Foto: Manfred Wegener

»Es war natürlich auch eine Verweigerungshaltung«

Die Malerin Dorothee Joachim über die Schule des Verzichts und die Schärfung der Wahr­nehmung

Eine Zeitlang hat sie nur» weiß« gemalt, unablässig, und trotzdem sieht kein Bild wie das andere aus: Dorothee Joachim arbeitet radikal, transparente Farbaufträge verdichtet sie durch zahllose Schichtungen solange, bis ihre Bilder beinahe monochrom wirken. Sie sind es aber nicht. Auf eine geradezu abgründige Art bewahren sie sich das Transparente. Es sind sehr plastische, raumbezogene Bilder, die wie halbdurchsichtige, farbige Türen zu weiten Landschaften anmuten.  

 

Dorothee Joachim, 1949 in Hamburg geboren, lebt und arbeitet seit über fünfzig Jahren in Köln. Seit 1968 ist sie der Gegenkultur verpflichtet, zusammen mit ihrem Lebensgefährten Jens Hagen  und anderen gründete sie die SSK (Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln, heute: Sozialistische Selbsthilfe Köln), rief sie das erste unabhängige Kölner Stadtmagazin ins Leben — »Ana & Belle«. 1971 beginnt sie mit der Malerei, seit 1977 folgten zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen. Aktuell ist sie Preisträgerin des Leo-Breuer-Kunstpreises. 2004 stirbt Jens Hagen, der Schriftsteller, Fotograf, Journalist, Aktivist hinterlässt einen umfangreichen Nachlass. In einem Kraftakt gelangt dieser ins Kölner Stadtarchiv, 2005 veranstaltet Dorothee Joachim dort die Ausstellung: »Heute bin ich wieder Störer. Der Kölner Schriftsteller und Künstler Jens Hagen.« Im März 2009 folgt die Katastrophe: Mit dem Einsturz des Archivs wird auch Hagens Nachlass begraben und damit ein Teil der Lebensgeschichte von Dorothee Joachim. Sie hat dieses traumatische Erlebnis überwunden, heute engagiert sich in der Initiative Archivkomplex, die für eine radikale Aufarbeitung des Einsturzes eintritt.

 


Jens Hagen hat mir mal eine Anekdote über Ihre Arbeit erzählt. Er berichtete über einen Besuch von Reinhard Opitz bei Ihnen im Atelier. Opitz ist heute nur noch Insidern bekannt, ein bemerkenswert origineller marxistischer Faschismusforscher, dem eine universitäre Karriere im Westen verwehrt geblieben ist und der vor 26 Jahren viel zu früh gestorben ist. Opitz, so Jens Hagen, soll sich sehr darüber echauffiert haben, dass Sie sich von der gegenständlichen Malerei abgewandt und damit auch einen Gestaltungswillen aufgegeben hätten. Sozusagen ein Verrat an der richtigen politischen Gesinnung.

 


Ja, genau. Können Sie sich noch an den Vorfall erinnern?
Es war eine sehr heftige Grundsatzdebatte. Das muss bei einem Rundgang durch die offenen Ateliers gewesen sein.

 


Der Vorfall impliziert, dass Ihr künstlerischer Weg durch­­aus konventionell begann, sonst hätte jemand wie Opitz den Werdegang Ihrer Arbeiten nicht als Bruch erlebt.
Begonnen habe ich Anfang der 70er Jahre quasi aus dem Bauch heraus mit dem Übereinanderlagern transparenter Farbflächen; mich hat das ungeheuer fasziniert, und ich habe mich dann Hals über Kopf in die Malerei gestürzt. Diese frühen Arbeiten hatten etwas stark Psychedelisches. Bei mir kam dann das Bedürfnis auf, die ganze Kunstgeschichte aufzuarbeiten und gegenständlich malen zu lernen. So habe ich angefangen, die äußere Welt über die Malerei noch einmal neu kennen zu lernen. Ich habe Abfälle gesammelt und die dann gemalt, das waren meine Stillleben. Und das Ergebnis war auch wieder: schöne Kunst. Auf den Konflikt zwischen Realität und künstlerischer Abbildung bin ich schon früh gestoßen. Ein nächster Schritt waren sogenannte Beifahrerbilder: die Darstellung von Stadtlandschaften aus dem Innenraum eines Autos heraus. Das Fenster war der Filter, der Blick aus dem Innenraum in den Außenraum der Stadt war also schon gebrochen durch merkwürdige Spiegelungen im Autofenster. In diesen Spiegelungen entstand eine neue Realität, ein anderer Farbraum, der einen anderen Blick auf die Wirklichkeit ermöglichte. Für mich war das das Signal, mich mit der Frage des Abbilds stärker auseinanderzusetzen und mich immer mehr von der naturalistischen Darstellungsweise zu lösen. Das Verhältnis Innenraum zu Außenraum wurde für mich zentral, und die Mittel der Malerei wurden zunehmend zum Thema der Malerei selbst. Eigentlich kam ich so wieder auf meine Anfänge zurück, aber der Weg über die gegenständliche Malerei war kein Umweg, sondern für mich Teil einer folgerichtigen Entwicklung. Das hat, um noch mal auf Reinhard Opitz zurückzukommen, nichts mit irgendeinem politischen Verrat oder der Aufgabe von Gestaltungswillen zu tun. Mein coming out hatte ich 1985 mit einer großen Einzelausstellung in der Hahnentorburg. Die Arbeiten bestanden aus vertikalen Farbflächen, die Räumlichkeit implizierten und die ganz wunderbar mit der Architektur dieses Ortes korrespondierten. Das hat viele Leute sehr überrascht; für mich war es allerdings konsequent.

