Wie haben Sie das gemacht, Herr König?

In seiner 12-jährigen Amtszeit ist aus dem Ausstellungsmacher Kasper König einer der be­kann­testen Museumsdirektoren weltweit geworden. Im Oktober verabschiedet er sich in den Ruhestand. Melanie Weidemüller traf ihn zum Interview.

Es ist ein verflucht langer Abschied. Er begann 2011, als das Museum Ludwig »Kasper Königs letzte programma­tische Ausstellung« ankündigte, auch wenn sich das noch keiner recht vorstellen konnte. »Vor dem Gesetz« stellte die aus hintersten Depotecken hervorgeholten Skulpturen der Nachkriegszeit neben taufrische »Räume der Gegenwart«, wagte die weite historische Perspektive, die große Humanismusfrage, vor allem aber: das Risiko. Subjektiv, ernsthaft, uncool, komplett ironiefrei. Der König wäre nicht der König, hätte er sich mit diesem Projekt nicht abermals neben dem Mainstream des Kunstbetriebs positioniert. Dann kam die allerletzte programmatische Ausstellung, programmatisch nicht für den Ausstellungsmacher, sondern den langjährigen Museumsdirektor: »Ein Wunsch bleibt immer übrig« schloss an Königs Premiere »Das Museum unserer Wünsche« im Jahr 2001 an, jene Begehrlichkeits-Schau, mit der der neue Chef gleich mal klarstellte, was wir erwarten dürfen — und was er erwartet. Beides wurde erfüllt. In der gelassenen wie imposanten, fein ausgewählten Sammlungsbilanz sind derzeit achtzig Ankäufe und Schenkungen der letzten zwölf Jahre zu sehen — insgesamt 2000 neue Werke gelangten während Königs Amtszeit  in das Museum.

 

Der 67-Jährige hat das Museum Ludwig wieder auf internationales Niveau gehoben. Daran kann sein junger Nachfolger Philipp Kaiser jetzt wunderbar anschließen und ein eigenes Profil entwickeln. Schwieriger wird eine andere Lücke zu füllen sein: Kaum jemand hat in den letzten Jahren so kontinuierlich kultur- und stadtpolitisch Stellung bezogen wie König. Kunsthallenabriss, Kulturhauptstadtbewerbung, Kulturetat-Kürzungen, Stadt­archiv-Einsturz, Schauspielhaus-Debatte, die Aktionen des Kölner Komment — er war da. Identifikationsfigur und Störenfried, schnodderig, bissig, manchmal nervig. Wenn es darauf ankam, war er strategisch, wo er es für geboten hielt respektvoll und charmant. Dass er unregierbar ist, erfahren auch Journalisten: Fragen sind für ihn Stichworte, um zu reden, worüber er reden will — Kunst, Gesellschaft, Politik, Köln, das Museum, und wie alles mit allem zusammenhängt. Heute, beim letzten Interview, hat er auch gleich mal die Bildredaktion übernommen. Vor uns auf dem Tisch liegen Fotografien von Nathalie Dampmann, die er sich zur Bebilderung gewünscht hat.

 

Kasper König: ... die Fotografien sind von einer jungen Fotografin, die mit dieser Serie die Institution Museum reflektieren wollte und Wochen hier gearbeitet hat. Was man darauf sieht, hat mit der Sammlung zu tun, dem Erforschen, den Werkstätten, wo gearbeitet wird, die Schreinerei, das »art handling«. Und man sieht Bezüge zum Ausstellungsprogramm.  2005 haben wir »Max Beckmann — Fernand Léger« gezeigt, da ging es sozusagen um den Optimisten und den Pessimisten: Léger der Kämpferische, der Moderne, proletarisch, optimistisch, und Beckmann der Anti-Moderne, mythisch, aber unglaublich ­charaktervoll, aufrichtig, dabei ein sehr traditioneller Maler, gotisch, deutsch, mit dem Kopf durch die Wand. Die beiden verbindet kompositorisch eine ganz ähnliche Thematik, sie haben aber nie direkt Notiz von einander genommen. Die Schreiner haben sich dieses große Foto von Léger mit der Pusteblume hingehängt. Und hier, beim Hängeteam, gibt es verschiedene Bilder: rechts einen ganzen Altar mit Abbildungen der Aborigines-Ausstellung letztes Jahr, der indigenen Australischen Malerei, die für den Tourismus entsteht, aber auch die Identität eines geschundenen Urvolkes reflektiert und damit politische Rechte einklagt, ein ganz komplexes Thema. Einer der Kollegen spielt Didgeridoo und ist sozusagen ein Post-Hippie, der sehr an diesen Fragen interessiert ist. In der Mitte hängt »Nighthawks« von Edward Hopper, die melancholische Situation der Nachtschwärmer; dann das Dalí-Bild »Der Bahnhof von Perpignan« in Verbindung mit privaten Fotos, darunter das Honky-Tonk-Piano?...

