Alles ?unter Kontrolle

Felix Klopotek unterhielt sich mit den ­Angestellten Peter Waigel, Greta König, Heiner Kohlschreiber und dem Arbeits­soziologen Harald Wolf über Chaos, Druck und Kreativität im Büro. Aus ihren Statements hat er ein Dossier zusammengestellt. Manfred Wegener hat aus Filmen und Fernsehserien Büroszenen ausgewählt.

Man spricht wieder über Büroarbeit. Christoph Bartmanns launischer Essay »Leben im Büro« ist das Sachbuch der Saison, ein melancholischer Abgesang auf die liebenswert verschrobene Büroszenerie. Der Dokumentarfilm »Work Hard/ Play Hard« zeichnete passend zum Abgesang ein dystpoisches Bild zukünftiger Büroarbeit — voller Kontrolle und Effizienzwahn. Die Büroterror-Serie »Stromberg« erfreut sich, aller Prognosen zum Trotz, stetiger Beliebtheit. Das klassische Werk Siegfried Kracauers, in dem nicht zuletzt die Welt der Angestellten im Mittelpunkt steht, erfährt eine Renaissance.

Historisch ein alter Hut — der Büroangestellte ist literarisch schon seit 150 Jahren kanonisiert und spukt durch die Weltliteratur von Hermann Melville (»Bartleby, der Schreiber«), Robert Walser oder Franz Kafka. Kracauer veröffentlichte seine legendäre Stude »Die Angestellten« vor achtzig Jahren. Alles bekannt, alles abgehakt. Aber es knirscht im Gebälk, das Angestelltenleben gerät aus den Fugen. Mehr Druck! Mehr Postmoderne! Viele erkennen ihr Büro gar nicht mehr wieder.

 


Harald Wolf: Vielleicht ist es aber erst einmal angebracht, zu ­fragen, was das eigentlich heute ist: Büroarbeit? Wenn man die Aspekte, die hier hereinspielen, genauer bestimmt hat, kann man die unterschied­lichen, auch gegenläufigen Entwicklungen besser sortieren.

Zunächst hilft — die Etymologie: Das Wort geht zurück aufs französische »bureau«, das erst einen mit Tuch bezogenen, also »feineren« Tisch, dann den Amtstisch und im  übertragenen Sinn die Amts- oder Schreibstube meint. Daher die Begriffe Bureaucratie, Bürokrat und bürokratisch, das heißt, es geht zunächst einmal — historisch — um die Herrschaft des Büros. Herrschaft, vom grünen Tisch oder dem Computersystem aus, über andere; der staatlichen Administration über die Bürger, der industriellen Administration über die Arbeit anderer. Büroarbeit war und ist also Herrschaftsarbeit von Managern, Ingenieuren, Planern aller Art, die im Zuge von ­Rationalisierung und Taylorismus entsteht und sich ausweitet. Entwicklung von Büroarbeit ist in diesem Sinne auch immer Entwicklung von ­Herrschaftsformen.

 

 

Peter Waigel: Ich würde sagen, das Angestelltenverhältnis besteht einfach darin, dass du Zeit absitzt — du wirst nach Zeit bezahlt. Du hast einen Vertrag über acht Stunden pro Tag, und es kann eigentlich nicht so genau kontrolliert werden, was du in dieser Zeit machst. Das ist in einem Arbeitsverhältnis anders. Als Arbeiter wirst du nach Stückzahlen bezahlt, du legst ein Arbeitsergebnis vor, das abrechenbar ist.

 


In der Literatur werden vor allem zwei Trends der Büro­arbeit beschrieben. Zum einen die Flexibilisierung, man hat sein Büro in Form von Laptop und Smartphone immer dabei, trifft sich nur noch zu Meetings, logt sich kurzfristig in eine reale Büro-Umgebung ein — Stichwort: »Hoteling« — und genießt ansonsten sich und seine Kreativität. Auf der Minus-Seite stehen: permanente Erreichbarkeit, Entgrenzung des Arbeitstages, enorm gestiegene Anforderungen an das einzelne Angestellten-Subjekt, das vielleicht gar nicht mehr angestellt ist, sondern selbstständig, als »Arbeitskraftunternehmer«, agieren muss.

