatisierung der städtischen Wohnungen versucht, außerdem haben wir eine Kampagne zur Gesundheitspolitik gemacht, die detaillierte Forderungen enthielt. Ein anderes prominentes Beispiel ist die Tobin-Steuer, für die wir uns stark machen und die mittlerweile ein großes Echo findet. Vor vier Jahren haben das alle noch für unrealistisch gehalten. Wir sind also an einzelnen Punkten dabei, die Forderungen zu konkretisieren. Doch wir sind noch in einem Erarbeitungsprozess, in einer Phase der Sortierung, der Konkretisierung, der Erarbeitung von Strategien und Angriffspunkten.

Warum greift Ihr als außerparlamentarische Bewegung überhaupt in die Bundestagswahl ein?

Wir greifen nicht in die Bundestagswahl ein. Wir nutzen die politisch sensibilisierte Zeit, um auf eine außerparlamentarische Bewegung hinzu weisen, die für einen grundliegenden Politikwechsel eintritt, der ja nicht zur Wahl steht.

Ihr veranstaltet den Aktionstag zusammen mit den Jugendverbänden des DGB. Die IG Metall hat nun als erste Gewerkschaft deutlich für eine Fortsetzung von Rot-Grün plädiert. Und traditionell steht der DGB eher der SPD als der CDU nahe. Begebt Ihr Euch nicht ins Fahrwasser von Rot-Grün – nicht zuletzt durch die Bündnispartner?

Erstens gehen wir nicht mit den Erwachsenen-Gewerkschaften auf die Straße, sondern mit den Jugendverbänden. Die sehen viele Dinge anders. Zweitens werden wir eigene Bühnen und Kundgebungen haben, auf denen die attac-Themen dominieren. Wir machen keine Wahlaussage, sondern eine Aussage für eine andere Politik.

Die Veranstaltung findet aber eine Woche vor der Wahl statt. Wenn diese Wahl eine entscheidende Situation ist, zu der ihr sie mit macht, wie sollen sich die Menschen, an die ihr euch wendet, denn bei der Wahl verhalten?

Unsere Position ist klar: Es ist egal, wer oder was gewählt wird, es wird sich nichts ändern. Aber: Wer immer auch an die Regierung kommt, er muss mit dieser Bewegung rechnen, die ihre Forderungen vehement vertritt, die eine breite Verankerung in der kritischen Bevölkerung hat. Man kann am Willen eines wesentlichen Teils der Bevölkerung nicht vorbeiregieren.

Sind 8.000 Mitglieder nicht etwas wenig, um von einem wesentlichen Teil der Bevölkerung zu sprechen?

Die Zahl 8.000 beziffert ja nur die eingetragenen Mitglieder. Die Öffentlichkeit, die attac im Moment zuteil wird, zeigt jedoch, dass wir Bedürfnisse ansprechen, die von vielen Menschen geteilt werden. attac bringt ein gesellschaftliches Unwohlsein zum Ausdruck, das ernst genommen wird: Unsere Positionen werden inzwischen auch in seriösen Medien zitiert.

Gesellschaftliches Unwohlsein?

attac ist eine Sammelbewegung, in der sich viele, vor allem junge Leute das erste Mal politisieren. Sie sagen: Es reicht, wir wollen etwas tun. Da ist natürlich auch viel diffuses Unbehagen dabei, da ist viel Bildungsarbeit erforderlich.

Es entsteht der Eindruck, dass attac zum Sammelbecken vor allem moralischer Empörung geworden ist – über den miserablen Zustand der Welt, die Ungerechtigkeiten, die durch die Globalisierung entstehen.

Ja, viele Menschen kommen aus Empörung zu uns. Bei attac gibt es einen Anknüpfungspunkt, hier können die Menschen sich hinwenden mit allem, was sie schlecht finden. Es sind häufig Leute, die bisher gar nicht politisch tätig waren oder die nicht genau sagen können, wie sie sich eine andere Politik vorstellen. Das ist völlig legitim. Es ist gut, dass es eine Bewegung gibt, die solche Leute anzieht, dass gesellschaftlicher Unmut, die Empörung ein Forum findet, sich zu äußern und zu politisieren.

Was ist das Attraktive an der globalisierungskritischen Bewegung, was ist das Faszinierende an der Schlechtigkeit der Welt?

Es ist ein schillernder Begriff. Alle wissen, dass die Globalisierung für verdammt viel Ungerechtigkeit sorgt, alle können erstmal empört und dagegen sein. Man muss nicht viel fundiertes Fachwissen haben, um zu sehen, dass es so nicht geht. Es ist außerdem abstrakt und relativ weit weg, man muss sich erstmal nicht in einen institutionellen Kampf begeben. Man hat aber das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Wenn die Forderungen dann konkret werden, wird es mühsam. Dann geht es um einen realen Kampf mit realen Gegnern. Inwiefern die Euphorie, die jetzt da ist, trägt, wird man sehen.


Zur Person
Astrid Kraus (35) hat Betriebswirtschaft studiert und arbeitet in ihrem Beruf. Sie ist seit einem guten Jahr Mitglied bei attac, im bundesweiten Koordinierungskreis für die Regionalgruppe Köln und im Vorbereitungsausschuss für den Aktionstag am 14.9.Aktionstag
Attac
attac entstand 1998 in Frankreich – die französische Abkürzung meinte »Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger«. Inzwischen ist die attac-Bewegung international vernetzt und hat 80.000 Mitglieder in 45 Ländern. In der BRD, wo sich attac Anfang 2000 in Frankfurt gegründet hat, gibt es inzwischen 8.000 eingetragene Mitglieder in 120 Ortsgruppen.
Aktionstag
Am 14.9. veranstaltet attac gemeinsam mit den Jugendverbänden von fünf Einzelgewerkschaften des DGB (Ver.di, IG Metall, IG Bau, Transnet und NGG) einen bundesweiten Aktionstag in Köln: Ab 11 Uhr gibt es dezentrale Aktionen in der Innenstadt, um 14.30 Uhr eine gemeinsame Demonstration. Der Tag steht unter dem Motto »Her mit dem schönen Leben! Eine andere Welt ist möglich!«. Den aktuellen Stand der Aktionen, Bühnen, MusikerInnen und RednerInnen findet man unter www.attac-netzwerk.de oder der gemeinsamen Seite von Gewerkschaftsjugend und attac: www.hmdsl.de.