Verfolgt von quittengelben Strichen

Das Wallraf-Richartz-Museum rekonstruiert mit 1912 – Mission Moderne die Jahrhundertschau des Sonderbunds

Als in Köln die Kunst der Moderne Einzug hielt, wurde sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen. »Tapetenmuster« scherzten die einen, »Exzentrizitäten« schimpften die anderen anlässlich der ausgestellten Werke in der Sonderbundschau von 1912. Viele der beteiligten Künstler waren Hohn und Spott von Akademien, Kollegen, Presse und Publikum gegenüber ihren spontanen, von Farben dominierten und teils abstrakten Werken schon gewohnt. In Köln setzte man dem Protest noch stadttypisch eins drauf, indem man über die Ausstellung auf einem Wagen beim Rosenmontagszug witzelte.

 

Der Sonderbund aber, jene progressive Vereinigung von Künstlern, Sammlern und Mu­seumsleuten, dessen Ziel es war »nicht das Gültige, Bekannte, Abgestempelte, sondern das Suchende, Ringende und Kommende der Malerei« zu zeigen, bewies mit der Auswahl außergewöhnliche Weitsicht. Finanzielle Unterstützung gab es dafür sogar von den Kölner Stadtvätern. Mit Werken von Cé­zanne, van Gogh, Gauguin, Signac, Picasso, Mondrian und Munch, den Malern des Kubismus, der Nabis, des Fauvismus, den expressionistischen Künstlern der »Brücke« und des »Blauen Reiter« trug er in einer Ausstellung alle neuen Strömungen des jungen 20. Jahrhunderts zusammen.

 

Mehr als 650 Werke präsentierte die Gruppe, zu der auch der damalige Direktor des Wallraf-Richartz-Museum Alfred Hagelstange gehörte, in einer eigens zu diesem Zweck gebauten Halle am Aachener Weiher. Alleine fünf Säle waren den Werken van Goghs gewidmet, auch Cézanne und Gauguin erhielten als »Väter« der Modernen Malerei umfangreiche Präsentationen. Weitere Räume waren nach Ländern sortiert, ein eigener Raum stellte die Rheinischen Expressionisten vor. »Für den Eröffnungsbesucher, der noch nicht mit Moderner Kunst in Kontakt gekommen war, eine Herausforderung«, weiß Barbara Schäfer, die die Jubiläumsschau kuratiert. »Erschwerend kam hinzu, dass der Katalog noch nicht vorlag, die Objektbeschilderung, wie wir sie heute kennen, fehlte. Es gab lediglich eine Nummer, anhand derer man ein Werk mithilfe des Katalogs identifizieren konnte. Da war der Besucher wahrscheinlich völlig überfordert, wusste nicht einmal, wer welches Bild gemalt hat.«

 

Vermutlich hat niemand geahnt, dass die vierte Ausgabe des Sonderbunds in Köln, nach der Gründung in Düsseldorf 1909 und den vorangegangenen, lokal ausgerichteten Stationen, die einflussreichste werden würde. Obwohl das preußische Köln Anfang des 20. Jahrhunderts dank seiner engagierten Sammlerschaft bereits über eine vergleichsweise reiche Museumslandschaft, einen zeitgenössischen Kunstverein und zahlreiche kleinere Förderinitiativen verfügte, war der Ruf als »Kunststadt« noch in weiter Ferne. Neidlos hatte man bis dato anerkannt, dass in Sachen Moderner Kunst neben der Nachbarstadt Düsseldorf vor allem München, Darmstadt, Berlin, Weimar und Dresden die Nase vorn hatten. Als Düsseldorf jedoch eine weitere Ausstellung des Sonderbunds ablehnte, ließ sich Köln seine Chance auf Ruhm nicht entgehen und stemmte das Großprojekt. Dieses und die zwei Jahre später stattfindende »Werkbund«-Schau veränderten denn auch den internationalen Ruf Kölns nachhaltig.

 

Schon 1912 nicht ganz unbeteiligt an dem Erfolg war die »Gilde« – eine Kölner Vereinigung, die kunstgewerbliche Arbeiten in der Ausstellung präsentierte und bestrebt war, neue Verbindungen zwischen Kunst und Wirtschaft herzustellen. Dank solcher Zusammenschlüsse wurde erstmals ein PR-Konzept für eine Ausstellung ausgearbeitet, das neben Erfrischungsräumen, Kurzführer und Sonderbund-Zigaretten auch ein Logo mit eigener Schriftart umfasste: Sie zierte nicht nur den Katalog, sondern auch die Plakate, mit denen die Schau in der Stadt beworben wurde. »Man kann ja nirgendwo mehr hingehen, ohne von diesen drei quittengelben Strichen verfolgt zu werden«, beschwerte sich angesichts dieser neuen Reizüberflutung ein Kölner in einem Leserbrief an die Tagespresse, erzählt Barbara Schäfer. Sogar den ersten Postkartenständer im Rahmen einer Ausstellung konnte sie auf den historischen Raumaufnahmen ausmachen. Dieses Marketingmodell machte fortan Schule.

 

Angesichts der beiden zwischen 1912 und 2012 liegenden Weltkriege war die Ausstellungs-Rekonstruktion für Schäfer kein leichtes Unterfangen. Sie musste Arbeiten identifizieren, Provenienzen ausmachen und die in alle Welt verstreuten Werke zusammentragen. 120 Exponate holte die Kuratorin wieder zurück nach Köln, wo sie sich in Hängung und Ausstellungsdesign am »Original« orientierte. Der Katalog zur Neuauflage rekonstruiert in minutiöser Kleinarbeit die gesamte Schau und erläutert Zusammenhänge. Und dieses Mal wird er sicherlich pünktlich zur Ausstellungseröffnung fertig.