Zum anderen die Rede von der Industrialisierung oder sagen wir besser Taylorisierung der Büroarbeit (nach ­Frederick Winslow Taylor, der vor hundert Jahren die sogenannte »wissenschaftliche Betriebsführung« propagierte, die Zerlegung des Arbeitsprozesses in minutiös protokollierbare Schritte): Die Tätigkeiten im Büro werden — durch die Möglichkeit ihrer Digitalisierung — immer kleinteiliger. Angestellte betreuen keinen Arbeitsvorgang mehr, dessen genaue Abwicklung neugierigen Blicken, auch denen von oben, entzogen bleibt, sondern Ausschnitte daraus. Die Arbeit wird routinierter, monotoner, außerdem lässt sie sich, weil sie eingespannt ist in das digitale System, besser beobachten, Arbeitsschritte — ausstehende, bereits geleistete, versäumte — lassen sich über das Netzwerk perfekt nachverfolgen. Der Angestellte arbeitet wie am Fließband, nur dass sein Stahl Papier ist und das Fließband gewissermaßen virtuell am Bildschirm vorbeizieht. Dazu passt, dass auch in die Büros der neoliberale Sprech von Effizienz und Verschlankung eingezogen ist.

 

 

Harald Wolf: Beide Trendaussagen treffen zu, beziehen sich aber auf unterschiedliche Dimensionen von Arbeit, nämlich zum einen die Beschäftigungsverhältnisse und zum anderen die Arbeitsverhältnisse im engeren Sinn, also Arbeitsprozesse und Arbeitsorganisation.

 

1. Die Beschäftigungsverhältnisse sind durch zunehmende Flexibilisierung, Individualisierung und die Anrufung des »Unternehmerischen« geprägt. Das heißt, der Anteil von Festanstellungen geht tendenziell zurück, es steigt der Anteil von befristeter, Teilzeit- oder Leiharbeitsbeschäftigung oder auch »Alleinselbständigkeit«. Dazu kommt, dass das einzelne Beschäftigungsverhältnis vor allem zeitlich flexibler an Betriebs- oder Kundener­fordernisse gekoppelt wird. Dem entsprechen dann die Phänomene von Entgrenzung und möglichst umfassender Verfügbarkeit der Arbeit.

 

2. Die Arbeitsverhältnisse im »Büro« entwickeln sich in vielen Feldern in Richtung »Industrialisierung« und »Taylorisierung« — gerade in wissensintensiven Feldern und bei der Wissensarbeit. Das hat in der Tat mit der Digitalisierung bzw. voranschreitenden Informatisierung zu tun. Informatisierung, »Computerisierung«, »Vernetzung« sind so etwas wie Bürokratie und Bürokratisierung in neuer Gestalt. Das hat Auswirkungen auf die Arbeit anderer, jenseits des Büros; es schlägt aber auch zunehmend zurück auf das »Leben im Büro« selbst — durchaus im beschriebenen Sinn: Parzellierung, stärkere Kontrolle etc. der Arbeit.

 

Beide Trends illustrieren, was von den zwei heutigen Großmythen der Wirtschaft — dem Mythos vom Triumph des freien Marktes, dessen unsichtbare Hand heute alles, sei’s zum Guten, sei’s zum Schlechten, lenke, und dem vom Ende der Bürokratie — zu halten ist, nämlich gar nichts. Die Hand des freien Marktes ist unsichtbar, weil es sie nicht gibt. In der »Flexiblisierung« der Beschäftigungsverhältnisse drücken sich einfach die Macht von Staat und von Unternehmen aus. Und das Ende der Bürokratie drückt sich lustigerweise in der Form ihrer Verallgemeinerung aus, vermittelt und verkörpert durch die vernetzte Informationstechnik, von deren Reichweite die alten Bürokraten nur träumen konnten?...

 

Die Trends ergeben sich nicht aus der Technik oder der Natur der Tätigkeiten, sondern werden gemacht: Durch staatlich forcierte Deregulierung und Entsicherung der Beschäftigungsverhältnisse, aufrechterhaltenen Druck durch Kündigungs- und Verlagerungsdrohungen, eine unternehmerische Politik allgemeiner Verunsicherung. Und durch die Unternehmensberatungs- und Rationalisierungsexpertendiskurse, an denen sich dann Maßnahmen der Arbeitsgestaltung im Betrieb orientieren.

 

 

Peter Waigel: Es gibt schon Kontrollmechanismen, aber es besteht da keine Automatik, man kann also nicht sagen, dass das Arbeitsergebnis unmittelbar schon die Kontrolle darstellt wie bei einem Handarbeiter: Wenn du innerhalb einer Versicherung Unfälle bearbeitest — wie willst du das quantifizieren? Der eine arbeitet am Tag fünf, der andere zehn Fälle ab, daraus kann man aber noch nichts über die Produktivität folgern, weil die Fälle nur schwer miteinander zu vergleichen sind. Es gibt komplizierte Fälle, einfache… Auf dieser oberflächlichen Ebene scheitert die Quantifizeierung.

