Zweitausend Jahre Liebe

Das Festival Ramayana in Performance schlägt Brücken

zwischen indischer Tradition und globaler Tanz-Moderne

Es gibt mehr als eine Milliarde Inder, und wirklich alle (!) kennen die uralte Geschichte von Rama und Sita. Grund genug, sich als Europäer mit dem »Ramayana«, einem der beiden indischen Nationalepen, bekannt zu machen. Die Übersetzungen der sieben Bücher des Sanskrit-Dichters Valmiki stehen auch im Internet, doch etwas flotter als die Lektüre geht es über Bilder und zusammenfassende Texte. Beides bietet die Sonderausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum namens  »Rama und Sita. Indiens schönste Liebesgeschichte«. Liebe? Doch, darum geht es und auch um Gehorsam, Intrige, Reisen und Kämpfe. Die alten kleinen Gemälde sind ein Augenschmaus. Beim Betrachten geht man förmlich in die Geschichte hinein, denn Teile der detailfrohen Bilder bilden, auf große Leinwände gedruckt, einen labyrinthischen Wald. Das ist doppelt illustrativ, stört den Zauber aber nicht.

 

»Rama und Sita sind Stereotypen, die sich als Vorbilder bis heute gehalten haben«, erklärt Brigitte Majlis, die im Museum die Ausstellung betreut. Die sittsame Sita folgt klaglos ihrem geliebten Mann in die Verbannung, wird entführt, wieder befreit und beweist in einer Feuerprobe ihre Reinheit. Der superstarke Rama erfüllt sein Schicksal, indem er den Entführer Ravana, der die Welt aus der Balance gebracht hat, mit Hilfe von Verbündeten zerstört. »Die blumige Sprache inspirierte die Maler. In Bildern und auch im Theater und im Film sind Rama und Sita bis heute ständig präsent« – und zwar weit über Indien hinaus.

Auch im Tanz, den das Museum in mehrfacher Weise mit einbezieht, wird die Geschichte behandelt. In ihren Führungen durch die Ausstellung erklärt Madhavi Mandira Bezüge zur Tradition des Bharatanatyam, den sie vor den entsprechenden Exponaten an Ort und Stelle tanzt. Überhaupt ist das Rahmenprogramm reich bestückt: Fachvorträge, Theaterworkshops für Kinder, Bollywoodtanz für Erwachsene.

 

Der Höhepunkt wird das Fes­tival »Ramayana in Performance« mit drei Gastspielen im September. Es zeigt nicht nur traditionellen Tanz, sondern wie Künstler zeitgenössische Reflektionen in diesen einbauen. So werden sie Teil der spannenden, oft schwierigen Diskussion über den heutigen gesellschaftlichen und künstlerisch individuellen Umgang mit dem Überlieferten. »Hundertprozentige Treue, vorsichtiges Lösen? Und welche Relevanz haben Rama und Sita fürs Heute? Wie erzählt man das im 21. Jahrhundert?« fügt Ulrike Nestler, Ethnologin, Mitarbeiterin im Museum und Kuratorin des Tanzfestivals, hinzu.

 

Die eingeladenen Künstler gehen auf je eigene Weise, mal mehr, mal weniger experimentell mit diesen Fragen um und stehen für die riesige Bandbreite der Ramayana-Rezeption, erklärt Nestler. Der Kulturtheoretiker Rustom Bharucha wird in einer Podiumsdiskussion diesen Einblick vertiefen. Das Festival eröffnet Anita Ratnam aus Chennai. »A million SITA’s« von 2011 fragt nach den Frauen und dem Frauenbild des Epos. Begleitet wird ihr »Neo-Bharatanatyam« vom in Köln schon bekannten Perkussionisten Ramesh Shotham, einem Violinisten und einer Sängerin, die zu Volksliedern geforscht hat.

 

Wie Anita Ratman ist auch Maya Krishna Rao aus Neu Delhi schon etwas älter. »Das soll auch gängige Vorstellungen vom indischen Tanz unterlaufen«, sagt Ulrike Nestler. In »Ravanama« zeigt eine Schauspielerin die Anverwandlung an Ramas bösen Gegenspieler mithilfe des Tanzes Kathakali. Dieser Dämon ist in der thailändischen Khon-Tradition die Rolle eines ganzen Tänzerlebens. Das erläutert »I am a demon« von Pichet Klunchun, der mit seinem Solo nicht nur für die geographische Größe des Rama-und-Sita-Kontinents steht, sondern auch für die Ausweitung der zeitgenössischen Tanzzone, in der man ihn seit Jahren kennt.

 

Das Festival ist Teil der Reihe »TanzKulturen der Welt«, die das Museum seit Anfang 2010 ausrichtet und die vom Land als interkultureller Vermittlungsversuch gefördert wird, um ein größeres Publikum zu erreichen. »In mehrere Richtungen wirken und Bestehendes kritisch hinterfragen«, darum geht es Ulrike Nestler. Wie, wo, warum wird Kunst präsentiert? Das Tanzpublikum geht ins ethno­logische Museum, der zeitgenössische Tanz findet eine neue Klientel – und lässt Körper auf unterschiedliche Weise durch die spezielle Architektur und den Inhalt des Hauses migrieren.