 


Die Thematisierung der Mittel der Malerei zwingt den Betrachter regelrecht, sich über die Form Gedanken zu machen: Wenn man in einem Raum zwölf identisch weiße Bilder aufhinge, sähe keines wie ein anderes aus. Lichteinfall, Perspektive des Betrachters, Wandhintergrund — all das führte dazu, dass jedes Bild anders erschiene. Sich dieser Umstände bewusst zu werden, also ein Gespür für Formen, für Konstitutionsprozesse zu bekommen, ist doch selbst eminent politisch.
Richtig, es geht mir darum, die Wahrnehmung zu schärfen. Durch das Üben einer differenzierten Wahrnehmung lernt man auch, die Dinge der äußeren Wirklichkeit schärfer zu sehen. Ein Galerist hat mal zu mir gesagt: Wenn die Leute mit einem »weißen« Bild von mir leben, stellen sie eventuell fest, dass sie ihr ganzes Leben ändern müssen. Soll heißen: Durch die Auseinandersetzung mit so einem Bild nehmen sie plötzlich Dinge wahr, die sie vorher nicht gesehen haben. Das kann dazu führen, dass noch viel mehr in Frage gestellt wird. Aber wer will das schon? Die meisten Leute wollen durch die Dinge, die sie umgeben, in ihrem Lebenskonzept bestätigt werden. Das war jedenfalls die Meinung des Galeristen; meine Strategie bestand ja gerade darin, die Betrachter zu fordern, oder auch herauszufordern. Ihm erschienen meine »weißen« Arbeiten natürlich als zu radikal.

 


Für Sie waren aber diese Arbeiten zentral.
Ich habe fünf Jahre am Rande dieses Weiß gearbeitet. Diese Arbeiten gingen aus unendlich langen Prozessen hervor. Sie bestehen aus ganz vielen homöopathisch verdünnten Schichtungen von transparenten Lasuren in den drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau. Jedes dieser »weißen« Bilder resultierte aus minimalen roten, gelben und blauen Farbaufträgen. Diese Arbeit auszuhalten war schon grenzwertig. Anfang dieses Jahres habe ich mir diese Bilder noch mal angesehen; ich war über mich selbst erstaunt, wie intensiv ich das verfolgt habe. Es war natürlich auch eine Verweigerungshaltung. Der Galerist meinte dazu: wie ein Rennpferd, das nicht laufen will. Andererseits war diese Farb-Askese für mich ein ganz starker innerer Impuls.

 


So oder so entstand aber ein Label: Dorothee Joachim, das ist doch die mit den weißen Bildern…
Das ist eine große Gefahr, die mit solchen Markenzeichen verbunden ist: dass man den Zeitpunkt für notwendige Veränderungen verpasst und die Arbeit irgendwann manieriert wird. Mir kam da mein Material zur Hilfe: ein Pigment, das auch in extremer Verdünnung färbt wie der Teufel. So habe ich mich im Anschluss an die weißen Bilder auf die Grauskala verlagert, aus dem Grau ist das Grün herausgekommen, und dann kamen auch die anderen Farben in einer für mich neuen Qualität. Die harte Schule des Verzichts hat keinen organischen Prozess der Entwicklung unterbrochen, sondern ihn mir möglich gemacht; das war eine sehr interessante Erfahrung.

 


»Aushalten« heißt auch zu akzeptieren, dass es sehr lange dauert, bis ein Bild fertig ist.
Was heißt fertig? Ich höre auf, ganz kurz bevor es »fertig« ist, wenn ich noch etwas Offenes, Spannendes spüre. Das ist für mich das Signal, das Bild in die Welt zu entlassen.

 


Verwerfen Sie auch Bilder?
Sehr selten. Seit 2001 arbeite ich auf Holz, und da ist es schon mal vorgekommen, dass ich eine Tafel wieder ganz abgeschliffen habe. Aber in der Regel entwickeln sich die Bilder, Schicht für Schicht, und das geht solange, bis dieser gewisse Schwebezustand erreicht ist und ich nichts mehr hinzufügen muss. Ich arbeite eigentlich so wenig wie möglich, ich hasse eine routinierte, abgeklärte Haltung; die Bilder sollen aus einer Notwendigkeit heraus entstehen. Ich weiß im Vorfeld und während der Arbeit nie, wie sich das Bild verhält, wie es sich noch verändern wird und wie ich dann darauf reagiere. Dieser lange Entstehungsprozess ist wie ein Gespräch zwischen mir und dem Bild, wie eine Zusammenarbeit. Dazu gehören auch längere Pausen, und erst nach einem zeitlichen Abstand kann eine neue Serie entstehen.