 

Die Kontrolle liegt ganz im Technischen. Es gibt im Büro keinen autonomen Computer mehr, also im Wortsinne: Der Personal Computer ist verschwunden. Rechner sind keiner spezifischen Person mehr zugeordnet, sondern Bestandteil eines Netzwerks, das einen gemeinsamen Datenpool hat, der von einem Server verwaltet wird. Dieser protokolliert alle Vorgänge, an und für sich ein ganz normaler technischer Vorgang. Man kann diese ­Protokolle aber auswerten und dadurch die einzelnen Arbeits- und Verwaltungsvorgänge einsehen. Die technische Hürde ist allerdings sehr hoch, denn diese Protokolle sind reine Zahlenkolonnen, und man braucht schon sehr gute Programme, um das auf eine allgemeinverständliche Ebene herunterzubrechen.

 

Man arbeitet im Büro nicht nur immer weniger an »seinem« PC, sondern auch immer weniger an »seinem« Fall, man betreut einen Vorgang nicht mehr komplett von A bis Z. Diese Vorgänge werden zergliedert, es findet eine fast schon klassische, immer kleinteiligere Arbeitsteilung statt, um so den Fall effektiver, gründlicher abzuarbeiten. Ermöglicht wird diese Zersplitterung durch software-basierte Work-Flow-Systeme. Und da sind Protokolle im Spiel, die den tatsächlichen Arbeitsvorgang dokumen­tieren: Wer hat zu welcher Zeit an diesem Dokument gearbeitet? Was ist verändert worden? Mit Work-Flow-Systemen wird zu definieren versucht, was höherwertige, was einfache Arbeiten sind — das hat dann auch Auswirkungen auf das Gehalt. Vor zehn, fünfzehn Jahren hat der Einsatz dieser System massiv eingesetzt, jedenfalls in unserem Betrieb.

 

Greta König: Es ist ja durchaus negativ besetzt, einen Job zu haben, wo man um fünf Uhr den Griffel hinlegt und dann nichts mehr mit der Arbeit zu tun hat. Wenn man sich mit dem identifizieren kann, was man macht, ist das für einen selber schön, die Arbeit hat dann mehr Bedeutung für einen, und die Bürozeiten sind dann nicht mehr so wichtig. Ich merke, dass ich ein Problem damit habe, mich einfach zurückzulehnen und mich auf festgesetzte Arbeitszeiten zu berufen. Es gibt da einen Erwartungsdruck, der auch von mir selber kommt.

 


Peter Waigel: Manchmal komme ich in die Situation, wo ich Leute einstellen muss. Wonach sucht man aus? Eignung, passt er oder sie ins Anforderungsprofil?…

 

ja, aber viel wichtiger ist, was ist das für ein Mensch?

 

Er muss in die Gruppe passen. Die besten Kompetenzen zählen nichts, wenn es menschlich nicht passt. Das ist gar nicht mal das Problem des Bewerbers. Die Gruppendynamik ist etwas sehr sensibles.

 

Irgendwann beherrscht du die Arbeitsanforderungen im Büro, die sind verinnerlicht und dann geht es nicht weiter. Büroarbeit ist ja keine intellektuelle Herausforderung. Wenn er an diesem Punkt angekommen ist, wenn er seine Tätigkeit wie im Schlaf beherrscht, was macht der Angestellte dann? Er fängt an, sich zu langweilen. Er guckt nach rechts, guckt nach links, und macht irgendwas mit seinen Kollegen. Das kann wieder Kreativität freisetzen, einen neuen Schub geben, das kann aber auch in Gehässigkeiten und Arbeitsblockade abkippen. Das ist emotional sehr komplex und unvorhersehbar.

 

Das ist auch der Grund, warum es in TV-Serien wie »Stromberg« eigentlich gar nicht um die Arbeit geht. Irgendwann ist die verinnerlicht, die läuft automatisch ab, interessant werden dann die zwischenmenschlichen Beziehungen. »Stromberg« hat nichts mit Arbeit zu tun, und genau das trifft den Angestelltenalltag ganz gut. Als leitender Angestellter hast du bisweilen nichts anderes zu tun, als darauf zu achten, dass die Leute nicht über einander herfallen.