 

König scheint geneigt, heute ausschließlich über Fotos reden zu wollen. Sie vermittelten einen Eindruck, wie so ein Museum funktioniert, das meiste sehe der Besucher ja gar nicht. Das Soziale, den Alltag, die Arbeit der vielen Mitarbeiter. Das Museum ist ein Depot mit Ausstellungsfläche, nicht umgekehrt. Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen, wenn es um die traditionellen Aufgaben der Institution geht, ist König konservativ. Und Dampmanns Fotos, die den Hintergrund zum Vordergrund nehmen und etwas vom Geist des Hauses einfangen, sind eigentlich den Kollegen gewidmet: »Kunst ist schon ein Bazillus, man kann sich dem nicht entziehen. Und auch im Museum läuft ohne gute Verwaltung gar nichts. Sie muss eine Identifikation mit dem Ort haben, und es ist toll, dass das hier so ist.« Es ist unschwer zu erkennen, wie sehr König dieses Museum ans Herz gewachsen ist. Am 1. November übergibt er es seinem Nachfolger, dem er vorher noch mit einer Benefiz-Auktion eine Starthilfe in die Museumskasse spült. König denkt längst an die Zukunft, während er Bilanz einer ­Karriere zieht, die vom Ende aus betrachtet geradlinig erscheint und doch außerordentlich war.

 

Herr König, Sie sind nicht in einem Museum sozialisiert worden und sagen, das sei ein Vorteil gewesen. Wie haben Sie denn ihre Aufgabe als Direktor verstanden? Eigentlich immer aus der Perspektive der Besucher. Wenn ich durch die Ausstellungsräume gehe, habe ich mich immer selber als ersten Kunden gesehen. Das ist die Aufgabe: Hier ist die Kunst und da sind die Besucher, und wenn wir unsere Aufgabe gut machen, dann verschwinden wir eigentlich auch dahinter. Ein guter Gastgeber muss auch irgendwie ein Geist sein. Wenn man sich penetrant immer selber wiederfinden will, ist das für die Besucher eher eine Belästigung. Wir sind auch kein »Künstlermuseum«. Das ist Quatsch, ein modischer Begriff. Wir präsentieren Kunst. Es gibt eine gewisse formelle Struktur, derer sollte man sich sehr bewusst und intelligent und kritisch bedienen. Aber bloß nicht anfangen, selber allzu künstlerisch zu werden, das nervt.

 

Anfangs war man skeptisch, ob Sie sich als Ausstellungsmacher wirklich für die Sammlung interessieren würden — diese Zweifel sind heute ausgeräumt. Wie würden sie den aktuellen Zustand der Sammlung beschreiben? Es gibt fünf Schwerpunkte — die russische Avantgarde, die Sammlung Haubrich mit den Expres­sionisten und Neuer Sachlichkeit, die Pop-Art und natürlich den großen Picasso-Block — und die machen uns auch universell sehr begehrlich. Wir werden permanent um Leihgaben angefragt und sind auf dieser Ebene wirklich international aufgestellt. Wir haben dann versucht, in den zwölf Jahren den Anschluss an die Gegenwart ­wieder herzustellen, aus einem bestimmten Blickwinkel, nämlich als Geschichte der Ideen. Und insofern glaube ich schon, dass die Dynamik so groß ist, dass es dieses Museum auch noch in fünfzig Jahren geben wird. Anders, sicher ganz anders, aber das Niveau und die Dynamik sind da.

 

Der teure Museumsapparat wird öffentlich finanziert, es gibt Rechtfertigungsdruck. Sehen Sie die breite Unterstützung schwinden? Rechtfertigung ist natürlich ganz schlecht. Man muss ein souveränes Selbstverständnis haben, muss plausibel machen und respektvoll dankbar sein, dass der Steuerzahler das unterstützt. Dass er weiß, dass es sein Museum ist und er stolz darauf ist, auch wenn er es selber nicht nutzt.

 

»Das Museum gehört allen und keinem« — ihr Lieblingsmotto ist ein Plädoyer für Unabhängigkeit und Öffentlichkeit. Das klingt aber auch wie ein verzweifelter Appell an die Bürger, sich mehr dafür zu interessieren?... Ja klar. Es ist ein bisschen wie dieser Kalauer: Du hast keine Chance, nutze sie! Bei Kunst geht es ja um Wahrnehmung, Ästhetik, um die Frage, was bedeutet das. Das  ist stark geprägt von Moden, Meinungen, von schulischer Vorbildung oder deren Vernachlässigung, aber letztlich geht es sehr existenziell um ästhetische Wahrnehmung. Eben die Kunstwerke selber: Problemstellungen und Fragen auf der Höhe der Zeit, die aufklärerisch und kritisch sind, aber so etwas wie Schönheit vermitteln, wobei allerdings Schönheit sich hier oft anders darstellt. Das ist sehr holzschnitthaft, aber ich halte es für sehr wichtig, Orte der Kunstvermittlung als einen Motor für Selbstbestimmung und Humanismus zu begreifen.

