Klebrige Ohrknallbonbons

Das Animal Collective feiert das Durcheinander der Geräusche

Ein kluger Beat, und schon ist man Experimentalist. Als »experimentell« gilt heute rasch alles, was vom Einerlei des allgegenwärtigen radiokompatiblen Reklame-Pops abweicht. Und weil sie manchmal klingen, als würden die frühen Pink Floyd sich erfolglos an einem Electro-Clash-Stück abarbeiten, gelten die vier Freunde vom Animal Collective noch immer als Experimentalisten.

 

Heute hat sich das Musikerkollektiv aus Brooklyn vom fröhlich-infernalischen Krach seiner Anfangstage bedauerlicherweise entfernt. Dennoch geben sie sich Mühe, den hohen Anteil an eigenwilligem Rhythmenspiel und Chaos in den Tracks beizubehalten. Mit den kunstvoll verknoteten Beats und den lustigen Quietsch-, Knatter-, Boller- und Surrgeräuschen aus dem Synthesizer ist es beim Animal Collective wie mit den kleinen Kindern und den Süßigkeiten. Beats und Geräusche kann man nie genug haben, am besten viele auf einmal, gern auch zu einem großen, nur unter Mühen vertilgbaren Batzen zusammengeklebt. Auch gesungen wird viel und kunterbunt durcheinander, ohne dass irgendwo ein Zentrum auszumachen wäre. Unerbittlich herrscht das totale Neben- und Durcheinander. Polternde Rhythmen und sich fortwährend überlagernde Soundeffekthaschereien werden beim Tierquartett aus Brooklyn hoch geschätzt.

 

Ihre letzten »songorientierten« und »zugänglichen« Alben machten sie zu Kritikerlieblingen. Diedrich Diederichsen glaubte 2007, auf »Strawberry Jam« vor allem »eine Klangfarbe« zu hören, »die man Kirmes-Elektronik nennen könnte«. ­Tobias Rapp meinte 2009 über »Merriweather Post Pavillon«, dass niemand im Pop »dieser Tage gleichzeitig so neben den Genres und Traditionen« stünde und »doch sofort so erkennbar« sei wie das Animal Collective.

 

Ihr neues Album »Centipede Hz« revitalisiert die Idee des Bombastischen im Pop: Lieber zu viele Tasten drücken und Knöpfe drehen als zu wenige. Noch immer scheint es ihnen um die unbekümmerte Verschmurgelung vermeintlich unvereinbarer Musiktraditionen zu gehen: Popmelodien kreuzen sich mit enervierendem Dröhnen. Dabei verliert stets der Song, weil er von der gnadenlos aus allen Rohren feuernden Geräuschkanone beschossen wird. Aber er soll auch verlieren. Wer braucht schon Lieder, wenn es drolliges Rummsdibumms gibt?

 

 Einst tat sich die Band durch das Tragen lustiger Tiermasken hervor und wurde der US-amerikanischen Weird-Folk- und Neo-Hippie-Szene zugerechnet. In den letzten zehn Jahren machte sie eine eigentümliche Entwicklung durch: Den Folk – auch den  Neo-Folk der 90er Jahre – hat die Gruppe nie im Sinne von Naivität und Einfachheit oder als popfeindliche Back-to-the-Roots-Bewegung verstanden, sondern vielmehr als Chance. Der sich in der endlosen Variation des Immergleichen erschöpfende Dudelpop sollte neue Impulse erhalten, indem der freie, ungeregelte Ausdruck und die Improvisation in die Musik zurückkehrt. Es galt, dem Surren der Küchenmaschine und dem Knarzen des Holzbrettchens dasselbe Recht auf Klangproduktion einzuräumen wie dem Gitarrenriff, dem Sample-Gewitter wie dem Vogelzwitschern und den ekstatischen Schrei sowie das selbstvergessene Murmeln gleichberechtigt neben den Chorgesang zu stellen. Ganz neu war das zwar nicht, aber immerhin überzeugend vorgetragen.

 

Animal Collective wollten dem Begriff Kreativität seine Unschuld aus der Zeit zurückgeben, als Leute, die Joghurtbecher und Shampooflaschen betexten, noch nicht »Kreative« genannt wurden. Sie wollten das ungetrübte Vergnügen an künstlerischer Selbstentfaltung wieder entdecken.

 

Was in den 60er Jahren Bob Dylan tat, als er überraschend zur Stromgitarre griff und so die friedensbewegten Folkies als Spießer enttarnte, unternahm das Animal Collective 30 Jahre später auf seine Art: Es eröffnete dem im Retro-Modus stagnierenden Songwritertum die Lust an der Grenzüberschreitung und am verspielten Krachmachen. Was man mit Percussion alles machen kann!

 

Aus den frühen Noise-Experimenten erwuchs im Laufe der Jahre die kindliche Freude, alles mit allem zu vermengen: harmonischen Chorgesang mit harschem Disco-Rave, hysterischen Hackepeter-Groove mit obsessiv-ritualistischem Getrommel, possierliche Science-Fiction-Geräusche mit Psychedelic-Orgel. Nie war mehr Lametta als heute!

 

Die Mitglieder des Animal Collective – gebildete weiße Heteromänner aus gutbürgerlichen Familien – wurden schon in ihrer Adoleszenz mit Musik aus dem dunklen, verstörenden Klangkosmos des 20. Jahrhunderts zwischen osteuropäischer Avantgarde und den Soundtracks von obskuren Horrorfilmen vertraut gemacht. Die Band hat sich stets vom Abgeschmackten und Traditionalistischen der Folkszene ferngehalten. Eigentlich hatte man es bei ihr sogar nie mit Folk im engen Sinne zu tun. Stattdessen hat sie sich all dem frohgemut zugewandt, was am Folk und an den später aus ihm schöpfenden Genres fortschrittlich war: der Pflege des Abseitigen, Verschrobenen und Ungeglätteten, der Lust am Spiel mit den Genres, am Krieg der Klänge, dem unentwegten Versuch, das Unvorhersehbare in den Fluss der Musik zu integrieren, und an einer gleichberechtigten Form des gemeinsamen Musizierens.