 


Heiner Kohlschreiber:
Ich muss dabei an den Spielfilm »A Serious Man« von den Coen-Brüdern denken. Besonders be­drückend sind die Szenen, die im Büro des gebeutelten Helden Larry Gopnick spielen, also dort, wo sich die hässliche Seite seiner Arbeit als Mathematik-Dozent manifestiert. Gopnick ist sich sicher, dass er an der Uni demnächst eine Festanstellung bekommt, er hofft es zumindest, na ja, eigentlich bangt er darum. Kurzum: Er befindet sich in einer prekären, abhängigen Situation, aus der er selbst nicht herauskommen kann. Die Berufungskommission ist im Film konsequenterweise unsichtbar, abstrakt, nur indirekt präsent. Beinahe jedenfalls.

 

Denn Gopnick kriegt in seinem Büro ab und zu Besuch von seinem Kollegen Arlen Finkle, auch er ein Dozent und offensichtlich Mitglied jener Kommission. Auf geradezu diabolische Weise bestätigt Finkle dem zusehends entmutigten Gopnick seine Abhängigkeit — und zwar gerade nicht durch Arroganz oder autoritäres Auftreten. Finkle, ein verdruckst lächelnder Typ mit schlecht sitzendem Jackett und schlaffer Körperhaltung, einer der nichts hermacht, informiert Gopnick ganz höflich und nett über das, was ihn so betrifft. Etwa, dass jemand Schmähbriefe über ihn der Uni-Leitung hat zukommen lassen. Selbstverständlich spielen sie keine Rolle bei der Berufung. Aber nicht wegen der Schmähungen, sondern weil sie anonym sind. Und ja doch, die Briefe sind alle in makellosem, wohl formuliertem ­Englisch verfasst.

 

Obwohl Finkle auf der Ebene des reinen Textes keine schlechten Nachrichten überbringt oder sie zumindest direkt relativiert, hat er sein Gegenüber mit einem Wissen konfrontiert, das dieser nicht hat. Er hat ihm bedeutet, dass es ihnen — der Berufungskommission — obliegt, wie sie mit diesem Wissen umgehen. Sie könnten auch anders, wenn sie wollten. Und was sie genau wollen, das kriegt der Subalterne eben nie raus, das ist die Hierarchie des Büros. Die anderen Szenen mit Finkle sind dementsprechend: Er ist nett, verbindlich (wogegen aber seine verkrampfte Körpersprache steht), er bemüht sich, keinen Zweifel zu säen und sät ihn genau dadurch. Er ist, wenn man so will, der personifizierte Hintergedanke.

 

Das ist der Terror des Büros. Es gibt 17 Millionen Angestellte in Deutschland, zudem eine große Zahl von Menschen, die auf Angestellte angewiesen sind, mit ihnen kooperieren müssen: Man stellt einen Antrag, wartet auf seine Gewährung und fürchtet seine Ablehnung.

 

Dass rumgebrüllt wird — gedemütigt, abgekanzelt, ignoriert und umgekehrt gekatzbuckelt und gekuscht wird: Das kennen wir. Aber was ist mit den Leuten in der Hierarchie über uns, die so schrecklich nett und höflich und verbindlich sind? Das sind diejenigen, denen man am allerwenigsten über den Weg trauen darf. Weil sie ausspielen, dass sie die Hierarchien, die Arbeitsorganisation nicht durch kraftmeierische Umgangsformen zementieren, sondern im Gegenteil die Umgangsformen ganz offen halten (es gilt allein die bürgerliche Konvention der Höflichkeit). Und darin lassen sie den Untergebenen?/?den Konkurrenten umso stärker spüren, dass sie ein strategisches Wissen haben, das der andere nicht hat. Ein Verhalten, das »menschlich sauber« ist, ungemein effektiv und vor allem gnadenlos. Fürchtet euch vor den Netten!

 

Greta König: Ich habe mich mit allen gut verstanden, nur mit dem Chef nicht. Es war nicht so, dass der Chef im­mer anwesend war, man hat ihn manchmal Tage nicht zu Gesicht bekommen, aber trotzdem war die Stimmung im­mer gedrückt. Eine Person hat ausgereicht, um die Stimmungsbalance innerhalb des Büros völlig zu verwirren.

 


Einerseits ist Büro-Arbeit eine sehr moderne, zeitgemäße Tätigkeit — Verwaltung, Steuerung komplexer Prozesse —, die auch der Entwicklung des Kapitalismus avantgardistisch vorangeht. Auf anderen Seite ist es etwas sehr Archaisches — diese Dienstbarkeit, das beflissene Auftreten, Servilität, nach Oben buckeln, nach Unten treten. Es ist ein feinmaschiges Netz persönlicher Abhängigkeiten, das sich über diese Tätigkeit legt. Der Angestellte ist auf der einen Seite viel weiter als der Handarbeiter, auf der anderen Seite ist es ein Rückschritt, weil dieses Buckeln, das mangelnde politische Selbstvewusstsein, die verkümmerte Kommunikation hinter der Arbeiterkultur zurückfällt.