 

Aber eine Realität ist doch auch: Mein 17-jähriger Neffe interessiert sich für Musik, Filme und ist im Internet unterwegs. Freiwillig geht er nicht ins Museum. Was tun? Das ist ja vollkommen okay. Warum soll er denn? Wenn er sich für Musik oder Film interessiert, ist das doch wunderbar! Und vielleicht merkt er irgendwann, dass er auch im Museum auf seine Kosten kommen kann. Als nächstes zeigen wir David Hockney, das war in London ein Blockbuster mit 600.000 Besuchern. In Köln setzten wir den Schwerpunkt Landschaftsmalerei und zeigen die wunderbaren Filme: auf neun Bildschirmen einen Waldrand, von neun Kameras aufgenommen. Es wirkt, als würde man einen Holzschnitt von Dürer sehen, ein komplexes Bild. Auf der anderen Seite zeigen wir seine iPad-Zeichnungen, und da er ein unglaublich toller Zeichner ist, ist es faszinierend, wie diese Dinge nur aus Oberfläche entstehen. Das ist ganz bewusst für eine Generation, die diese Kulturtechniken nutzt. Ich bin ein Dinosaurier, was diese Medien betrifft, aber ich weiß wie wichtig es ist, dass wir zumindest den Kids gegenüber zeigen, dass wir da auch kompetent sind, wir sind nicht so doof?...

 

Zwölf Jahre Museumsdirektor heißt auch zwölf Jahre Angestellter im Dienste der Stadt Köln. Mit dieser Erfahrung und als Beobachter: Welcher Wunsch an die Politik ist übrig? Es sollte einfach mehr Klarheit und Wahrheit geben. Wenn man sich bestimmte Dinge nicht leisten kann, sollte man keine Versprechen geben, die permanent gebrochen werden. Das kann sehr viel Zeit stehlen, und unversehens kann es auch zum Zynismus werden. Und man darf das Gesamtgesellschaftliche nicht aus dem Blick verlieren. Es gibt viele Initiativen in der Stadt, die der Unterstützung bedürfen, unsere Aufgabe ist ja nicht wichtiger als die der Kindergärten oder anderes. Man sollte vermeiden, das gegeneinander auszuspielen und sich darüber klar werden, was man will, welch ein Instrument man hat, und dann Prioritäten setzen.

 

Das Kölner Gewurschtel haben Sie gleich zu Beginn ­kennengelernt, als aus dem Umbau des Museumsfoyers eine halbe Lösung wurde. Wieviel Kompromisse mussten Sie aushalten? Kompromiss ist okay, es ist ja fürch­terlich, wenn die Leute mit dem Kopf durch die Wand gehen! Es war so, dass der damalige Domprobst uns in den Schwitzkasten genommen hat — wegen dreieinhalb Quadratmetern Grundfläche —, um seine Interessen gegenüber der Stadt durchzusetzen. Das kann doch nicht sein! So gibt es bestimmte lobbyistische Vorstellungen, wo ich das Gesamtstädtische vermisse. Unser schneller Durchgang, um die Touristen vom Dom durch das Museum zur Altstadt zu leiten, funktioniert nicht wie geplant, weil die Umgebung eine ewige Baustelle ist. Ziemlich absurde Geschichten: Erst baut man eine U-Bahn, dann fragt man sich, ob das eine richtige Entscheidung war, dann geht das Stadtarchiv in den Orkus, und jetzt, wo viele darunter gelitten haben, findet man das Ganze doch zu teuer und mottet es erst mal für Jahre ein — da denkt man dann schon, man sei in Schilda. Das sind arge Klischees, doch die treffen immer wieder zu. Ich persönlich kann wirklich nicht meckern. Ich habe auch sehr viel Unterstützung erfahren, und nachzukarten ist ja auch unergiebig.

 

Welcher Wunsch bleibt für Ihre eigene Zukunft? Erst mal bin ich glücklich und muss auch dem Kulturdezernenten Georg Quander einen Kranz flechten. Er hat das sehr gut gemacht mit der Berufung meines Nachfolgers. Mit ­Philipp Kaiser kommt jetzt ein Mann, der anderthalb Generationen jünger ist als ich, der zuletzt in Amerika gearbeitet hat und klar für etwas einsteht. Und da wir mittlerweile sehr viele gute Volontäre haben, hochka­rätige Kuratorinnen und Kuratoren, in einer kritischen Allianz und mit Solidarität zum Museum, ist der Altersdurchschnitt gut. Das ist alles sehr positiv.

 

Sie gehen nach Berlin... Ja, meine Frau lebt dort. Und ich werde ein Büro in Brüssel haben — noch habe ich es nicht, aber eine Vorstellung, vielleicht so ein efficiency apartment wie bei Raymond Chandler, mit einer Dusche. Aber erst mal gehe ich zwei Semester nach Amerika für eine Gastprofessur.

 

Kasper Königs Bilanz »Ein Wunsch bleibt immer übrig« ist noch bis zum 04. November zu sehen. 13. Oktober: »Ein Fest zu Ehren: Kasper König zum Abschied«. Teil I im Museum Ludwig ab 15 Uhr (Eintritt frei). Teil II in der Philharmonie, 20 Uhr (Konzertkarte 25 Euro): Josef Bierbichler, Ensemble Modern: Heiner Goebbels »Eislermaterial«, Reden zu Ehren (Moderation: Harald Schmidt), Ausklang mit DJ Tobias Thomas