 


Wie arbeiten Sie auf dem Holz? Können Sie den Prozess beschreiben? Erstmal verwandele ich die Holzfaserplatte in eine Art Porzellanplatte; das geschieht durch zahlreiche Schichten Grundierung, die zwischendurch immer wieder geschliffen werden, bis ein glatter weißer Untergrund entsteht. Dann trage ich die extrem verdünnte Farbe — ich arbeite weiterhin nur mit den drei Grundfarben — mit einem breiten Pinsel auf, sodass die Oberfläche komplett benetzt ist. Ich arbeite an der Wand, die Farbe läuft also an der grundierten Holztafel hinunter. In diesen Prozess greife ich nur geringfügig ein; ich überlasse das Bild sich selbst, beziehungsweise den Bewegungs- und Trocknungsabläufen der Farbe. Wenn ein Farbauftrag getrocknet ist, drehe ich die Tafel um 180 und dann auch um 90 Grad; dadurch kann die Farbe aus allen Richtungen über die Bildfläche fließen. Es gibt also keine Hierarchie, die Strukturen können sich allseitig entwickeln. Jeder einzelne Durchgang hinterlässt minimale Spuren, und durch die Summierung und Überlagerung dieser physikalischen Abläufe bilden sich die Phänomene auf der Bildoberfläche, die letztlich das Bild ausmachen — sozusagen durch gesteuerten Zufall. Außer dem jeweiligen Farbcharakter sind das zum Beispiel die feinen Linien parallel zu den Bildkanten, die sich an den Ecken überkreuzen und mit denen das Bild sich quasi selber rahmt. Das können aber auch die fraktalen Strukturen sein, die an das Craquelé bei alten Gemälden erinnern. In diesen Strukturen kann man den ganzen Kosmos entdecken; das ist schon fast wieder psychedelisch.

 


Mich faszinieren Momente des Umschlagens, wie z.B. aus einem vordergründig linearen Prozess etwas Vielschichtiges oder Unvorgesehenes entsteht. Ich kenne das vor allem aus der Musik, speziell aus der radikalen Minimal Music etwa von La Monte Young oder Tony Conrad, die in der unendlich langsamen Erforschung eines Tones besteht. Hat man als Zuhörer einmal eine Grenze überschritten, entdeckt man den ganzen Reichtum an Klängen, der in einem Ton steckt. Conrad hat Experimente mit Flickerfilmen gemacht, die aus einer rasend schnellen Abfolge von schwarzen und weißen Bildern bestanden. Irgendwann fingen die Leute an, richtige Szenen und Handlungen zu entdecken — ein radikaler psychedelischer Effekt. Leute wie La Monte Young wiederum haben sich mit bildenden Künstlern auseinandergesetzt, es gibt gerade in den 60er und 70er Jahren mannigfaltige Bezüge zwischen den Disziplinen. Es ging ja auch darum, dem Zufall Rechnung zu tragen, der prinzipiellen Offenheit des Kunstwerks. Das ist auch in meiner Arbeit wichtig; ich stoße zufällig auf bestimmte Muster und Formen in meinen Bildern und lasse sie im weiteren Arbeitsprozess sich weiter entwickeln.

 


Diese Offenheit ist Ihnen so wichtig, dass Sie sie nicht politischen Maßgaben unterwerfen, selbst wenn sie von Leuten kommen, mit denen Sie politisch d’accord gehen. Es gibt aktuell künstlerische Interventionen im Zusammenhang des Archiveinsturzes und des politisch-gesellschaftlichen Umgangs damit. An diesen Interventionen bin ich indirekt selbst beteiligt, habe sie mitinitiiert. Mir ist es wichtig, dass dies unabhängig von einer politischen Instanz läuft, die sich ein Urteil darüber anmaßt, welche Arbeit die Bedingungen erfüllt, um politische Inhalte zu transportieren. Es geht um künstlerische Entscheidungen, die souverän getroffen werden. Kunst ist nicht dazu da, irgendwas zu illustrieren, sondern sie findet auf einer anderen mentalen und emotionalen Ebene statt, sozusagen in einem Paralleluniversum. Das bietet eine große Chance, Dinge von einer ganz neuen Seite zu sehen und zu beleuchten. Nur so kommt man zu unorthodoxen Mitteln, die wiederum neue Einsichten ermöglichen. In diesem Sinne bereichert nicht die Politik die Kunst, sondern umgekehrt. Eine künstlerische Initiative hat viel größere Freiheiten, sich etwa zum Archiveinsturz zu verhalten, als eine klassisch politische.