 

 

Peter Waigel: Ich würde weiter gehen, der Angestelltenkosmos ist ein Abbild der Gesellschaft. Hierarchische Strukturen in der Gesellschaft, die ganzen Gemeinheiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen werden dort noch mal abgebildet, treten vielleicht sogar verschärft auf. Man kann, über vermeintlich objektiv messbare Arbeitsleistungen kaum Druck ausüben, deshalb braucht man diese Vorgesetztenstruktur, es muss eine strikte ­Hierarchie geben, allein schon, um die vielfältigen Möglichkeiten zu absentieren einzuschränken. Deshalb: ­persönliche Kontrolle.

 

Gleichwohl nimmt diese Form der Kontrolle ab. Es wird mehr auf Eigenverantwortung gesetzt, Verinnerlichung, Selbstkontrolle. Vom Betriebrat her wollten wir vor ein paar Jahren die Kernarbeitszeit reduzieren. Und was wurde uns angeboten? Wenn ihr wollt, können wir die Kernarbeitszeit ganz abschaffen. Völlige Freiheit — aber wehe, der Betrieb kommt ins Schlingern! Oder es wurden Budgets aufgeteilt: Früher wurden die zentral verwaltet, jetzt kann jede Abteilung autonom über ihr Budget verfügen. Hört sich gut an, steigert aber den Druck innerhalb der Abteilung. Das kann soweit gehen, dass die Austauschbeziehungen zwischen den Abteilungen über diese Budgets geregelt werden: Brauchen wir jemanden aus der EDV-Abteilung, belastet das unser ­Budget usw. Die Verantwortung wird in die Köpfe der ­einzelnen Angestellten verpflanzt, er soll sich jetzt selber antreiben, das ist das Ideal. Das Vorbild dazu ist der Freelancer. Der neue Angestellte, ganz egal, wie öde sein Tätigkeitsfeld ist, soll nach dem Bild des hippen Free­lancer gemodelt werden.

 


Greta König: Es gab die Möglichkeit, sich von zu Hause aus in seinen Arbeitsplatz einzuloggen, also vom Home Office aus zu arbeiten. Anfangs war ich davon begeistert, das trifft sich doch ganz gut, habe ich gedacht, wenn zum Beispiel das Kind krank ist, kann ich trotzdem noch ein paar Sachen regeln. Aber das hat sich als Falle erweisen, die Arbeit zu Hause kam noch oben drauf, ich hatte meine Zeit im Büro abzusitzen und musste dann aber auch noch zu Hause erreichbar sein. Nun war es so, dass die Aufgaben, die in meinen Bereich fielen, zeitnah erledigt werden mussten. Das war natürlich verlockend für den Chef, dass ich dann auch von zu Hause weiterarbeiten konnte. Selbst an meinen freien Tagen habe ich Datenlieferungen überprüft, ich bin da regelrecht in eine Entgrenzung reingeschlittert und habe mir das eine zeitlang vom Chef auch bieten lassen. Der hat schließlich sogar im Urlaub angerufen. Für den war die Erreichbarkeit rund um die Uhr total normal, das war so eine stumme Verpflichtung, sich daran zu halten.

 

 

Harald Wolf: Gerade die »Kreativindustrie« und die neuen Bereiche von Wissensarbeit unterliegen starken Tendenzen der Ökonomisierung und Standardisierung, wie die Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte zeigen. So sieht sich die vermeintliche Wissensarbeiter-Avantgarde einer New Economy von IT- und Medienbeschäftigten schon seit längerem — wir haben das in einer Untersuchung in der Internetindustrie bestätigt gefunden — mit der allmählichen Entzauberung und zunehmenden Rationalisierung ihrer Arbeit in »normalisierten« bürokratisierten Betriebsstrukturen konfrontiert.

 


Peter Waigel: Von Kreativität ist immer viel die Rede, wie kann man sie erzeugen, wie sie in produktive Bahnen lenken. Aber ich denke, kreative Tätigkeiten werden überschätzt, der Großteil ist Routine. Vielleicht wird einmal im Monat an einem Nachmittag gebrainstormt. Das ist es dann. Wenn davon die Rede ist, dass die Leute arbeiten sollen, wo sie wollen, zu Hause, im Café, im Park, dann geht es nicht darum, dass da kreatives Potenzial genutzt werden soll, sondern man will ganz einfach Bürofläche, also Miete, Strom und Equipment, sparen.