Wahre Wunder

Der Fotograf Eusebius Wirdeier legt seine Langzeitbeobachtungen über den Eisenwarenladen Bosen als Bildband vor

Sortimenter sterben aus

Es geht nichts über Leute, die das, was sie machen, gut können. In Köln gibt es noch ein paar Überbleibsel aus einer Zeit der Fachgeschäfte mit kenntnisreichem Personal, und wer je versucht hat, in Köln Wasserglas zu bekommen und nach einer Odyssee schliesslich bei Bruno Wolkenaer auf der Ehrenstraße fündig wurde, oder die seriöse Beratung bei Gummi-Grün in der Richmodstraße genießen durfte, weiß, welchen Verlust das Aussterben dieser Sortimenter bedeutet.

So auch der Eisenwarenladen Bosen

In Sülz gab es bis Sommer 1998 eine Institution: den Eisenwarenladen Bosen, gegr. 1875, nach dem Tod Edmund Bosens von seiner Frau Agnes weitergeführt, einer resoluten Frau, die sich in der Sparte Eisenwaren und angrenzende Sachgebiete traumwandlerisch auskannte und Lücken im Sortiment präzise nachbestellte –, von drei verschiedenen Aufsätzen für Petroleumlampen bis hin zu Ofenrohren aller Durchmesser.

Improvisationstalent und Funktionalität

Der Kölner Fotograf Eusebius Wirdeier war über 20 Jahre lang treuer Kunde, und ihm verdanken wir die schönste Neuerscheinung im Bereich Kölner Alltagskultur seit langem. Immer wieder hat er den Laden, mitsamt seinem Bestand, Außenansichten und Frau Bosen selbst fotografiert. Die verschiedenen Regale und Schubladenschränke, die teils aus übereinandergestapelten Holzkisten mit Schüben aus Zigarrendosen bestehen, erzählen vom Improvisationstalent der Inhaber und ihrem Willen, sich gegen ästhetische Neuerungen zu sperren. Das Wichtigste ist Funktionalität, und so hängen auch keine Computerausdrucke an der Eingangstür, sondern kalligraphische Meisterwerke, die auf kleinen Zetteln Todesfälle verlautbaren, oder veränderte Öffnungszeiten ankündigen, unter anderem auch eine so plausible Erklärung wie: »Wegen Hitze bleibt diese Woche das Geschäft zu«.

Originelles Sortiment

Der Wunsch, alles Vorhandene zu nutzen und keine unsinnigen Neuerungen einzuführen, manifestiert sich auch im Sortiment. So gab es merkwürdige Siebe »Für großblättrigen Tee«, – ursprünglich Vorderteile von Gasmaskenfiltern – und praktische kleine Bakelitdosen, die früher Sprengstoff enthielten: Natürlich machte das Recycling vor Gegenständen aus Kriegszeiten nicht halt, »zivile Umwidmung« war eine Selbstverständlichkeit.

Welt der Fundstücke

Zwischen all den Schrauben, Nägeln und Schlüsseltypen gibt es Momente der Erinnerung und der Sorgsamkeit, wie die frischen Blumen vor der im Laden angebrachten Gedenktafel für die Eltern. Sie bezeugen, neben der vor allem in späteren Jahren vorwiegend älteren Ware, einen grundsätzlichen Respekt vor Details. Andere Dinge, etwa die zahlreichen Urkunden zum 90. oder 100. Geschäftsjubiläum, die Bosen bereits vor 37 bzw. 27 Jahren als »Ältestes Geschäft aller Branchen in Sülz-Klettenberg« auszeichneten, liegen eher achtlos zusammengerollt auf einer Ablage: Der Nutzen solcher Dinge war nicht eindeutig, und die Zeit scheint ohnehin stehengeblieben in dieser Welt der Fundstücke, die noch in den 80er und 90er Jahren die Rettung für Ersatzteilsucher bedeuten konnte.

Ein unwiederbringlicher Verlust

Eusebius Wirdeier beschreibt das Inventar des Ladens »wie in einem dunklen Bernsteintropfen – alles mögliche geschichtet und über die Zeit erhalten«. Das einzig Irritierende an dem Buch ist die Übersetzung seines Textes ins Englische und Französische nebst dem Hinweis, dass bei Bedarf auch eine japanische Übersetzung erhältlich sei: Das erinnert an die Internationalisierungsmasche des Taschen-Verlages, wirkt bei diesem sehr spezifischen Thema jedoch recht absurd. Wirdeiers geduldige Schwarzweiß-Langzeitbeobachtung verdient jedoch eine weite Verbreitung, nicht nur unter frustrierten Baumarktbesuchern, und sie führt uns einen unwiederbringlichen Verlust vor Augen.

Eusebius Wirdeier: Die Wunderkammer der Agnes Bosen. Eine Inventur. Köln, Emons-Verlag 2002, 24,50 EUR.