Foto: Manfred Wegener

Obsthain Grüner Weg: Urban Gardening mit Businessplan

In Kalk, Ehrenfeld und Bayenthal sind im letzten Sommer »Urbane Gärten« entstanden. Auf Brachen werden in Kisten Kürbisse, Kräuter und Kartoffeln angepflanzt – so lange, bis die Bagger kommen und Häuser und Büros errichten. Jan Spille hat sich in auf dem Grünen Weg in Ehrenfeld umgesehen.

Sabine Voggenreiter hat große Pläne: »Wir wollen das traditionelle Obsthain-Prinzip in Ehrenfeld wieder aufleben lassen, vor allem mit Birn- und Apfelbäumen.« Sie steht am Grünen Weg und blickt über das rund 600 Quadratmeter große Gelände. Es ist Teil einer weitaus größeren Fläche, auf der die Kölner Wohnungsbau-
gesellschaft GAG bis Herbst 2015 Sozialwohnungen errichten wird.

 

Bis Anfang vergangenen Jahres waren hier die Musikclubs Papierfabrik und Sensor Club, seit Mai 2011 nutzt das Urban-Gardening-Projekt »Obsthain Grüner Weg« die Fläche. Seither wachsen hier wieder Notaris und Roter Boskoop, oder die Birnensorte Doyenne du Comice.

 

Gartentradition auf Fabrikgelände

 

Schon vor anderthalb Jahrhunderten, bevor sich in Ehrenfeld im Zuge der Industrialisierung die Fabriken ansiedelten, war der Stadtteil dicht bewachsen mit regionalen Birnen- und Apfelbaumsorten. Diese teilweise vom Aussterben bedrohten Baumarten lassen sich heute auf dem von Bauzäunen umgebenen Gelände neu entdecken.

 

Nicht wie damals im Boden, denn noch ist die Brache teilweise kontaminiert, sondern in Pflanzkisten aus alten Europaletten. Darin wächst noch mehr: Rosmarin und Lavendel, Wilderdbeeren und Tomatensträucher. Es gibt regelmäßig Workshops, etwa die »Kräuterwerkstätten«, bei denen man lernen kann wie man aus Kräutern Öle und Salben herstellt oder Tee zubereitet.

 

Das Projekt hat Zukunft: Wenn die GAG den Wohnungsbau abgeschlossen hat, sollen die Mieter den Obsthain weiter nutzen können. »Die ganze Siedlung soll ein Obsthain werden, möglichst auch mit Kräutern«, wünscht sich Voggenreiter. »Wir haben gute Kontakte zur GAG und finden es angemessen, dass eine gemein-
nützige Wohnungsbaugesellschaft den Vorschlag aufgreift und langfristig dieses Konzept integriert.« Die Zeit bis 2015 soll genutzt werden, um Erfahrungen zu sammeln — damit man weiß, was tatsächlich in die Siedlung integriert werden kann.

 

Mobiler Garten: einfach mit Sack und Pack umziehen

 

Eine Gruppe, die im Kern aus gut einem halben Dutzend Gärtnern besteht, bewirtschaftet den »Obsthain« eigenständig. Menschen aus Italien und Kroatien sind darunter, der eine ist Schreiner, der andere Student. Wenn die Wohnungen stehen, wollen sie mit dem Rest des Gartens auf eine andere Brache ziehen.

 

In Ehrenfeld wird viel gebaut, es gibt genug Möglichkeiten: etwa an der Leyendeckerstraße, am alten Güterbahnhof oder auch auf dem Heliosgelände, über dessen Zukunft gerade eine Bürgerbeteiligung abgeschlossen wurde. Eines der Ergebnisse ist, dass sich die Teilnehmer mehr Grün und Natur wünschen.

 

Voggenreiter weiß, wie man Projekte antreibt. Sie ist eine Netzwerkerin, hat gute Kontakte, auch zur Politik und in die Verwaltung. 1990 hat sie in Köln das jährliche Design-Festival »Passagen« ins Leben gerufen, es ist heute bundesweit die größte Veranstaltung dieser Art.  1999 startete sie mit Kay von Keitz das Festival »plan«, das als »Forum aktueller Architektur in Köln« firmiert.

 

»Kinder wissen oft nicht, wie eine Tomate wächst«

 

Unlängst wurde sie vom Kölner Kulturrat zur »Kulturmanagerin des Jahres 2011« ernannt. Über die Gärten sagt sie: »Das DQE  entwickelt Konzepte zur Entwicklung des Stadtraums und befasst sich insbesondere mit der räumlichen und inhaltlichen Strukturierung des Stadtteils Ehrenfeld.« 

 

Voggenreiter ist ein Big Player in der Kölner Kultur. Wenn sie spricht, fallen oft Begriffe wie Verstetigung, Nachhaltigkeit, Partizipation. Sie redet von »Verständigung der Milieus« und »interkulturellen Austauschprozessen«. Und sie sagt, ihr Projekt habe auch einen Bildungsauftrag: »Kinder und Jugendliche in der Stadt wissen oft nicht, wie eine Tomate wächst, im weiteren Sinne leisten wir also auch einen Beitrag zur Ernährung. Wer einmal eine selbstgepflanzte Tomate gegessen hat, isst kein Junk-Food.«

 

Unter den Urban-Gardening-Projekten in Köln hat der »Obsthain Grüner Weg« wohl am ehesten so etwas wie einen Businessplan. »Durch die Zusammenarbeit mit der GAG sind wir einen Schritt weiter gekommen, andere Bauherren erwägen nun auch dieses Konzept«, schwärmt Voggenreiter. »Und Kollegen mit konventionellem Weltbild legen ihre Skepsis ab, da es offensichtlich funktioniert!«

 

Noch mehr Grün in Planung

 

Voggenreiters Obsthain-Projekt am Grünen Weg soll nicht das letzte sein. Der Rat der Stadt hat vor acht Jahren beschlossen, auf der ehemaligen Güterbahntrasse in Ehrenfeld einen Radweg anzulegen. Geht es nach Voggenreiter, soll der von Nutzpflanzen gesäumt sein und »Low Line Linear Park« heißen — angelehnt an die High Line in New York.

 

Dem Amt für Stadtentwicklung hat Voggenreiter das Konzept bereits vorgelegt. Auch der Antrag auf Förderung wurde bereits gestellt. Noch viele weitere Ideen schweben Voggenreiter vor: Hoch- und Hügelbeete zum Beispiel, so dass man auch auf kontaminiertem Boden in die Erde pflanzen kann.  

 

All das ist freilich noch Zukunftsmusik. Vorerst konzentriert man sich auf das Gelände am Grünen Weg. Und dass bei Urban-Gardening-Projekten nicht immer alles planbar ist, weiß auch eine Organisatorin wie Voggenreiter. »Es geht nicht auf Knopfdruck, wenn man mit der Natur arbeitet. Ich komme aus einer Gartenfamilie und weiß, dass man sich auf den Rhythmus, den die Natur vorgibt, einlassen muss. Das lässt sich nicht am Tisch oder am Computer simulieren.«

 

Fotos: Manfred Wegener