Internationales Bassgestöber

LV und Mala schicken ihre Beats von London in die ganze Welt

»Global Ghettotech« – irgendwann in der zweiten Hälfte der 00er Jahre stand dieser Begriff im Internet. Geprägt hatte ihn Wayne Marshall, seines Zeichens Ethnomusikologe an verschiedenen Ost­küsten-Unis und als Blogger immer nahe an den feinen Unterschiede des internationalen Bassgeflechts. Irgendwann fiel Marshall auf, dass die verschiedenen Genres von Dancemusik, die sich in den Nullerjahren am Rande der Metropolen bildeten, ein paar Gemeinsamkeiten aufweisen. Dabei ist es egal, ob es sich um Kwaito aus Südafrika, brasilianischen Baile Funk oder das House-Genre UK Funky aus London handelt. Eine globale, mobile Elite produziert eine ebenso globalisierte Peripherie, in der die einen alle Vorzüge der Überflussproduktion von Waren und Tourismus genießen können, während für die anderen nur der Überfluss digitaler Musikproduktion bleibt. Der »Planet of Slums« wird zum »Planet of Drums«, in dem digital produzierte Rhythmen zirkulieren und immer wieder auf lokale Musik treffen.

 

Ebenso spektakulär wie der Begriff war sein schneller Aufstieg. Der Producer Diplo machte ihn zum Markenkern und darf zum Dank heute Beyoncé und M.I.A. produzieren. Interessan­ter jedoch ist, was ohne die großen Produktionsbudgets passiert. Billige Laptops, gecrackte Software und Filehoster sorgen dafür, dass die Spielarten von »Global Ghetto­tech« ihren Weg in die nerdigen Producerkreise westlicher Metropolen finden. Das Londoner Producer-Trio LV hat seit längerem ein Ohr für das, was sich auf den Filesharing-Seiten der Welt so tut. Ihre Housetracks teilen sich die spärlich und rau produzierten Snares mit Kwaito aus Südafrika, ihre MCs rappen auf Patois. Nur mit dem Ghetto haben sie es nicht so. Will Horrocks und Si Williams kommen aus dem pittoresken Dulwich im Londoner Süden. Den dritten Producer, Gervase Gordon, haben sie an der Uni kennengelernt. Gordon ist in Kapstadt geboren und kam mit sechs Jahren nach London. Seine Besuche in der südafrikanischen Heimat nutzt er, um neue Musik zu entdecken, oder besser: Die Musik entdeckt ihn. Viele Taxifahrer in Südafrika haben ihre eigenen Soundsystems eingebaut und spielen darüber Kwaito-Tracks. So stieß Gordon auf einige MCs, die er interessant fand, und knüpfte Kontakte, die schließlich in »Sebenza«, ihrem neuen Album, mündeten.

 

 »Ich weiß nicht, ob man unbedingt eine persönliche Verbindung haben muss«, beschreibt Gordon die Arbeitsweise von LV im Interview mit Clashmusic. »Aber scheinbar mögen sie, was wir produzieren und uns gefällt, was sie damit anstellen.« Leicht machen LV es ihren MCs dennoch nicht. »Mac, Macbook Pro, Processor«, heißt es in einer der ersten Strophen, die der südafrikanische MC Okmalumkoolkat auf dem Titelstück des neuen Albums rappt. Es ist ein Rap mit Ansage. LV lassen keinen MC auf ihre Tracks, ohne seine Stimme nachbearbeitet zu haben. Das Trio aus London schickte Dateien mit Rhythmusskizzen zu ihren MCs nach Südafrika und bekam A-Capella-Stücke im entsprechenden Tempo zurück. Um diese herum programmieren sie ihre Housetracks, die sich mit Kwaito zwar die Vorliebe für die Reduktion teilen, sich jedoch der gesamten Soundpalette an Housespielarten bedienen. »Sebenza« ist ein fein konstruiertes Album, dessen Fülle an Details dazu führt, dass man es nicht mit dem Soundtrack für eine Party im Township verwechselt. Aber gerade dadurch zollt es allen Beteiligten maximalen Respekt.

 

Mala, ebenfalls im Süden Londons zu Hause, macht es ähnlich. Mala ist ein Dubstepper der ersten Stunde. Auf seinem Label DMZ und der gleichnamigen Partyreihe wurde der Sound geprägt, den vor fünf Jahre alle Welt und heute niemand mehr mit dem Begriff »Dubstep« verbindet. Verhallte Rhythmen im Tempo um die 140 bpm, bei denen nur jeder zweite Schlag betont wird. Darüber liegen flirrende, minimale Synthesizer und in Echo getränkte Samples alter Dub- und Reggae-Tracks, die von einem gewaltigen Subbass unterstützt wurden, der seine volle Wirkung nur auf großen Soundsystems entfaltet.

 

Mala ist ein Traditionalist, der die Bass-Manipulationen der ersten Generation von jamaikanischen Dub-Produzenten als Blaupause für seinen Sound verwendet. Seit Jahren ignoriert er die Mikro-Trends der Londoner Bassmusiken und verfeinert seinen persönlichen Stil. Auch »Mala in Cuba«, sein erstes Soloalbum, reiht sich in die Erbfolge aus Halftime-Beats und Bass-Meditationen ein, obwohl er dafür seine Londoner Heimat verlassen hat. Zusammen mit »Radio1«-DJ und Vinylfetischist Giles Peterson reiste er nach Kuba, um mit dortigen Musikern zu arbeiten.  Gemeinsam spielten sie lange Jam-Sessions, die Mala aufgenommen und anschließend in seine Tracks integriert hat.

 

»Ich war zuerst ein wenig unsicher«, meint er im Interview mit dem Fact Magazine. »Das ganze Projekt lag weit außerhalb des Bereichs, in dem ich mich sicher fühle.« Aber die kubanischen Musiker passten sich schnell dem Tempo des britischen DJs an und spielten ihre Instrumentals passgenau mit 140 bpm. Nur auf die rauen Beats von Raggaeton, der kubanischen Spielart von »Global Ghettotech«, verzichtet er. »Mala in Cuba« ist ein konservatives Album, das nur wenige von Malas Klangsignaturen aufgibt. Die flirrenden Synths werden um Gitarrenläufe ergänzt, die trocken abgemischten Snares mit Congas gedoppelt. Geblieben sind die Subbässe und schleppenden Beats, mit denen Mala seine Idee von musikalischer Räumlichkeit erzeugt. Geschmacksghetto statt Global Ghetto? Nein. »Mala in Cuba« erweitert die eigene Soundpalette, ohne sich von der Konjunktur des Internet-Memes »Global Ghettotech« abhängig zu machen.